Tár

Tár (2022), USA
Laufzeit: - FSK: 12 - Genre: Drama
Kinostart Deutschland: - Verleih: Universal Pictures Intl.

Tár Filmplakat -> zur Filmkritik

Inhalt

Lydia Tár (die zweifache Oscar®-Preisträgerin Cate Blanchett, Blue Jasmine, Aviator) hat es geschafft. Die begnadete Dirigentin hat sich in der von Männern dominierten klassischen Musikszene durchgesetzt und befindet sich auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Mit ihrem Orchester plant sie eine mit Spannung erwartete Einspielung von Gustav Mahlers Fünfter Sinfonie. Doch während der Proben gerät die Welt der Star-Dirigentin immer mehr ins Wanken: Nicht nur die Beziehung mit ihrer Konzertmeisterin (Nina Hoss, Yella) gestaltet sich zunehmend kompliziert, auch frühere Lebensentscheidungen, Anschuldigungen und ihre eigenen Obsessionen drohen sie einzuholen. In den darauffolgenden Wochen entgleitet ihr die Kontrolle über ihr eigenes Leben immer mehr …

Cate Blanchett, Mark Strong und Noémie Merlant | mehr Cast & Crew


Filmkritik Tár

Filmwertung: | 10/10


Nach fast einem halben Jahr nach der ursprünglichen Premiere auf den Filmfestspielen von Venedig startet nun der neueste Film von Todd Field’s auch endlich in Deutschland. Dabei hat sich das Werk mit Cate Blanchett in der Hauptrolle in der Zwischenzeit auch schon zu einem der aussichtsreichsten Oscarkandidaten hochgearbeitet. Insbesondere die Performance, der vorhin erwähnten Protagonisten wird dabei als Highlight des Kinojahres gewertet. Doch kann das Gesamtwerk auch in sich funktionieren oder überstrahlt die Hauptdarstellerin den eventuell sonst so schwachen Film? Dies erfahrt ihr in meiner Kritik zu „Tár“.

Lydia Tár (Cate Blanchett) ist eine erfolgreiche amerikanische Dirigentin, welche es sich zur Aufgabe gemacht hat, in Berlin ein deutsches Orchester anzuführen. Doch in der Öffentlichkeit wird Tár nicht nur positiv aufgenommen, denn viele Medien hinterfragen insbesondere ihre strengen und rücksichtslosen Methoden. In der deutschen Hauptstadt angekommen muss sich Tár nun mit ihrem eigenen Ego sowie ihrer Präsenz herumschlagen, um eine unvergessliche Aufführung zu kreieren.

Wenn man nicht wüsste, dass es sich bei „Tár“ um ein fiktives Werk handelt, könnte man glatt davon ausgehen, Zeuge eines 2 ½ stündigen Biopics zu sein. Denn bei kaum einem Film zuvor wurde eine Figur für mich so realistisch und menschlich erschaffen wie hier. Und so bestehen die ersten 15 Minuten des Filmes auch nur aus einem Interview, in welchem wir nach und nach die wichtigsten Meilensteine der namensgebenden Dirigentin kennenlernen. Das ganze fühlt sich dabei wirklich täuschend echt wie aus einer Dokumentation an. Jedes Wort aus den Lippen von Blanchett hört sich dabei nicht nach einem geschriebenen Dialog, sondern nach einer wirklichen Konversation an. Hier kann man nur Hochachtung vor Todd Field als Autor zeigen, da solch ein Fingerspitzengefühl nur den wenigsten Autoren gelingt. Parallel wird in dieser Eröffnungsszene jedoch auch deutlich, in welche Richtung sich das Werk inszenatorisch bewegen wird. Denn statt auf ein Schnittgewitter mit ein Dutzend verschiedenen Kameraperspektiven wird das Ganze stattdessen gezielt mit weniger, aber kontrollierter Bewegung erzählt. Auf den Höhepunkt wird dieser Stil dann relativ zu Beginn in einer minutenlangen Plansequenz getrieben. Als Zuschauer hat man während der gesamten Szene die Erwartungshaltung, dass der endliche Bewegungsradius der Kamera irgendwann mal zu einem Ende kommen muss. Doch diese Annahme bricht Field’s mit jeder weiteren Minute, in der die Kamera schonungslos auf das Geschehen hält. In den vergangenen Jahren wurde ja insbesondere der von Sam Mendes inszenierte „1917“ für seine lange Kamera von den Kritikern gelobt, doch in Zukunft wird sich für mich jede weitere Plansequenz mit der aus „Tàr“ messen lassen müssen.

Denn während die meisten Filme diese Technik nur für die eigene Selbstbeweihräucherung nutzen, wird das ganze hier auch noch dramaturgisch durch eine fesselnde Szene unterstützt. Denn „Tár“ ist ein Film, der sich mit vielen heute relativen Themen auseinandersetzt. Und genau in dieser angesprochenen Szene geht es unter anderem um die selbstauferlegte „Cancelculture“. Doch während es sich viele moderne Werke einfach machen und Partei ergreifen, überlässt hier Field’s ganz bewusst diesen Entschluss dem Zuschauer. Und diese Entscheidung kann ich nur in den höchsten Tönen loben: Es ist befreiend, selber einmal in einem Film mitdenken zu müssen. Diese ambivalenz zieht sich auch durch den kompletten Film. Denn es liegt immer an uns, zu entscheiden, wen wir selber als gut oder böse betrachten. Diese Art der Charakterzeichnung erinnert dabei stark an Werke aus früheren Tagen wie Martin Scorsese’s „Taxi Driver“, bei welchem der Meisterregisseur auch nie mit einem Zeigefinger auf seine Hauptfigur Travis Bickle gezeigt hat.

Durch diese unkonventionelle Art des Erzählens fiebern wir trotz moralisch schwierigeren Szenen immer mit Tár mit. Besonders die letzten 20 Minuten des Filmes fühlen sich dabei wie ein zum Leben erwachter Fiebertraum an. Gekrönt wird das ganze dann schlussendlich noch durch eine der besten Szenen der letzten Jahre. Und so kann ich jedem Kinogänger, der sich seit Jahren darüber beschwert, dass die Filmlandschaft immer mehr verweichlicht, diesen Film nur ans Herz legen.

Fazit:
„Tár“ zeigt uns Kino auf einem absoluten Höhenniveau. Selten gelingt es einem Film, die verschwindenden Komponenten so harmonisch miteinander zu vereinen, um eine einzigartige Seherfahrung zu schaffen. Alleine schon wegen Cate Blanchett’s Performance ist das ganze schon ein Pflichtprogramm für Cineasten. Aber auch darüber hinaus weiß der Film in jeder einzelnen Disziplin zu überzeugen. Ich kann daher mit reinem Herzen keinen einzigen Grund nennen, warum man sich dieses Spektakel auf der Leinwand entgehen lassen sollte.
by Phillip Schwellenbach

Bilder © Universal Pictures Intl.