CANNES 2017: Kurzkritik zu Robin Campillo: 120 BATTEMENTS PAR MINUTE (2017)
Nichts geringeres als ein Meisterwerk liefert der marokkanisch-französische Drehbuchautor und Regisseur Robin Campillo mit seinem erst dritten Spielfilm 120 BATTEMENTS PAR MINUTE ab. Das Werk handelt von einer jungen Aktivistengruppe des Interessenverbandes Act Up, die sich Anfang der 1990er Jahre für mehr Aufklärung, Forschung und mediale Auseinandersetzung um das Thema und die Krankheit AIDS einsetzt.
120 BATTEMENTS PAR MINUTE verlinkt unaufdringlich, mitunter provokativ und in seiner Wirkung damit hoch effektiv das private Schicksal von HIV-positiven Menschen in der Anfangszeit der AIDS-Epidemie mit der vermeintlichen oder wahren Verantwortlichkeit des Staates hierfür. Mit wiederkehrendem Zwischen- und immensem Schlussapplaus in den einzelnen Vorführungen bedacht, rührte der Film auch Jurypräsident Pedro Almadóvar in der abschließenden Pressekonferenz der Jury zu Tränen. Fernab jeglicher Sentimentalität ist Campillos Film einer der Aufrichtigkeit, genauen Beobachtungsgabe und thematisch gesellschaftspoltischen Entrüstung, ohne dabei selbst formal den Zeigefinger zu erheben und anzuklagen. Dies ist es, was große überzeitliche Kunst ausmacht.
Es gelingt dem Regisseur, ein äußerst beeindruckendes Amalgam aus Bild, Ton, Regie, Schauspiel, Szenen- und Schnittrhythmus zu finden, das mancherorts gar an die Ästhetik von Terrence Malicks THE TREE OF LIFE (2011) erinnert.

120 BATTEMENTS PAR MINUTE wurde am vergangenen Wochenende in Cannes mit dem FIPRESCI-Preis, dem Prix François Chalais und dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet und unterlag unverständlicherweise Ruben Östlunds netter schwedischer Gesellschaftssatire THE SQUARE (2017), die am Sonntagabend die Goldene Palme und damit den Hauptpreis des Festivals erhielt.
by ehemaliger Mitarbeiter
Photos © Festival de Cannes
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