"Carrie" und ihre Nachfolger

Isolation und Projektion

The Loved Ones Zurückweisungen sind nie schön. Egal in welcher Form. Egal in welchem Alter man sie erdulden muss. Aber gerade Teenager treffen Zurückweisungen besonders hart, weil sie sich in einer Phase befinden, in der sie sich selber finden müssen. Oder sogar „er“finden müssen. Eine Zeit, in der man zwischen zwei Entwicklungsschritten steht, zwischen Kindheit und Erwachsensein, ohne zu beiden zu gehören. In dieser Phase großer Unsicherheit sind die Persönlichkeit und der Charakter, die sich beide noch bilden, vielen Einflüssen ausgesetzt. Es ist auch noch schwierig, weil gerade in dieser Phase sich die Jugendlichen mit wichtigen Entscheidungen auseinandersetzen müssen, die folgenreiche Konsequenzen haben werden. Das betrifft die Berufswahl und wie sie später ihr Leben führen wollen. Also sind sie in ihrer Labilität sehr empfindsam und dementsprechend anfällig. Zurückweisungen können erheblich verletzen, demütigen und gar traumatisieren. Die Amokläufer in Schulen stellen ein radikales Beispiel dafür da, wenn alle genannten Faktoren noch mit einer gestörten Psyche kombiniert werden. Wobei das natürlich nicht heißen soll, dass alle so handeln werden. Umso mehr suchen Jugendliche, auch in Abnabelung vom Elternhaus, Kontakt zu den Gleichaltrigen, zu einer sogenannten „Peer-Group“. Wenn jemand aber keinen Zugang zu einer solchen Gruppe erlangt oder immer abgelehnt wird, kann das starke Auswirkungen haben.

Der Horrorfilm eignet sich hervorragend dafür, das Thema der Zurückweisung und der Isolation aufzugreifen. Schließlich erforscht der Horrorfilm das Dunkle auch in uns selbst. Die sehr durchlässige Grenze zwischen dem Genre und dessen des Thrillers ist ein weiterer Beleg dafür. Da zudem Teenager das zentrale Zielpublikum des Horrorfilms sind (zumindest in den USA), begegnet er ihnen nicht nur auf Augenhöhe, sondern trifft einen empfindlichen Nerv und eine Situation, die wohl jeder schon einmal erfahren hat und sich somit mit den Figuren identifizieren kann. Indem der Film diese Situation in Gewalt eskalieren lässt, bietet er eine Art radikaler Katharsis und die Möglichkeit für fremd ausgelebte Rachegefühle. War allerdings in früher Zeit es häufig eine Außenseiterin, die sich wehrt, sind in letzter Zeit in verwandten Filmen eine intelligente Neuausrichtung zu beobachten, welche die Isolation in den Mittelpunkt stellt.

Das Paradebeispiel für diese Art von Filmen ist „Carrie“ von Brian de Palma nach dem gleichnamigen Roman von Stephen King. Carrie ist nicht nur ein „hässliches Entlein“, welches unter ihrem Außenseiterdasein leidet. Ihre religiös radikale Mutter lehnt sie ab und kann ihr keine Zuwendung geben. Carrie befindet sich also durchgehend auf dünnem Eis. Ihre besondere Begabung der Telekinese (das Bewegen von Gegenständen durch Gedankenkraft) ist für sie mehr noch Fluch als Segen, da es ihr Anderssein bestärkt. Als es dann in einem Moment scheinbaren Triumphes, der Wahl zur Ballkönigin, zu einer grausamen Demütigung kommt, dreht sie durch und nutzt ihre übersinnliche Fähigkeit zur Rache. Nur hilft ihr das nicht, weil sie dadurch erst recht alleine steht und willig nimmt sie ihren eigenen Tod in Kauf, der für sie eine Erlösung ist. Der Film nimmt hier übrigens eine große Änderung des Ausmaßes vor. Im Film zerstört Carrie ihre Schule mitsamt Schülern und nimmt Rache an ihrer Mutter, die auch jetzt noch keine Nähe zulassen kann. Im Roman zerstört Carrie die ganze Stadt. Das Zerbrechen der Illusionen wird in „Carrie“ durch die Split-Screen-Technik deutlich gemacht.

In so gut wie jedem Film, der im Highschoolmilieu spielt oder Teenager als Hauptfiguren hat, gibt es einen Außenseiter, der meist ein Nerd und unattraktiv ist und sich durch Witze beliebt macht, ständig bei Frauen abblitzt und in den Slasherfilmen zumeist das erste Opfer ist („Freitag der 13.“ Teil 1 bis 10). Der aktuellste Film „The Loved Ones“ ist eine Variation des Themas insofern, da die weibliche Hauptperson zu den Leuten zugehörig sein will, aber schon von vornherein stark psychopathisch angelegt ist. Ein starker Elektrakomplex kommt noch dazu. Dass diese, dem sogenannten White Trash angehöriger, Frau ihre Ablehnung durch extreme Gewalt und Folter rächt, ist in dem Film eine bittere Ironie, denn keine der anderen Figuren ist sonderlich gefestigter als die Rächerin. Jeder kämpft mit seinen eigenen Problemen und ist psychisch labil. Indem „The Loved Ones“ dieses deutlich hervor stellt, gehört er mit zu den besten Horrorfilmen, die sich dieses Themas annehmen. Durch die Verschiebung der Isolation auch auf andere Figuren, jeder in dem Film ist isoliert und versucht dieses zu durchbrechen, kommt das zweite zentrale Thema des Subgenres zum tragen: die Projektion. Unter Projektion soll hier verstanden werden, dass eigene Sehnsüchte und Wünsche und Ideale auf eine andere Person übertragen werden. Das geht allerdings mit Neid Hand in Hand.

Jennifers BodyJennifers Body“ trifft diesen Aspekt schon gut im Filmtitel. Der Filmcharakter von Megan Fox zählt nicht als Charakter, sondern als Körper und ist für die männlichen Figuren nichts weiter als eine sexuelle Projektionsfläche. Das weibliche „Objekt“ rächt sich aber, indem sie die Männer frisst. Im japanischen Schocker „Audition“ ist es auch eine sexuelle Projektion, da der männliche Hauptcharakter ein Casting als Vorwand nimmt, um eine neue Frau zu finden. Diese allerdings rächt sich an ihm, stellvertretend für alle Männer, indem sie ihn foltert. Eine weitere Sonderstellung hat der weithin unterschätzte „Schrei, wenn Du kannst“. Ein Nerd wird in der Schule von gleich mehreren Mädchen gehänselt und gedemütigt, was seine Motivation ist, einige Jahre später als Slasher wiederzukehren, um Rache zu nehmen. Das besondere an dem Film ist nun aber, dass die schönen Frauen gerade aufgrund ihrer Attraktivität ihre Probleme haben und leiden und dementsprechend psychisch nicht besser dran sind, als ihr Mörder. Ihr Schönheit, ihr Reichtum und ihre Beliebtheit macht sie eben nicht glücklicher, auch wenn der Mörder es meint. Das gilt auch für den neueren Film „Schön bis in den Tod“. Die Geschichte aus der Umkehrperspektive zeigt die Projektion gut auf und dass eine Demütigung durchaus auch psychisch auf den Täter zurückfällt und tiefer Unsicherheit entspringt zeigt „All the Boys love Mandy Lane“. Ähnlich wie „Jennifers Body“ ist die weibliche Hauptfigur eine Projektionsfläche. Mandy Lane ist begehrt und beliebt und aus Neid wird ihr Freund gehänselt und gemobbt. Deswegen schlägt Mandy Lane zurück. War „Carrie“ noch eine Bestärkung des Mobbing, Carrie war eben durch ihre Begabung anders, zeigen neue Filme auf fundierte Art und Weise, wie wenig Projektion und daraus resultierendes Mobbing nützlich ist. Zu Katastrophen führt alles. Wenn der Film „Carrie“, wie Stephen King selber anmerkte, als eine Satire auf das High-School-Leben gedacht ist, so ist doch das zentrale Thema aller Filme Isolation, Verbannung und In- und Out-Gruppen. Alle Filme bestärken, dass Schönheit nicht notwendigerweise glücklicher macht. Allen genannten Filmen gemeinsam ist die intelligente Handhabung des sexuellen Erwachens, des Zerbrechens von Illusionen meist romantischer Art. Vielmehr kann die Isolation aller Leute nur durchbrochen werden, wenn man sich die Mühe macht, hinter den äußeren Schein zu blicken. Die Isolation ist zentral: alle suchen Nähe, schaffen es aber nicht, die Diskrepanz zu überwinden, welche darin besteht, dass sie selber nur die Oberfläche sehen wollen und eine Projektion vornehmen, selber aber nicht so wahrgenommen werden wollen. Das ist die Dramatik nicht nur aller Filme des Subgenres, sondern vielleicht auch der meisten Menschen an sich.

by Jons Marek Schiemann
Photos © 20th Century Fox und Koch Media