Liam Neeson Portrait: Die Präsenz des Qui-Gon Jinn



Am 13.November kam der packende Thriller Ruhet in Frieden – A Walk Among the Tombstones hierzulande in die Kinos. In der Hauptrolle ist niemand geringeres als Liam Neeson zu sehen. Der Action-Star kam Anfang Oktober direkt vom Filmfestival aus Zürich nach Berlin, wo er sich im geschichtsträchtigen Hotel Adlon-Kempinski für Interviews zur Verfügung stellte.

Im Labyrinth des Schweigens Alexander Fehling Hier kennt sich der gebürtige Nordire bestens aus. Denn an diesem Ort drehte er einen Teil des exzellenten Berlin-Thrillers Unknown Identity (2011).
Zuerst sind im Gang näherkommende Stimmen zu hören. Dann taucht eine kleine Menschentraube auf. Aus ihr sticht einer der größten Action-Stars unserer Zeit heraus: Liam Neeson. Wenn der 62-Jährige mit seiner stattlichen Körpergröße von 1,93 Meter einen Saal betritt, erfüllt seine beruhigende Aura den Raum. Sofort fühlt man sich an eine der bekanntesten und bei den Fans beliebtesten Rollen von Neeson erinnert: Qui-Gon Jinn. Wie der Jedi-Meister im Film Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung erfüllt die selbstbewusste Präsenz auch den „Brandenburg-Saal“ im Adlon. Als sich der ehemalige nordirische Boxmeister mit seinem Becher entkoffeiniertem englischem Frühstückstee gesetzt und freundlich in die Runde gegrüßt hat, beantwortet er sachlich die Fragen der anwesenden Journalisten. Zu Beginn sind Neesons Antworten noch kurz und knapp. Man merkt, dass er seine Gesprächspartner abwägt und einzuschätzen versucht. Nach ein paar Minuten taut er sichtlich auf und beantwortet die Fragen erstaunlich offen und ehrlich.

Zusage nach Zweifeln


Die Rolle für den harten Thriller Ruhet in Frieden hat Neeson erst nach anfänglichen Zweifeln angenommen: „Ich musste mich erstmal überzeugen lassen. Denn ich fand, dass der Film vom Aufbau her sehr ähnlich wie 96-Hours - Taken war. Ich dachte, dass die Produzenten ihre Vorstellungskraft nicht nutzen.“
Letztlich nahm Neeson das Angebot an, weil ihn „dunkle und düstere Charaktere, die sich dem System widersetzen“ reizen. Neeson „faszinieren Figuren, die Einzelgänger sind“. In seinem neuen Film spielt er mit Matthew Scudder einen solchen Charakter. Ein ehemaliger Polizist und Alkoholiker, der mittlerweile als Detektiv ohne Lizenz arbeitet und für seine Dienste „Geschenke“ erhält. Als er angeheuert wird, um zwei psychisch gestörte Mörder zu stellen, sagt er nach anfänglicher Skepsis zu und begibt sich tief in die New Yorker Unterwelt.
Der Film beruht auf dem Erfolgsroman A Walk Among the Tombstones von Lawrence Block, der dem Hauptcharakter Matthew Scudder insgesamt 17 Bücher und eine Kurzgeschichtensammlung gewidmet hat. Die Reihe erschien über 40 Jahre hinweg und wurde in 20 Sprachen übersetzt.
Zu Vorbereitung auf seine Rolle hat Neeson viel Fachliteratur gelesen: „Ich bin ein begeisterter Leser, kannte aber weder Lawrence Block noch seine Bücher. Ich war in der Mitte eines skandinavischen Kriegsthrillers, als ich das Angebot für die Rolle erhielt. Und ich nutzte das für meine Recherche. Aber ich las dann auch einige von Blocks Thrillern. Ich liebe solche Thriller. Ich kann davon gar nicht genug bekommen! In jeder Bestseller-Liste der Welt findet man unter den Top-Fünf immer Kriminalromane. Wir sind alle besessen davon. Wir sind auf der gesamten Welt fasziniert davon, warum ein Mensch einen anderen tötet.“

Mittlerweile ist sich Neeson sicher, dass es das richtige war, diesen Film zu drehen und in der ganzen Welt zu promoten. „Ich bin stolz auf diesen Film und bin hier in Berlin und rede mit netten Menschen über den Film. New York sehe ich ja bald wieder.“
Im Labyrinth des Schweigens Alexander Fehling Der letzte Satz sorgt für Gelächter im Raum. Denn je länger das Gespräch dauert, desto offensichtlicher wird, dass Neeson die amerikanische Metropole liebt: „Ich fühle mich mehr als New Yorker, denn als Europäer. New York ist einzigartig. Es ist das Beste von Europa und auch das Beste von Amerika.
Dazu kommt, dass der Nordire auch komödiantisches Talent hat und eine Gruppe von Menschen gut unterhalten kann. Das unterscheidet ihn von Jedi-Meister Qui-Gonn Jinn, der vor allem für Weisheit stand.

Aufbruch in ein neues Genre


Zum Actionheld wurde Neeson vor allem dank des Filmes 96 Hours (2008). Diesen hatte er damals, wie er zugibt, völlig unterschätzt. „Ich dachte nicht, dass der Film direkt auf Blu-ray und DVD erscheint, weil er schlecht ist. Es ist ein guter, kleiner Rachethriller. Aber der Film hatte so eine simple Geschichte. Es war, als hätte ich so eine Art Film schon viele Male zuvor gesehen. Ich war also sehr überrascht, dass der Film so ein großer Erfolg wurde.“
Bevor er im Action-Genre eine der größten Nummern wurde, war Neeson für seine Vielseitigkeit bekannt gewesen. Seine Rolle als Oskar Schindler in Steven Spielbergs Schindlers Liste macht ihn 1993 schlagartig weltberühmt. Danach war er genreübergreifend unterwegs. Seit 2010 ist Neeson fast nur noch in Thrillern und Actionfilmen zu sehen. Darauf hat er eine einfache Antwort parat: „Hören Sie: Hollywood bietet mir diese Rollen an. Ich bin mittlerweile 62 Jahre alt und genieße es, solche Filme zu machen. Nicht viele haben die Chance, solche Filme zu drehen. Es gibt mir einen Kick. Denn in einigen Jahren geht das vielleicht nicht mehr und ich gehe wieder zurück zu Charakterdarstellungen“, sagt er mit einem Schmunzeln im Gesicht.
Das ist eine Ansage, die sehr wahrscheinlich ist. Denn Neeson ist jemand, der großen Wert auf Drehbücher legt:
„Ich mag gut geschriebene Sachen. Im Moment ist es in Hollywood ziemlich schwer, ein wirklich gut geschriebenes Drehbuch zu finden, denke ich, denn das ist meine Erfahrung.“ Neeson lässt es sich nicht nehmen, eine aktuelle Serie als leuchtendes Beispiel zu erwähnen: „Ich gucke gerade die Serie Fargo. Ich finde sie fantastisch, weil die Episoden unglaublich gut geschrieben sind. Und die Schreiber haben die Chance den Plot und die Charaktere geschickt über zehn Stunden zu entwickeln. Drehbuchschreiber für Filme haben dazu nur zwei Stunden - oder weniger - Zeit.“

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Neeson lehnte eine heute „Oscar“-prämierte Rolle ab


Vor zwei Jahren hätte Neeson eine große Rolle ergattern können. Er stand eigentlich als Hauptdarsteller für Lincoln fest. Doch er entschied sich trotz jahrelanger Vorbereitung dagegen. Dabei hätte er mit dem Regisseur zusammengearbeitet, der ihm zu seinem Durchbruch verholfen hatte: Steven Spielberg. „Steven fragte mich vor zehn Jahren und ich bereitete mich vier Jahre auf die Rolle vor. Dann passierte etwas Seltsames. Das Skript wurde von mehreren Autoren bearbeitet und wir hatten ein Probelesen des fertigen Drehbuchs. Es war, als ginge mir ein Licht auf. Ich realisierte, dass ich nicht in die Rolle passte. Beim Probelesen war ich auch dementsprechend schlecht. Ich wollte einfach nicht da sein. Ich rief Steven an und sagte, du musst die Rolle neu besetzen. Steven wollte mich überreden, aber das klappte nicht. Und Daniel (Anmerkung der Redaktion: Daniel Day-Lewis) spielte fantastisch!“

Und gewann den „Oscar“ als bester Hauptdarsteller. Vielleicht hätte der vielschichtige Neeson auch eine herausragende Performance abgelegt. Doch auch so ist Neeson erfolgreich. Das Forbes-Magazin listet ihn auf Platz sechs der am besten verdienenden Hollywood-Stars auf. Um Neeson für einen Film zu engagieren, müssen Produzenten dem Vernehmen nach 30 Millionen Dollar hinlegen. Vielleicht ruht er auch deshalb in sich selbst – wie Qui-Gon. Die fürstliche Gage erklärt auch, warum er in vielen seiner neusten Filme der einzige Weltstar war. Doch wer solch ein Publikumsmagnet ist, kann diese immensen Summen verlangen.

Die obligatorische Frage, ob man ihn in einer möglichen Fortsetzung sieht, beantwortet Neeson, indem er die Mechanismen des Filmbusiness in den Vordergrund rückt: „Sie wissen, wie Hollywood funktioniert. Wenn der Film viel Geld einspielt, gibt es ein Sequel. Ich habe noch nicht für eine Fortsetzung unterschrieben, würde es aber tun.“

by Stefan Bröhl / Photos Copyright: Universum Film