YVONNE CATTERFELD würde gerne einen Gospel-Chor gründen: Interview Zum Kinostart von "Die Trapp Familie"


Hast du vor den Dreharbeiten schon von der Trapp-Familie gehört?

Ja. Meine ersten Berührungspunkte mit der Familie Trapp liegen ungefähr zehn Jahre zurück. Ich war damals mit dem RNB- und Soul-Sänger Eric Benét auf einer Promotion-Tour für ein gemeinsames Duett. Er hat mir dann erzählt, dass „The Sound of Music“ sein Lieblingsfilm ist. Als ich das Cover gesehen habe, musste ich erstmals schmunzeln. Juli Andrews im Dirndl passte auf den ersten Blick nicht wirklich zu ihm und ich konnte mir gar nicht vorstellen, dass er diesen Film wirklich gut findet. Dann haben wir den Film aber zusammen geguckt. Er konnte jeden Text und hat von Schnitzel bis Strudel Wort für Wort den Text gewusst und alle Lieder mitgesungen. Dadurch hatte ich eine wirklich positive Erstberührung mit den Trapps, aber meiner Erfahrung nach ist die Familie in meiner Generation kaum jemandem ein Begriff. Als ich den Leuten erzählt habe, dass ich bei „Die Trapp Familie – ein Leben für die Musik“ mit dabei bin, konnten nur die wenigsten etwas damit anfangen. In Österreich sind die Trapps enorm bekannt, aber in Deutschland kennt man sie deutlich weniger. Deshalb glaube ich, dass der Film eher als Geschichte an sich berühren wird. Yvonne Catterfeld Die Trapp Familie

Wie hat sich dein Blick auf die Trapps durch die Dreharbeiten verändert?

Manchmal bekommt man einen kritischeren Blick, wenn man hinter die Kulissen sieht. Je mehr Informationen man hat, desto mehr sieht man Dinge in Relation. Damals habe ich den Film nicht weiter hinterfragt und dachte: Ok, so sind die Trapps also. Georg von Trapp wirkte durch den Film erst mal relativ militant. In Wirklichkeit war er aber ein sehr liebevoller, einfühlsamer und ruhiger Vater. Im Zuge der Vorbereitung haben wir viele Gespräche geführt, die mich das Trapp-Bild von „Sound of Music“ hinterfragen haben lassen. Auch Dokumentationen und Internet-Recherche hat dazu beigetragen. Die vorausgegangenen Filme über die Trapps habe ich mir natürlich angesehen, aber Ben (Verbong) sagte dann, dass ich sie über Bord werfen soll. Er wollte mich meine eigene Figur finden und erst dann an die zuvor recherchierten Informationen anlehnen lassen.

Deine Figur Maria befindet sich zu Beginn des Films in einer Außenseiterrolle. Kennst du diese Rolle?

Ich glaube, in dieser Rolle findet man sich immer dann wieder, wenn man mit etwas Neuem beginnt. Wer zum Beispiel in eine neue Arbeitswelt hineinsieht, fühlt sich wegen der mangelnden Erfahrung erst mal als Außenseiter. Man fühlt sich unsicher. Das war mir bei der Darstellung von Maria besonders wichtig: Ich wollte ihre Unsicherheit darstellen. Sie überspielt ihre Unsicherheiten dadurch, dass sie nach vorne geht. Da ich selbst Erfahrungen mit dem Thema Patchwork-Familie gemacht habe, konnte ich die Rolle „der Neuen“ vielleicht noch besser nachvollziehen. Mein Mann hatte bereits eine Tochter, als wir uns kennengelernt haben. Wir waren aber schnell ein Herz und eine Seele.

Formt sich die Unsicherheit von außen oder ist sie ein rein innerer Vorgang?

Beides bedingt sich gegenseitig. Im Film nimmt Maria die Impulse von außen wahr und ist deshalb verunsichert. Von Agathes Seite begegnet ihr Ablehnung und daraus entwickelt sich ihre Unsicherheit. Wie man auf diese Unsicherheit reagiert, ist eine persönliche Entscheidung. Und das Handeln macht letztendlich den Charakter aus. Zeige ich die Unsicherheit oder überspiele ich sie? Das war für mich bei der Vorbereitung der Rolle eine interessante Frage. Maria kommt als Nanny in die Familie. Daher muss sie Autorität ausstrahlen und kann es sich kaum erlauben, ihre Unsicherheiten zu zeigen. Das sind für die Trapp-Geschichte entscheidende Faktoren. Ich wollte deshalb nicht einfach klischeehaft Unsicherheit darstellen.

Was bedeutet Familie für dich?

Zu meiner Familie gehören alle Menschen, die mir besonders nahe stehen. Meine Patchwork-Familie ist für mich zum Beispiel eine Vergrößerung meiner Familienstruktur und eine große Bereicherung. Ich glaube, wenn man mit seiner Familie zusammen ist, fühlt man sich egal wo man ist zuhause. Das ist ein großes Glücksgefühl und ich bin sehr dankbar dafür.

Der Film thematisiert familiäre Konflikte. Einer davon ist besonders menschlich: man wünscht sich, Teil einer Gemeinschaft und trotzdem eine eigene Person zu sein. Wie kriegt man das unter einen Hut?

Die Grundlage dazu ist meiner Meinung nach die Akzeptanz, dass jemand eigenständig sein möchte und eine eigene Persönlichkeit sein will. Ich finde aber auch Grenzen sehr wichtig. Gerade für Marias Rolle einer Nanny ist das ein wichtiger Punkt. Ich habe die Großfamilien-Erfahrung nicht, weil ich keine Geschwister habe. Trotzdem glaube ich, dass das Thema Grenzen und Durchsetzungsvermögen in einer Großfamilie eine noch größere Rolle spielt. Jeder will seinen Platz finden. Wenn man seinen Platz in der Familie findet, tut man sich bei der Platzsuche in der Welt ein bisschen leichter. Wenn man den eigenen Platz in der Familie nie findet, ist man vermutlich immer ein Stück weit auf der Suche. Agathe fühlt sich von Maria im Film von ihrem Platz verdrängt. Als ich damals meinen Mann, der bereits eine Tochter hatte, kennengelernt habe, hatte ich großes Glück: Eifersucht oder Verlustängste haben keine große Rolle gespielt. Jeder hat sich seinen Platz gesucht und den Platz des anderen geachtet. Ich glaube, darum geht es. Man nimmt niemandem etwas weg, sondern sucht sich seine eigene Rolle.

Yvonne Catterfeld Die Trapp Familie

Im Film geht es um Loslassen. Tust du dich mit Loslassen leicht?

Ich glaube, dass man im Loslassen idealerweise immer besser wird. Für mich ist es ein wichtiges Thema: An was hältst du fest? Klammerst du dich an Vergangenes? Hältst du am Schönen fest oder vielleicht sogar an Ängsten? Manche Menschen lassen Verhaltensmuster nicht los. Andere halten Gegenstände fest oder wollen Menschen nicht loslassen. Im Film gibt es diesen Moment, in dem die Trapps ihre Koffer packen. Da stellt man sich die Frage, was man selbst in seinem Koffer hätte. Was würde ich loslassen? Was würde ich halten wollen? Ich kenne zum Beispiel jemanden, der Reduktion lebt. Er hat nur wenige Gegenstände zuhause und tut sich mit dem Reisen dadurch zum Beispiel leichter als andere. Auch im Bezug auf Menschen kann das relevant sein. In meinem Song „Lieber so“ spielt Loslassen im Zusammenhang mit einer bevorstehenden Trennung eine Rolle. Lieber so als zu spät – lieber lässt man los, als dass man sich selbst verliert. Auch das Loslassen von schlechten Energien ist ein relevantes Thema, obwohl wir uns dem oft nicht bewusst sind. Ich vergesse zum Beispiel gerne schlechte Erfahrungen. Es einfach gut sein zu lassen, kann einen in bestimmten Situationen von längst vergangenen Emotionen befreien.

Was macht das Loslassen so schwierig?

Die Gedanken machen uns Loslassen schwer. Um loszulassen, muss man ein Stück weit den Kopf ausschalten. Auf sein Bauchgefühl zu hören und sich generell nicht so viele Gedanken zu machen, kann eine Herausforderung sein. Oft ankern die Ängste, die uns vom Loslassen abhalten, lediglich in den Gedanken. Ein Gedanke muss aber nicht zwingend real sein, sondern ist an sich erst mal nicht viel realer als ein Hollywoodfilm. Er ist eine wenig reale Vorstellung oder Illusion. Das macht uns das Loslassen oft schwerer, als es eigentlich ist oder sein müsste. In diesem Zusammenhang ist das Loslassen von Vergangenem ein großes Thema. Eigentlich ist das Vergangene für das Jetzt nur minder relevant. Wir tragen unsere Vergangenheit als Erinnerungen mit uns herum, aber für den gegenwärtigen Moment müssen sie keine Rolle spielen. Gerade wenn es schlechte Erinnerungen sind, lohnt sich das Loslassen. Wer wirklich im Jetzt lebt, tut sich mit dem Loslassen meiner Meinung nach leichter. Das klingt erst mal pathetisch, aber Leben im Moment ist tatsächlich ein befreiteres Leben.

Alle Trapps erfinden sich im Film neu. Man sagt gerne, dass das Sich-neu-erfinden die Essenz von Leben ist. Wie siehst du das?

Sich neu zu erfinden bedeutet für mich Veränderung und Veränderungen sind für mich einerseits etwas Schönes, aber andererseits auch etwas Beängstigendes. Ich finde, zu Veränderungen muss man bereit sein. Manchmal muss es sogar bestimmte Lebenssituationen geben, die einen dazu zwingen. An vielen Situationen kommt man ohne eine Veränderung der eigenen Person oder der eigenen Sichtweisen einfach nicht vorbei. Ich finde Menschen mit großem Veränderungssinn bewundernswert. Einige Bekannte von mir ziehen ständig um, gehen permanent neue Wege und haben keine Angst vor dem, was da wartet. Viele Menschen laufen aus Bequemlichkeit, Gewohnheit oder Angst vor Veränderung weg. Den Mut zur Veränderung finde ich an Menschen bewundernswert. Sie folgen einem Impuls oder Instinkt und denken manchmal gar nicht viel darüber nach.

Die Musik spielt im Film vor allem als kommunikative Instanz und gemeinschaftsbildende Kraft eine Rolle. Was macht die gemeinschaftsbildende Kraft der Musik aus?

Ich war zuletzt bei „Sing meinen Song“. Wir alle wussten überhaupt nicht, was da auf uns zukommt. Wir wussten, dass die Staffel von den Menschen vor Ort lebt und mit der vorausgegangenen Staffel wenig zu tun hat. Wir wussten also, dass es anders wird, aber nicht, wie es werden wird. Als ich die Namen der Kollegen gehört habe, war ich gespannt, was passieren wird. Wir waren derart unterschiedliche Menschen, dass wir oberflächlich betrachtet ein wild zusammengewürfelter Haufen waren. Im Rückblick zeigt sich, dass wir perfekt zusammen gecastet wurden – wahrscheinlich ohne dass das jemand erwartet hätte. Was uns da verbunden hat, war wirklich die Musik, zumindest zunächst, denn wir hatten eine gemeinsame Leidenschaft. Alle Beteiligten leben für die Musik und das spürte man. Am Anfang war ich skeptisch, ob in Shows wie dieser Freundschaften entstehen können, weil Freundschaft für mich ein sehr großes Wort ist. Mittlerweile kann ich sagen, dass wirklich Freundschaften entstanden sind – mit Christina Stürmer telefoniere ich zum Beispiel regelmäßig. Im Zusammenhang mit der Show habe ich die gemeinschaftsbildende Kraft der Musik zum letzten Mal richtig gespürt. Ich spüre sie aber auch, wenn ich an Weihnachten zu einem Gospel-Konzert gehe. In diesem Raum hat man ein komplett einheitliches Gefühl von Nächstenliebe und Mitgefühl. Alle fühlen sich miteinander verbunden. Wenn ich religiös wäre, würde ich wahrscheinlich selbst einen Gospel-Chor gründen. (lacht)

Yvonne Catterfeld Die Trapp Familie

Dass im Film eine Familie die Koffer packt und aus dem Land flieht, ist mit der Flüchtlingssituation tragischerweise aktueller denn je. Was nimmt das Publikum in diesem Zusammenhang idealerweise aus dem Film mit?

Wahrscheinlich rechnet man erst mal gar nicht damit, dass der Film in diesem Zusammenhang relevant ist. Ich glaube auf jeden Fall, dass man diesen Film heute definitiv mit anderen Augen sieht, als man ihn vor einem Jahr gesehen hätte. Das Bewusstsein dafür ist heute ein anderes. Das Positive am Film ist meiner Meinung nach, dass man eine einzelne Familie kennenlernt und mit dieser Familie mitfühlt. Wenn man sie dann flüchten sieht, hat man einen persönlichen Bezug zu ihnen. Man sieht nicht mehr die Massen oder die Millionen, sondern man sieht eine Familie, die man vorher kennengelernt hat und mit der man mitleidet. Ich glaube also, dass man idealerweise mit etwas mehr Empathie aus dem Film geht. Vielleicht entwickelt man ein besseres Verständnis für die Flüchtlingssituation und fühlt den Wunsch nach einem neuen Platz im Leben nach.

Im Film gibt es einen Dialog zwischen Maria und Agathe: die beiden schmieden einen Plan, um Georg von der Flucht zu überzeugen. Sie handeln dabei in seinem besten Interesse, aber manipulieren ihn, um ihn retten zu können. Rechtfertigt guter Wille eine Manipulation?

In dem Fall von Maria, Agathe und Georg würde ich sagen: ja. Es ist aber tatsächlich Manipulation. Für mich als Schauspielerin ist Manipulation ein spannendes Thema. Ich habe mich mit Manipulationstaktiken mit einem Schauspielcoach beschäftigt. Wenn ich an eine Szene herangehe, dann hat jede Figur ein Ziel und ein Hindernis. Was will ich, dass der andere fühlt oder tut? Manchmal ist das gar kein bewusster, sondern ein unbewusster Akt. Bei der Szene aus dem Film ist die Manipulation die einzige Lösung zur Zielerreichung. Maria und Agathe wissen, dass die Familie auseinanderbrechen oder Georg sogar in Lebensgefahr geraten wird, wenn sie diesen Schritt nicht gehen. Insofern heiligt der Zweck sozusagen die Mittel. Die beiden machen es auf eine sehr liebevolle Art und Weise und Georg durchschaut ihren Plan relativ schnell. Manchmal muss man solche Taktiken also eventuell anwenden. Grundsätzlich finde ich aber, dass man mit Manipulation immer vorsichtig umgehen muss.

Die Trapp Familie - Ein Leben für die Musik startet am 12. November 2015 in den deutschen Kinos



by Sima Moussavian / Photos Copyright: Concorde Filmverleih