Portrait zu Paul Bettany aus Captain America 3: The First Avenger: Civil War
Der englische Schauspieler Paul Bettany steht vor allem für eines: Vielfältigkeit. Seine Rollenauswahl ist so abwechslungsreich, wie bei wenigen anderen Darstellern. Seinen schauspielerischen Durchbruch hatte er mit „Gangster No. 1“, für den er von den British Independent Film Award als bester Darsteller und von den London Film Critics' Circle Award als bester britischer Newcomer des Jahres nominiert wurde. Wir trafen den 44-Jährigen zum Interview in Berlin zu seinem neusten Film The First Avenger: Civil War“. Ein Portrait.

Paul Bettany wurde am 27. Mai 1971 in London als Sohn von Anne und Thane Bettany geboren. Das künstlerische Talent scheint er von ihnen geerbt zu haben. Anne war Sängerin, Theatermanagerin und Inspizientin, sprich Koordinatorin von Theaterstücken. Thane war Tänzer, Schauspieler und Theaterlehrer. Das Interesse für das Bühnen- und Schauspiel wurde Paul also in die Wiege gelegt. Allerdings hätte es auch anders kommen können. Denn ein Schicksalsschlag brachte das Leben des damals 16-Jährigen durcheinander. Sein jüngerer Bruder starb im Alter von acht Jahren, als er vom Dach einer Tennishalle stürzte. Bettany verließ kurz darauf die Schule, ging von zu Hause weg und verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Gitarre spielender Straßenmusiker. Seine Eltern ließen sich bald darauf scheiden. Bettany fand eine Anstellung in einem Altenheim und begann mit 19 Jahren ein dreijähriges Studium am Drama Centre London, gelegen im Nordwesten der Stadt, in Chalk Farm. Dort wurde sein herausragendes Talent erkannt. So gab er sein Bühnendebüt in Stephen Daldrys vielgelobtem „An Inspector Calls“ am Aldwych Theatre. Danach konnte er eine gute Rolle nach der anderen ergattern. Bald wurde auch das Fernsehen auf ihn aufmerksam. Wie die meisten Schauspieler musste sich Bettany nach oben arbeiten und spielte in Serien wie „Die Scharfschützen“ an der Seite von Sean Bean eine Minirolle.
Sein Kinofilmdebüt gab er 1997 im Holocaust-Drama „Bent“ an der Seite von Clive Owen, Jude Law und Ian McKellen. Nach und nach etablierte sich Bettany und machte sich einen Namen als ein Darsteller, der eine bemerkenswerte Vielfalt und Wandlungsfähigkeit vorweisen konnte. Seinen großen Durchbruch hatte er im Jahr 2000 in „Gangster No. 1“, wo er die Hauptrolle spielte, bei den British Independent Film Awards als bester Schauspieler nominiert war und vom London Critics’ Circle als Britischer Newcomer des Jahres. Nun folgten Auftritte in großen Filmen an der Seite großer Stars. In „A Beautiful Mind“ spielte er eine der Wahnfiguren von Russell Crowes Filmcharakter John Forbes Nash Jr.; in „Dogville“ den idealistischen Hobbyschriftsteller Tom Edison, der sich in Nicole Kidmans Filmcharakter verliebt, in „Master & Commander – Bis ans Ende der Welt“ ergatterte er die größte Nebenrolle als Schiffsarzt Stephen Maturin und agierte erneut an der Seite seines Freundes Russell Crowe.

Diese Auflistung seiner bekanntesten Projekte verdeutlicht, wie abwechslungsreich Paul Bettanys bisherige Figuren waren und noch immer sind. Nur ein Film fehlt in dieser Auflistung, denn das Beste kommt bekanntlich zum Schluss. Seine bekannteste und am stärksten im Gedächtnis haften bleibende Rolle ist der sich selbst geißelnde, tiefgläubige Opus-Dei-Albino-Attentäter Silas in „The Da Vinci Code – Sakrileg“ an der Seite von Tom Hanks, Ian McKellen und Jean Reno.
Die Liebe führte Bettany vor 15 Jahren nach New York. Er heiratete seine Schauspielkollegin Jennifer Connolly, mit der er noch heute verheiratet ist, einen Sohn und eine Tochter hat und zog nach Brooklyn. Zuvor lebte er knapp 30 Jahre in London. Doch welche der beiden Weltmetropolen bevorzugt er?
„Es fühlt sich sehr nach Zuhause an, wenn ich nach London komme. Aber wenn ich dann zurückfliege, lande und die Skyline von New York sehe, denke ich auch: Zuhause. Ich wohne nun ein Drittel meines Lebens in New York. Das ist also schon sehr meine Heimat. Ich weiß aber nicht, ob ich immer dort sein werde.“
Seinen britischen Akzent hat sich Bettany allerdings bewahrt. Schief angeguckt wird er im Big Apple aber nicht:
„Nein, das ist New York City. Das ist die multikulturellste Stadt der Erde. Jeder ist dort. Jeder versteht dich und deinen Akzent. Daniel (Anmerkung Brühl) zieht dort nächstes Jahr hin.“
Brühl schätzt laut Bettany den Multikulturalismus New Yorks, denn: „Ich denke, er fühlt sich sehr fremd in Los Angeles und es ist unmöglich, sich in New York City fremd zu fühlen.“
Seine Aussagen untermalt er mit klar strukturierter Gestik. Bereits zu diesem frühen Zeitpunkt des Interviews ist sein Charisma spürbar. Es ist schon jetzt ersichtlich, warum man in Hollywood kein schlechtes Wort über ihn verliert und weshalb so viele große Schauspieler wie Johnny Depp oder Russell Crowe bereits mehrfach und dem Vernehmen nach gerne mit Bettany zusammenarbeiteten. Denn geht er auf seine Gesprächspartner ein, respektiert sie, nimmt ihre Fragen ernst und sich für die Beantwortung Zeit.
Vielleicht auch dank seines Umzuges, vor allem aber aufgrund seiner prägenden, klaren Stimme und seiner vorherigen Filmografie wurde es möglich, dass Bettany in den drei „Iron Man“-Filmen und „Marvel´s The Avengers“ eine Sprechrolle übernahm und dort Jarvis vertonte, Tony Starks künstlich erschaffene Intelligenz.

Wenn der Drehtag vorbei war, sollte Bettany sich das Make-up schichtweise abtragen lassen. Er gab jedoch zu, es sich einfach abzureißen, weil es ihn schon zuvor seine ganze Konzentration kostete, dies nicht zu tun. Diesem befreienden Akt liegt eine simple Begründung zugrunde. Seine Sicht war durch Kappe und Make-up sehr eingeschränkt, was sich nach einem langen Drehtag natürlich als störend erweist, weshalb sich Bettany einen Kniff überlegt hat:
„Du musst einen wirklich ruhigen Ort in deinem Kopf finden, denn es ist klaustrophobisch. Es ist das schwierigste Spezialeffektskostüm und es sind die schwierigsten Prothesen, die ich je tragen musste. Das sage ich ohne Murren zu wollen. Es ist unkomfortabel, aber dafür werde ich ja sehr gut bezahlt. Das wiederum bedeutet aber nicht, dass es am fünften Tag in Folge in diesem Outfit und mit all dem Make-up nicht anstrengend ist.“ Auf die Frage, welche Szene für ihn am schwierigsten zu drehen war, antwortete Bettany nicht spezifisch, sondern verdeutlichte die mitunter harten Bedingungen an einem Filmset: „Wann immer ich draußen in Atlanta bei 40 Grad Außentemperatur in meinem Kostüm war. Das ist dort eine Herausforderung für uns alle gewesen. Jeder sieht fünf Minuten fantastisch aus. Dann beginnst du allerdings zu schwitzen und das Make-up zerfließt. Ich musste dann sogar eine Rennfahrerweste tragen, die kaltes Wasser um dich pumpt. Das hat wirklich funktioniert, denn es hielt deine Temperatur unten.“
Zu dieser klimatischen Belastung kam hinzu, dass die Drehtage lang waren. „Um die zwölf Stunden am Tag. Wie gesagt, der erste Tag ist gut. Der zweite auch. Der dritte – puh. Nach dem vierten Tag gehst du ins Bett und dein Kopf fällt aufs Kopfkissen und der Alarm geht an und du schreckst hoch.“
Dabei war das sieben Stunden später. Angefühlt habe sich das wie Sekunden. Wieder in dieses Outfit zu schlüpfen, war da keine verlockende Aussicht. „Du musst wirklich darüber meditieren, wie viel Glück du hast und an die lange Reihe der Schauspieler denken, die liebend gerne in deiner Position wäre.“

Die nächste Frage – ob Vision oder Scarlet Witch stärker ist - beantwortete er diplomatisch, wahrscheinlich, um keinem den Spaß an der Diskussion zu nehmen: „Wow, das ist eine tolle Frage. Ich weiß gar nicht, ob ich sie richtig beantworten kann. Sie haben beide Fähigkeiten. Es ist unmöglich zu beantworten, weil wir das ganze Ausmaß ihrer Macht nicht kennen.“ Noch nicht. Denn wer weiß, was in „Civil War“ und den beiden kommenden „Avengers: Infinity War“-Filmen passiert?
Anschließend verdeutlichte Bettany, dass es viele Darstellerinnen und Darsteller gibt, die ihn inspirieren: „Meryl Streep ist wahrscheinlich meine liebste Schauspielerin aller Zeiten. Gary Oldman, Marlon Brando, Paul Newman, Daniel Day-Lewis, Mark Rylance, es gibt viele.“ Diese Auflistung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da ihm spontan nicht alle Namen einfallen konnten. Das wiederum war der Grund dafür, dass er etwas weiter ausholte und seine Leidenschaft für seine und die Arbeit anderer verdeutlichte: „Ich liebe Filme von überall. Ich denke, es ist genug Platz für alle Sorten Film. Was dir erzählt wird ist, dass du einen Film wie diesen (Anmerkung: Civil War) machst und bekommst dadurch die kleineren Filme finanziert. Das ist wahr und das ein Teil des Grundes, weshalb du es tust. Jeder, der schon mal einen Film gedreht hat, weiß, wie schwierig solche Filme zu machen sind und das Niveau von Künstlertum, das hier beteiligt ist. Dann findest du dich selbst an diesen Sets wieder und hast eine unglaubliche kreative Zeit und unglaublich kreative Diskussionen mit wirklich interessanten Regisseuren und großartigen Kameraleuten und du lernst die besten Spezialeffektsleute der Welt kennen. Das hier ist ein sehr großer Film, der sehr viel Geld kostet und auf der gesamten Welt funktionieren muss. Der Cast beginnt sich in eine andere Welt hineinzudenken und die Themen, die der Film behandelt sind komplex. Deshalb sind sie auch sehr erfolgreich. Die Filme bevormunden die Zuschauer nicht. Das ist erstaunlich für einen Popcorn-Film.“
Was auch die finanzielle Erfolgsformel für die Marvel-Filme ist. Andere Punkte des Erfolges erklärte Anthony Russo, der mit Bettany und weiteren Stars in Berlin war, auf der Pressekonferenz.
Einen der im Vergleich zu „Civil War“ kleineren Filme, auf die er sich schon sehr freut und „die Aufregung“ bereits jetzt spürt, ist „Official Secrets“, zu dem die Dreharbeiten laut übereinstimmenden Medienberichten bereits im Mai beginnen sollen. Und der Cast des Agententhrillers kann sich wahrlich sehen lassen und hört sich so gar nicht nach einem Independent-Film an. Neben Natalie Dormer spielen auch Sir Anthony Hopkins, Harrison Ford, Martin Freeman, Tahar Rahim und Gillian Anderson mit. Dem Vernehmen nach soll die Riege der namhaften Schauspieler in den nächsten Wochen und Monaten noch größer werden. Regie wird Justin Chadwick führen, der sich mit „Mandela: Der lange Weg zur Freiheit“, „Die Schwester der Königin“ und „Der älteste Schüler der Welt“ einen Namen machte. Bettany beschreibt den Film wie folgt:
„Es ist ein Film über einen observierenden Journalisten mit dem Namen Martin Bright und einer Frau, die zum GCHQ (Anmerkung: britischer Nachrichtendienst und Sicherheitsdienst) möchte. Eine Spionin namens Katharine Gun, die eine sehr mutige Frau war, die eine Whistleblowerin wurde und die fehlende Beweise enthüllt hat. Ein Mandat für den Irakkrieg. Darum geht es in diesem auf wahren Begebenheiten beruhenden Thriller.“
Bright ist Bettanys Part, der damit die größte männliche Rolle besetzt, Gun wird von „Game of Thrones“-Schauspielerin Natalie Dormer verkörpert. Die Ausgangslage der Geschichte und die Besetzung lassen auf einen guten Film hoffen. Der Film beruht auf dem Buch „The Spy Who Tried To Stop A War: Katherine Gun and The Secret Plot to Sanction the Iraq Invasion“ von Marcia und Thomas Mitchell und soll 2017 in die Kinos kommen.
Auch danach wird Bettany dem Zuschauer erhalten bleiben. Ein Schauspieler seines Kalibers findet immer gute Rollen. Natürlich werden einige zu Recht sagen, dass er mit „Legion“, „Priest“, „Transcendence“ und „Mortdecai“ zuletzt einige Flops in seinem Repertoire hatte. Doch sein Beitritt ins Marvel-Universum, seine Verkörperung von Vision und sein kommender Film lassen und seine Beliebtheit lassen auf viele weitere gute Projekte hoffen.
by Stefan Bröhl / Photos by Stefan Bröhl | Marvel/The Walt Disney Company/Hanna Boussouar