27. Filmfest Dresden - International Short Film Festival

Seit fast einem Jahr verbindet man Dresden landesweit oft nur noch mit negativen Assoziationen. Pegida und ihre Ausläufer haben einen Schatten auf diese schöne Stadt geworfen und vermitteln ein Bild von einer Stadt, die von Fremdenhass und irrationalen Ängsten regiert wird. Doch Dresden ist weit mehr als das und in diesem Sinne wurde auch das 27. International Short Film Festival ausgerichtet. Die Gestaltung des Festivalkatalogs, der Werbeträger sowie der Trailer, welche von der letztjährigen Preisträgerin Susann Maria Hempel gestaltet wurde und 160mal allein auf dem Filmfest zu sehen waren, zeigt die Liebe zu Dresden und vermittelt die Botschaft, dass Dresden sich ein friedvolles Miteinander und einen offenen Umgang wünscht. Die Botschaft lautet: Dresden ist nicht Pegida, Dresden ist weltoffen und tolerant.

Doch am meisten sprach das Programm des Filmfestivals für sich, denn in diesem Jahr konnte der gewillte Zuschauer Beiträge aus 36 Ländern erleben. Neben den Wettbewerben gab es wieder viele Sonderprogramme. Insgesamt konnte man dort 200 weitere Filme sehen. Darunter waren Kinder- und Jugendprogramme, eine Reihe Animationsfilme aus Japan "Carte Blanche", Filmblocks zu sensiblen Themen wie Alter und Behinderung und es gab auch wieder einen Fokus auf Mitteldeutschland. Zu den Neuerungen dieses Jahres zählte die Zusammenarbeit mit dem Visgrád Forum, eine mehrtägige Open Air-Veranstaltung auf dem Neumarkt und die Vergabe eines Filmtonpreises mit einer separaten Jury. Insgesamt wurden Preise im Wert 65.000 Euro vergeben und damit gehört das Filmfest Dresden zu den höchstdotierten Kurzfilmfestivals Europas. Ausgetragen wurde das Filmfest wieder an vielen Stellen in Dresden, darunter die Kinos Schauburg, Thalia und Programmkino Ost sowie die Theater ‚Das kleine Haus‘ des Staatsschauspielhauses und das Societaetstheater.

Wettbewerbe
In den beiden Wettbewerben, dem nationalen und internationalen Wettbewerb, traten 71 Filme aus 36 Ländern gegeneinander an. Diese wurden aus 2500 Einreichungen ausgewählt. Im internationalen Wettbewerb traten 49 Kurzfilme in den Wettstreit. Dabei ist den Festivalbetreibern wieder eine ausgewogene Mischung aus ernsten und unterhaltsamen Themen gelungen. Die Beiträge waren meist hochwertig und darunter befanden sich einige filmische Perlen. Besonders beeindruckend waren die Filme "Flea", der kraftvoll und mit einem gerappten Off-Kommentar die Geschichte von einem tyrannischen Stiefvater erzählt, und "Atis", der mit drastischer Deutlichkeit die gesellschaftlichen Missstände anprangert. Im Animationsfilmsektor sorgten die Filme "No time for toes" und "A single Life" (der auch für einen Oscar nominiert war) für große Unterhaltung. Doch bewegt haben vor allem die melancholisch geprägten Filme wie "Bear Story" und "We can’t live without cosmos". Der Gewinner des Goldenen Reiters in der Kategorie Spielfilm war der brasilianische Film "Heartless", der realitätsnah von der Jugendliebe eines angeblich herzlosen Mädchens erzählt. Der Animationspreis ging an den malerischen Film "Fugue for Cello, Trumpet and Landscape” aus Polen und mit dem niederländischen Film "Travellers into the night”, der ein kleines Meisterwerk der Low-Budget-Produktion darstellt, konnte das Herz der Jugendjury erobert werden.

Im nationalen Wettbewerb traten 22 Filme, gezeigt in jeweils vier Blöcken, gegeneinander an. Auch hier waren die Zuschauer wieder von den amüsanten Beiträgen wie den Animationsfilmen "Opossum" und "Whodunnit" sowie dem Spielfilm "Herman the German" besonders angetan. Im letzten genannten Debütkurzfilm von Michael Binz, der mit Gustav Peter Wöhler und Anke Engelke prominent besetzt wurde, sucht Herman seine ultimative Urangst und beschäftigt sich so mit allen auf der Welt vorhandenen Phobien. Da er vom Publikum so begeistert aufgenommen wurde, erstaunt es, dass der Film "Betonfrass" (ebenfalls verdientermaßen) den Publikumspreis bekommen hat. Auch Beachtung erhielten die halb-dokumentarischen, halb-animierten Filme "Bär" und "Aliennation", wobei der Letztgenannte den DEFA-Förderpreis erhielt. Die Goldenen Reiter gingen an den Spielfilm "We will stay in touch about it", der mehr Fragen aufwarf als er klärte, und den Animationsfilm "Däwit", der auch noch den Arte-Kurzfilmpreis erhielt. Die Jugendjury konnte sich für den Kunstfilm "Eat my dream", der vom Alltag in einer Fischfabrik erzählt, begeistern und der höchstdotierte Preis, der Filmförderpreis des Kultusministeriums, ging an den ergreifenden und schon sehr professional entwickelten Spielfilm "Pein" , in dem vom schweren Alltag auf einer Pathologiestation erzählt wird.

Sonderprogramme
Durch die erstmalige Kooperation mit dem Visgrád Forum gab es einige neue Programmpunkte und es wurde der Kontakt zu dem tschechischen Regisseur Jiri Menzel (*1938) hergestellt, welcher 1968 für seinen Film "Liebe nach Fahrplan" einen Oscar erhielt. Ein Block, in dem zwei Kurzfilme von ihm und sein Langfilm "Launischer Sommer" ("Rozmarné Léto", Tschechien, 1968) gezeigt wurden, gab Einblick in sein Oeuvre. Diesen konnte man noch beim anschließenden Gespräch vertiefen und bei der separat stattfindenden "Masterclass". Menzel betonte häufig in den Gesprächen wie mutig er es findet Kurzfilme zu machen und bestärkte die Wichtigkeit vor allem in heutiger Zeit solche Filme zu schaffen. Die "Masterclass" richtete sich vor allem an anwesende Filmemacher ebenso weitere Angebote wie Workshops und Branchentreff, so dass das Filmfest auch immer eine Gelegenheit für Filmschaffende bietet, sich untereinander verknüpfen zu können. Dieses Jahr wurde zum ersten Mal ein Goldener Reiter für die Kategorie Filmtonpreis von einer eigenen Jury vergebe. Der spanische Kurzfilm "Foley Artist", der auch im internationalen Wettbewerb lief, gewann den Preis. Passend zu diesem Thema gab es verschiedenen Filmblocks zum Thema Klangbilder und es wurde die begleitende Ausstellung "Ohne Ton kein Bild" in den Technischen Sammlungen eröffnet.

Von den weiteren Programmen fanden die Panorama-Reihe, vor allem der Filmblock "Panorama National – Ausweglos" sowie die Kurzfilme von "Short Matters", welche die Nominierten und Gewinner der Europäischen Kurzfilmpreises zeigte, welche durch ganz Europa auf Tournee gehen, Beachtung. Bei der Auswahl der Panorama-Reihe gab es diesmal eine Neuerung. Nicht wie in den vergangenen Jahren wurden hier besonders ausgefallene, ungewöhnliche und schräge Beiträge gezeigt, sondern Filme mit einem politischen Hintergrund. Dabei hinterließen vor allem Filme wie die Dokumentation "Germany Ilu Olokiki" und der Spielfilm "Geschützter Raum" einen starken Eindruck und führten zu (teilweise beängstigenden) Diskussionen im Publikum. In der "Short Matters"-Reihe bestimmten ebenfalls eher düstere oder realitätsnahe Themen die Stimmung. Sogar der anfänglich amüsante Animationsfilm "The Missing Scarf" kippte ins Melancholische über. Beeindruckend waren vor allem der deutsche Beitrag "Ich hab noch Auferstehung" und der Preisträger "The Chicken", die beide emotional berühren konnten.

Auch dieses Jahr gab es wieder einen Fokus auf Sachsen und Mitteldeutschland. Dabei fiel vor allem der Film des Poetry Slamers Roman Israel "Der Clou des Uhus" ins Auge. Auf der Mitteldeutschen Filmnacht im kleinen Schauspielhaus wurde der Dokumentations- und Crowdfunding-Film "The Journey of the Beasts" über eine Gruppe Skater, die durch Indonesien skaten, durchs anwesende Publikum ausgezeichnet.

Das Kinderprogramm, welches vor allem im Thalia gezeigt wurde, war auch dieses Jahr wieder sehr sehenswert. Diese Beiträge mauserten sich mittlerweile fast zu einem eigenständigen Filmfest, das stets gut besucht war. Durch die Einteilung in Altersgruppen und durch die medienpädagogische Begleitung wurden die Blocks noch lohnenswerter. Die ganz jungen Zuschauer wurden mit Animationsfilmen wie "Looks" und "La Fille aux cheveux de lin" sehr gut unterhalten und ihnen wurden zusätzlich zwischenmenschliche Probleme wie filmbezogene Themen näher gebracht. Aber auch die älteren Zuschauer bekamen informative, witzige und lehrreiche Filme präsentiert, darunter fielen vor allem die Dokumentation "Giovanni and the Water Ballet" ("Giovanni en het waterballet", Niederlande, 2014), das von einem Jungen handelt, der gerne Synchronschwimmer werden möchte, und der Spielfilm "Bunny New Girl" positiv auf. Beide erzählen beschwingt vom Anderssein und dessen doch eigentliche so einfacher Akzeptanz. Auch der Jugendsektor, dem jährlich ein Block gewidmet ist, der aber teilweise auch in den Wettbewerben läuft, wartete mit guten Filmen auf. Der irische Film "Swing" erzählt eindrucksvoll von einem Ereignis, das zwei Brüder zusammenschweißt. Vor allem aber beeindruckte der Spielfilm "Serena", der unverblümt von Jugendkriminalität in Luxemburg erzählt und den Goldenen Reiter mehr als verdient hätte.

Fazit
Im Gesamten war das 27. Filmfest Dresden wieder ein voller Genuss. Mit einem abwechslungsreichen Programm und vielen sehenswerten und erinnerungswürdigen Filmen wurde der Zuschauer sechs Tage lang hervorragend unterhalten. Dabei wurde aber nicht nur Wert auf leichte und amüsante Kost gelegt, sondern dem Zuschauer wurden, wie bereits die Jahre zuvor, auch schockierende, dramatische und aufrüttelnde Beiträgen gezeigt. Als einziger Wermutstropfen ist die starke Fokussierung auf Dramen und Komödien zu nennen. Es wäre schön, wenn die Festivalbetreiber die Palette diesbezüglich weiter ausbauen könnten. Das 27. International Short Film Festival war aber bei Jung und Alt ein voller Erfolg und trägt dadurch hoffentlich dazu bei, Dresden etwas von seinem schlechten Ruf zu nehmen und die Menschen zu einem Umdenken zu bewegen.

Die erwähnten Filme:
  • "Alienation" (Deutschland, 2014, R.: Laura Lehmus)
  • "A Single Life” (Niederlande, 2014, R.: Job, Joris & Marieke)
  • "Atis” (Kosovo / Deutschland, 2014, R.: Daniel Mulloy)
  • "Bär" (Deutschland, 2014, R.: Pascal Flörks)
  • "Bear Story”( "Historia de un Oso", Chile, 2014, R.: Gabriel Osorio)
  • "Betonfrass" (Deutschland, 2013, R.: Karsten Kranzusch)
  • "Bunny New Girl" (Australien, 2015, R.: Natalie van den Dungen)
  • "Däwit" (Deutschland, 2015, R.: David Jansen)
  • "Der Clou des Uhus" (Deutschland, 2014, R.: Roman Israel)
  • "Eat my dream" (Deutschland, 2015, R.: Jessica Dürwald)
  • "Flea" (UK, 2013, R.: von Vanessa Caswill)
  • "Foley Artist" (Spanien, 2013, R.: Toni Bestard)
  • "Fugue for Cello, Trumpet and Landscape” ("Fuga na wiolonczele, trabke i pejzaz”, Polen, 2014, R.: Jerzy Kucia)
  • "Germany Ilu Olokiki" (Deutschland, 2013, R.: Maria Kindling, Malte Fröhlich)
  • "Geschützter Raum" (Deutschland, 2014, R.: Zora Rux)
  • "Giovanni and the Water Ballet" ("Giovanni en het waterballet", Niederlande, 2014, R.: Astrid Bussink)
  • "Heartless" ("Sem Coração ", Brasilien, 2014, R.: Tião & Nara Normande)
  • "Herman the German" (Deutschland, 2015, R.: Michael Binz)
  • "Ich hab noch Auferstehung" (Deutschland, 2013, R.: Jan-Gerrit Seyler)
  • "La Fille aux cheveux de lin" (Deutschland, 2014, R.: Ulrike Baumann)
  • "Launischer Sommer" ("Rozmarné Léto", Tschechoslowakei, 1968)
  • "Liebe nach Fahrplan" ("Ostre sledované vlaky", Tschechoslowakei, 1966)
  • "Looks" (Deutschland, 2014, R.: Susann Hoffmann)
  • "No time for toes" ("Viis Varpaista”, Finnland, 2013, R.: Kari Pieskä)
  • "Opossum" (Deutschland, 2014, R.: Paul Cichon)
  • "Pein" (Deutschland, 2014, R.: Ulrike Vahl)
  • Serena (Luxemburg, 2014, R.: Eric Lamhène)
  • "The Chicken" (Deutschland, Kroatien, 2014, R.: Una Gunjak)
  • "The Journey of the Beasts" (Indonesien, Deutschland, 2011, R.: Sebastian Linda)
  • "The Missing Scarf" (Irland, 2013, R.: Eoin Duffy)
  • "The Swing” (Irland, 2014, R.: Damien Dunne)
  • "Travellers into the night” ("Reizigers in de Nacht, Niederlande, 2013”, R.: Ena Sendijarevic)
  • "We can’t live without Cosmos” ("Mi ne mozhem zhit cosmosa”, Russland, 2014, R.: Konstantin Bronzit)
  • "We will stay in touch about it" (Deutschland, 2015, R.: Jan Zabeil)
  • "Whodunnit" (Deutschland, 2014, R.: Jim Lacy & Kathrin Albers)


by Doreen Matthei
Photos © Martin Jahn