Im Labyrinth des Schweigens: Interview mit Alexander Fehling



Frage: Sie haben ihre erste große Hauptrolle in Am Ende kommen Touristen gespielt. Sehen Sie Parallelen zwischen den beiden Filmen? Was verbinden Sie mit dem Begriff Auschwitz?

Fehling: Das ist schwer zu sagen. Ich weiß nicht, es ist für mich letztendlich ein Zufall, dass ich jetzt wieder mit dem Thema im Film konfrontiert bin. Aber natürlich lerne ich auch ungemein, wenn ich an so einem Film arbeite. Es sind sehr unterschiedliche Filme. Beide Charaktere kommen auf völlig unterschiedliche Weise an einen Punkt von Demut, wo sie die Bilder, die sie von Menschen hatten, von Grund auf verändern müssen. Das ist natürlich etwas Interessantes und Urmenschliches, was mir in meinem Leben immer wieder passiert.

Im Labyrinth des Schweigens Alexander Fehling

Kann man nicht auch sagen, dass die eine Figur, derjenige, der für die Aktion Sühnezeichen nach Auschwitz geht, vielleicht gar nicht so geben würde, wenn es diese Staatsanwälte nicht gegeben hätte?

AF: Absolut . Ich wusste nicht viel über die Frankfurter Auschwitz-Prozesse, und der Name Fritz Bauer war mir auch nicht präsent. Ich glaube, unser Land würde ganz anders aussehen, wenn es diese Prozesse nicht gegeben hätte. Unsere Position in der Welt wäre eine völlig andere. Ich habe das Drehbuch gelesen und gedacht, es kann doch nicht sein, dass die Menschen damals entweder ein verwaschenes Bild von Auschwitz hatten oder sich gar nicht dafür interessiert haben. Also wie selbstverständlich wir –gerade meine Generation und sicherlich auch die nachkommende – denken, dass das dazugehört, weil wir uns damit auseinandergesetzt haben. Aber wie lang dieser Weg war, der auch nicht zu Ende ist, war mir nicht bewusst.

Daran anschließend: Sie haben das angesprochen, aber für ihre Generation ist es natürlich unvorstellbar, dass jemand von Auschwitz noch nicht gehört hat. War das ein Punkt, wo sie besonders dran arbeiten mussten, um diese Figur zu entwickeln?

Ja, das war tatsächlich nicht so leicht, diese ganzen Bilder aus dem Kopf zu kriegen, um in diese "naive" Position zu kommen: Das ist eine völlig andere Perspektive , weil ich natürlich mit Auschwitz so viele Bilder und Geschichten verbinde und die Figur eben nicht. Darüber haben wir uns viel unterhalten. Ich habe eine Weile gebraucht, aber letztendlich war mein Weg natürlich, mich damit zu beschäftigen und Bücher über die Zeit in Deutschland zu lesen. Ich habe mich mit der Biografie von Fritz Bauer auseinandergesetzt, ich habe mit einem Historiker des Fritz Bauer-Institutes gesprochen. Ich habe mich mit dem noch lebenden Staatsanwalt Gerhard Wiese, der wirklich in dieser Gruppe um Fritz Bauer gearbeitet hat, der damals ungefähr in meinem Alter war, unterhalten und Schritt für Schritt versucht, das Thema für mich einzukreisen.

Wie sind Sie überhaupt zu dem Projekt gekommen sind und wie lief die Arbeit mit dem Regisseur ab?

Vor einem Jahr haben wir gedreht und ein Jahr vorher bekam ich das Drehbuch geschickt. Der Regisseur hat mir einen Dreizeiler dazu geschickt. Ich kannte Giulio nicht, habe es gelesen und war sofort beeindruckt. Das war schon von großer Qualität. Als ich das gelesen habe, habe ich ihn sofort angerufen, und sagte ihm, ich bin beeindruckt und habe Lust, das zu machen. Dann haben wir uns getroffen und auch ein bisschen ausprobiert, während Giulio dann andere Rollen gesucht hat. Lass uns auch arbeiten, lass uns sehen, ob wir es im Praktischen schaffen, so eine Figur zu erschaffen. All diese Zwischenschritte gab es dann und die waren alle sehr sinnvoll, das gibt es nicht oft. Es ist ja sein erster langer Film. Ich habe davon nichts gemerkt, es ist erstaunlich. Er ist jemand, der sehr gut aus der Figur heraus denken kann. Er arbeitet an allen Feinheiten , weil er die Natur der Szene auch kommunizieren kann.

Ihre Figur hat keinen realen Bezug?

Das ist eine fiktive Figur, im Gegensatz zu Bauer und Gnielka, die ja alles Menschen sind, die wirklich gelebt haben. Es ist gewissermaßen ein Konglomerat aus drei Staatsanwälten. . Die Chance in der fiktiven Figur liegt darin, dass sie die Tragfläche ist, die einen durch diese Geschichte und auch durch die Widersprüchlichkeit , durch die verschiedenen Perspektiven dieses Themas führt. Insofern ist es, glaube ich, eine Chance, eine packende Geschichte zu erzählen und nicht nur ein Leben abzuhandeln.

Es gibt zwei Kernsätze in dem Film. Der eine besagt, dass es gar nicht so wichtig ist, dass die Leute verurteilt wurden, sondern vielmehr dass die Überlebenden ihre Geschichte erzählen können.

Ich glaube, der Satz ist schon so gemeint, und Bauer hat es ja auch gesagt, dass es ein Blick auf die Vergangenheit ist, aber eigentlich, um eine Tür in die Zukunft zu öffnen und auch der Welt zu zeigen, dass wir etwas tun. Aber es geht nicht nur um Bestrafung, das ist glaube ich der Punkt. Zumal die Justiz ja vor einer Situation stand, die auf die keine Justiz irgendeines Landes vorbereitet ist. Wir verurteilt man jemanden, der fünf Menschen umgebracht hat und wie verurteilt man jemanden, der 500.000 ins Gas geschickt hat?

Im Labyrinth des Schweigens Alexander Fehling

Und der zweite Kernsatz?

Der zweite Kernsatz ist für mich, dass es auch darum geht, dass nie wieder jemand sagen soll, er sei einfach nur ein bloßer Befehlsempfänger gewesen, ohne die Möglichkeit sich zu widersetzen.

Als Johann Radmann nach Auschwitz kommt, sagt er „Ich weiß nicht, wie ich mich verhalten hätte.“

Ja, aber am Anfang seiner Reise glaubt er zu wissen, was er getan hätte. Er glaubt zu wissen, was richtig ist, was falsch ist, was schuldig ist und was unschuldig ist. Er muss an diesen Punkt erst kommen, an dem er die Komplexität dieser Fragen erkennt. Er verlässt das "Hohe Ross". Und das ist glaube ich auch für uns wichtig, die wir uns das kaum vorstellen können.

Würden Sie sagen, dass Sie zu einer Generation gehören, die kaum anfällig ist für Verführungen politischer Art?

Das würde ich nicht sagen. Ich glaube, was eher ein Unterschied ist, dass wir im Paradies leben. Unser Land kommt jetzt nicht aus Kriegszeiten in den letzten Jahrzehnten und wir leben in einer Welt, wo wir uns eben um uns selbst kümmern können und vielleicht auch zu sehr tun. Aber verführbar werden wir immer sein. Und wir wissen auch heute nicht, was für Verführungen, die wir gar nicht kennen, wieder auftauchen werden und was dadurch mit uns passiert.

Nun ist der Film auch blendend besetzt. Wenn man mit Gert Voss als Schauspieler mehr zusammen ist, was konnte man von dem Voss besonders lernen?

Man merkt manchmal erst Jahre später, wenn man sagt, das hat dort begonnen. Was auf jeden Fall interessant ist in der Begegnung mit Gert Voss ist auch die menschliche Kraft. Das ist auch etwas, woran ich sehr glaube. Gerade in diesem Beruf - was bringt der für ein Leben mit? Was hat er für eine Sicht auf die Welt? Und Voss hatte eben auch eine ungeheure Menschenliebe. So eine Neugier , Warmherzigkeit und Purheit, die gar nicht von dem Beruf beschädigt waren. Das ist etwas, dass mir sehr imponiert. Wenn Voss in einen Raum kommt, braucht man nichts mehr machen. Es ist dann einfach da. Das hilft dem Film und dem Spiel ungemein. Er hat mal zu mir gesagt: das interessanteste an diesem Beruf ist eigentlich das Scheitern. Und das finde ich einen interessanten Satz, den werde ich mitnehmen. Denn das heißt wahrscheinlich , dass dieser Beruf ein sehr humaner sein kann, der davon handelt, was es heißt, ein Mensch zu sein. Das heißt vor allem, nicht immer zu gewinnen und nicht glänzend zu sein, sondern durch Hindernisse zu gehen und Fehler zu haben. Das ist auch das interessante an Figuren.

Mich würde noch interessieren, welche Szene Ihnen schauspielerisch am schwersten gefallen ist.

Das ist schwer zu sagen. Es gab hier viele Szenen, vor denen ich echt gezittert habe. Und manche gelingen dann mit einem Mal und andere Szenen hast du gar nicht auf dem Zettel. Und du denkst was funktioniert hier nicht? Es sah so einfach aus. Ich glaube, meine größte Sorge ist, dass man es nicht glaubt. Und tatsächlich ist manchmal der profane Teil des Staatsanwaltes, der auch ein junger Mann dieser Zeit ist, eine andere Körperlichkeit hat, am Schwersten. Ich will immer dahin kommen, dass ich einfach handele. Und wenn ich das tue, kann der Zuschauer auch etwas erleben .

Im Labyrinth des Schweigens startet am 6. November 2014 in den deutschen Kinos



by Stefan Bröhl / Photos Copyright: Universal Pictures Intl.