Hin und Weg: Interviews mit den Hauptdarstellern - Florian David Fitz, Julia Koschitz, Volker Bruch, Miriam Stein und Victoria Mayer



Florian, du hast kürzlich in einem Interview gesagt, der Film verfolge nicht den Anspruch einer ALS-Doku. Wie ist das gemeint?


Hin_und_Weg_Florian_David_Fitz Florian David Fitz: In einem Spielfilm stehen Menschen im Mittelpunkt. Die Krankheit ist "nur" der Hintergrund, vor dem das Zwischenmenschliche stattfindet. So ist es auch zum Beispiel auch bei "Vincent will Meer" gewesen. In "Hin&Weg" setzt ALS die Prämisse und spannt das Drama auf. Im Fokus des Dramas steht aber die Gemeinschaft. Es geht um die Frage, wie man zusammen einen Weg findet, mit dem alle Beteiligten klar kommen. Christian (Zübert, Regie) hat diesen Prozess motiviert, indem er die Frage stellt, ob einem der Tod allein gehört. Stirbt man alleine oder kann man das zusammen über die Bühne bringen?

Julia Koschitz: ALS wird als diese krasse Setzung benutzt, bei der es gar keinen anderen Weg gibt. Das war bestimmt ein Grund, gerade diese Krankheit zu wählen. Hinzu kommt, dass die Autorin einen persönlichen Hintergrund in der Interaktion mit dieser Krankheit hat. Aber Anspruch unseres und jedes anderen Spielfilms ist es, Menschen mit auf die Reise zu nehmen.

Würde "Hin&Weg" also auch funktionieren, wenn die Krankheit ALS mit einem unheilbaren, tödlichen Tumor austauschen würde?


Volker Bruch: Das glaube ich schon, ja. Das ist schwierig, weil das eine Macher-Frage ist. Wir sind alle weder Autoren des Stoffes, noch haben wir in diesem Fall Regie geführt. Wir können also nur unsere Meinung dazu äußern. Das ist dann aber eine ganz persönliche, die wahrscheinlich bei jedem von uns anders ausfällt. Ich persönlich glaube, dass es auf jeden Fall auch mit tödlichem Krebs funktioniert hätte. Wie schon erwähnt wurde, geht es nicht um diese spezielle Krankheit an sich, sondern um die Ausweglosigkeit der Situation. Die wird hier von einer unheilbaren Krankheit vorgegeben, aber welche unheilbare Krankheit das ist, spielt wahrscheinlich keine große Rolle.

Florian David Fitz: Bei allen Spielfilmen sind spezielle Krankheitssituationen und dergleichen eigentlich nur ein Rahmen, um etwas Allgemeingültiges zu erzählen. Ziel ist immer, etwas zu erzählen, das jeden berührt. Wenn du wirklich über eine bestimmte Krankheit erzählen willst, musst du eine Doku machen. Wie über alle anderen Krankheiten gibt es auch über ALS sehr gute Dokus. Wir haben eine gesehen und ich glaube mehr als da erzählt wurde, kann man gar nicht erzählen.

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Tod ist für den Film zentraler Bestandteil, aber der Tod, der zu einem selbst kommt, wird in der Gesellschaft oft tabuisiert. Was haltet ihr von der Einstellung, Leben sei zum Leben da und Gedanken an den Tod stünden dem entgegen?


Julia Koschitz: So zu denken halte ich für absolut legitim. Ich glaube, das muss jeder für sich entscheiden und zwar immer wieder aufs Neue. Zu unterschiedlichen Zeiten des eigenen Lebens ist die Meinung dazu sicher nicht konstant. Aber in irgendeiner Lebensphase sollte man sich wahrscheinlich schon mit dem Tod befassen, weil er uns alle ereilen wird. Ich glaube die Akzeptanz dessen ist schwieriger, wenn man es ausblendet und sich später davon überraschen lässt.

Victoria Mayer: Ich glaube, die Beschäftigung damit ist definitiv eine Frage des Alters. Wir alle sind wie wir hier sitzen langsam in einem Alter, in dem der Gedanke daran näher rückt. Schon alleine durch unsere Eltern. Wenn man jünger ist hat man eben eine größere Distanz dazu und das ist auch legitim. Aber ich glaube, irgendwann wird man auf natürlichem Weg konfrontiert.

Florian David Fitz: Es geht eigentlich nur darum, am Ende loslassen zu können. Wie du das schaffst, ist dir überlassen. Wenn du ein Mensch bist, der nicht darüber nachdenken muss: Wunderbar, gratuliere. Wenn du einer bist, dem die Auseinandersetzung beim Loslassen hilft, dann ist das eben der Weg. Woran ich aber auf gar keinen Fall glaube ist ein Negativeffekt durch die Auseinandersetzung. Zu wissen, dass man sterben wird, kann einem doch nur fürs Leben etwas bringen. Es kann einem zum Beispiel Entscheidungen erleichtern. Im Buddhismus sagen sie, der Blick vom Sterbebett aus hilft bei schweren Entscheidungen, weil er Wichtiges leichter von Unwichtigem unterscheiden lässt…

Hin_und_Weg_Miriam_Stein Miriam Stein: … ich finde, das passt auch ganz gut zum Film. Dass man sein Leben genießen soll, ist für mich eine Hauptaussage. Mach‘ schöne Dinge mit deinen Freunden, verliebe dich, tanz‘ im Regen. Dabei hilft das Bewusstsein über die Begrenztheit unserer Lebenszeit doch auch. Keiner weiß, wie lange er noch hat…

Julia Koschitz: … so wie es Dominic im Film sagt: Das Leben ist zu kurz - zu wenig Sex. (lacht) Im Grunde ist das der Kernsatz von "Hin&Weg". Sex kann man selbstverständlich austauschen. Mit Apfelkuchen oder was auch immer einen sonst glücklich macht.

Kennt ihr selbst so etwas wie "Lebensdruck" und "Erfüllungsdruck", der durch das Bewusstsein des Todes entsteht?


Florian David Fitz: Ja, natürlich. Ich glaube aber, dass man dazu nicht mal ein Bewusstsein über die Begrenztheit der eigenen Lebenszeit besitzen muss. Diese Art von Druck hat viel mit den Medien zu tun, finde ich. Von außen werden wir darauf gedrillt, dass wir die tollste Beziehung, die schönste Frau, die perfekten Kinder haben müssen. Wie brauchen den besten Job, müssen die höchsten Berge erklimmen und alles, was dazwischen liegt, hat keinen Wert. Der "Normalität" von Leben den Wert abzusprechen halte ich für falsch und sogar gefährlich.

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Inwieweit ist das für den Film relevant?


Julia Koschitz: Ich glaube, in "Hin&Weg" geht es darum, das Leben zu leben, das einen glücklich macht. Sobald sich die Vergänglichkeit derart greifbar vor Augen manifestiert, stellt sich diese Frage wahrscheinlich zwangsläufig und sie stellt sich jedem für sich. Das große Glück sind für das Individuum in der Regel nicht die großen Abenteuer oder die plakativen Dinge, die von den Medien auf die Gesellschaft projiziert werden.

Florian David Fitz: Im Film sehe ich beide Seiten: Den Druck und dessen Überwindung. Ich finde, die Aufgaben werden für die Truppe zu einer Art Manie: Man muss dies noch machen und sollte das noch gemacht haben. Erst der Moment am Strand verwäscht diese Besessenheit. Alle sind da und es passiert nichts. Man ist einfach nur. Es wurde lange darüber geredet, was am Strand passiert und eigentlich hat es sich erst bei den Dreharbeiten so ergeben. Für mich ist es der schönste Moment des Films. Ich kann absolut nachvollziehen, dass Hannes da zum ersten Mal sagt, dass es für ihn in Ordnung ist. Eben gerade deshalb, weil in dem Moment nichts konstruiert, gemacht oder erfüllt wird. Man ist einfach nur da - in dem Augenblick, so wie er einem geschenkt ist.

Volker Bruch: Es gab im Entstehungsprozess haufenweise Vorschläge für die Umsetzung dieses Moments. Man hatte irgendwie immer das Gefühl, in ihrem letzten Moment zusammen muss irgendetwas Tolles und Großartiges passieren, das alle Erlebnisse vorher in den Schatten stellt. Es gab dazu irre Ideen und es hat ein bisschen gedauert, bis gerade der Verzicht auf den Aktionismus als das Großartige und Tolle erkannt wurde.
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ALS ist ein unwiderrufliches Todesurteil. Vorsorge gibt es bisher nicht. Wie sinnvoll ist es öffentliches Bewusstsein zu schaffen? Sorgt das nicht eher für Schrecken als sich positiv auszuwirken?


Miriam Stein: Na ja, aber da wäre es ja dasselbe zu sagen, man möchte nicht wissen, dass es Kriege, AIDS oder Ebola gibt.

Florian David Fitz: Für die ALS-Vereinigung oder die Forschung ist das öffentliche Bewusstsein wegen Spendengeldern wichtig. Aber eine schwierige Frage bleibt das trotzdem, denn wie alles im Leben hat auch diese Art Bewusstsein mehrere Seiten. Dass einige Betroffene vielleicht nicht an die Krankheit erinnert werden wollen, ist nachvollziehbar. Dasselbe gilt für den öffentlichen Wunsch, nicht über alle noch so schrecklichen Dinge Bescheid wissen zu wollen. Ebenso nachvollziehbar ist aber auch der Standpunkt der Vereinigung, die eben doch an die Existenz der Krankheit erinnern muss.

Habt ihr das Gefühl, dass diese zwei Seiten auch für das Publikum von "Hin&Weg" eine Rolle spielen?


Julia Koschitz: Vorhin in Nürnberg hat jemand aus dem Publikum uns gefragt, ob wir uns den Film ansehen würden, wenn wir ihn nicht gemacht hätten. Da kamen wir ins Grübeln: Wenn man einen netten Abend haben möchte, schaut man sich dann einen Film übers Sterben an? Natürlich gibt es da immer ein Zurückschrecken. Manche Dinge will man manchmal eben nicht wissen und das ist auch ok. Ich glaube für solche Themen eine Öffentlichkeit zu schaffen, ist trotzdem wichtig. Die Betroffenen einer solchen Krankheit sind sonst wahnsinnig alleine.

Miriam Stein: Ich finde unser Film ist ein sehr schöner Ansatz. Ich bin berührt und ich weine, aber im Kino zu weinen finde ich eher schön. Der Schluss ist auch für mich als Zuschauer eine Erleichterung.

Florian David Fitz: Wenn man sich auf den Film beziehen möchte, dann glaube ich, wie bei jedem anderen Film entscheidet die eigene Geschichte darüber, wie man ihn empfindet. Die überwältigende Mehrheit des Publikums hat das Ende bisher aber eher als Happy End empfunden. Ich habe auf der Kino-Tour regelmäßig gefragt, wie es den Leuten unmittelbar nach dem Film geht. Die meisten haben geantwortet, sie würden sich wünschen, selbst so gehen zu dürfen wie Hannes oder sie kennen jemanden, für den sie sich das gewünscht hätten.

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ALS ist eine degenerative Erkrankung, deren Ursache unbekannt ist. Ganzheitliche Ansätze meinen, degenerative Erkrankungen werden begünstigt, weil der Mensch heute nicht mehr lebt, wie eigentlich vorgesehen…


Florian David Fitz: Da ich kein Mediziner bin, kann ich diesen Zusammenhang weder verifizieren, noch ausschließen. Ich glaube aber, sogar wenn ein Zusammenhang besteht, ist es schwierig ihn aufzulösen. Wie wir leben, liegt am Lauf der Zeit und wie sollen wir die Zeit aufhalten? Wir können den Zeitgeist nicht komplett umdrehen. Die einzige Möglichkeit wäre es dann, sich selbst herauszuziehen: Mit einem Aussteigerleben irgendwo an einem See in Chile zum Beispiel.

Julia Koschitz: Ich glaube, auf diese Frage geht bei jedem von uns ein komplett anderer Film ab. In Bezug auf degenerative Krankheiten will ich das nicht unbedingt beantworten. Aber sich mal wieder die Frage zu stellen, ob wir das richtige Leben leben...

Florian David Fitz: ... finde ich einen super Ansatz.

Julia Koschitz: Ja, für mich ist das in unserer Gesellschaft die Frage schlechthin. Was machen wir eigentlich in diesem Konsum- und Arbeitswahn? Wir schauen zu, wie die Schere weiter aufgeht und beobachten den Anstieg von Ungerechtigkeit und Ungleichgewicht. Das finde ich durchaus überdenkenswert. Meiner Meinung nach sollte da definitiv gehandelt werden. Im weitesten Sinn kann man diese Frage wahrscheinlich auch vor dem Hintergrund von "Hin&Weg" betrachten. In Relation zu der Szene am Strand, wo es einfach nur um das Sein geht, stellt sich mir auf jeden Fall die Frage, welchen Nichtigkeiten wir in dieser Gesellschaft eigentlich hinterher hecheln.

by Sima Moussavian / Photos Copyright: Wolfgang Ennenbach / Majestic