Filmkritik Im Labyrinth des Schweigens
Filmwertung: |
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| 9/10 |
Das Langspielfilmdebüt von Giulio Ricciarelli behandelt ein Thema, das hierzulande trotz seiner Brisanz nahezu in Vergessenheit geraten ist: die Geschichte der Frankfurter Auschwitzprozesse. Dabei waren diese Gerichtsprozesse Auslöser dafür, dass sich die junge Bundesrepublik mit der damals noch sehr präsenten, Vergangenheit des Dritten Reiches beschäftigte. Frankfurt am Main, 1958: Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Aufschwung. Doch die Kriegsgräuel sind in den Hintergrund getreten und werden totgeschwiegen, Auschwitz ist nur Eingeweihten ein Begriff. Als der Auschwitz-Überlebende Simon Kirsch (Johannes Krisch) einen ehemaligen Wärter des Konzentrationslagers wiedererkennt und dies seinem Freund, dem Journalisten Thomas Gnielka (André Szymanski) erzählt, kommt alles ins Rollen. Obwohl die beiden viel Ablehnung erfahren, nimmt sich einer ihrer Sache an: der junge Staatsanwalt Johann Radmann (Alexander Fehling) schenkt ihnen Gehör und will den Fall aufklären. Denn der Wärter arbeitet jetzt unbehelligt als Lehrer an einer Schule. Generalsstaatsanwalt Fritz Bauer (Gert Voss) unterstützt Radmann und übergibt ihm die volle Verantwortung für die Prozesse. Eine große Karrierechance für Johann, der aber bald merkt, welches Ausmaß die Verbrechen hatten und wie sehr einige Menschen diese Wahrheit unter den Tisch kehren wollen.
Die relativ unbekannte Story ist ein wichtiger Teil der deutschen Nachkriegsgeschichte. So unglaublich es aus der heutigen Sicht auch klingen mag, aber es verhielt sich damals wirklich so, dass nur die wenigsten Deutschen wussten, was genau in Auschwitz vorgefallen war. Selbst gebildete Menschen konnten mit dem Begriff nur wenig verbinden. Anhand des von Alexander Fehling (Buddy, Wir wollten aufs Meer, Inglorious Bastards) herausragend verkörperten Charakters Johann Radmann erlebt der Zuschauer die Zeit Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre als eine der Verdrängung. Der Anwalt ist eine fiktive Figur, entstanden aus den drei damals beteiligten Staatsanwälten. Dafür sind der von Theaterstar Gert Voss erstklassig gespielte Fritz Bauer sowie der Journalist Thomas Gnielka, den André Szymanski klasse darstellt, reale Personen. Die Geschichte des Films ist wichtig und auch heute noch aktuell. Sie zeigt mehrere Wege zur Vergangenheitsbewältigung auf und deutet die Gräuel in intelligenten Dialogen nur an, statt sie zu zeigen, was dem Film zusätzliche Stärke verleiht. Diese lockern Im Labyrinth des Schweigens immer wieder dank guter Situationskomik auf, was die Geschichte gut ausbalanciert. Es ist spannend und hochinteressant, wie sich nach und nach das ganze Ausmaß der Geschichte entfaltet und wie die hervorragend gezeichneten Charaktere damit umgehen. Es gibt nur eine echte Schwäche: die in deutschen Filmen viel zu häufig eingesetzten Gefühlsausbrüche zur Verstärkung der Emotionen bei den Zuschauer. Einige Male sind diese Streitszenen nachvollziehbar und passend, aber gegen Ende wird dieses Stilmittel etwas zu häufig eingesetzt. Dafür setzt die ruhige Kameraführung die Schauspieler ausgesprochen gut in Szene. Auch die Locations können überzeugen und versetzen den Zuschauer zusammen mit der starken Ausstattung und der tollen Kostüme in die damalige Zeit zurück und sorgen für Atmosphäre, wie auch die stimmige Musikuntermalung.
Dazu kann auch der intelligent ausgesuchte Cast überzeugen. Neben den bereits erwähnten Schauspielern agieren auch Friederike Brecht (Hannah Arendt, Westwind, Der Wagner-Clan. Eine Familiengeschichte), Johann von Bülow (Hänsel und Gretel: Hexenjäger, Das Adlon – Eine Familiensaga, Heiter bis wolkig) und Hansi Jochmann, die deutsche Synchronstimme von Jodi Foster, agieren auf hohem Niveau und machen den Film zu einem einmaligen, bestens unterhaltenden Geschichtserlebnis.
Einer der besten deutschen Filme des Jahres, dem es gelingt, die Balance aus Geschichtslektion und Unterhaltung zu finden.
by Stefan Bröhl
Bilder © Universal Pictures Intl.