Red Rocket

Red Rocket (2022), USA
Laufzeit: - FSK: 16 - Genre: Komödie
Kinostart Deutschland: - Verleih: Universal Pictures Intl.

Red Rocket Filmplakat -> zur Filmkritik

Inhalt

Im Mittelpunkt der schrägen Komödie steht Mikey Saber (Simon Rex), ein abgehalfterter Pornostar, der nach fehlenden Jobanageboten und Geldnot in seine kleine texanische Heimatstadt zurückkehrt. Seine Noch-Ehefrau Lexi (Suzanne Son) ist wenig begeistert und nimmt ihn nur widerwillig bei sich auf. Um Geld zu verdienen, beginnt Mikey Gras zu verkaufen. Er lernt die 17-jährige Strawberry (Bree Elrod) kennen, Angestellte eines Donut-Ladens und wittert seine große Chance. Er verführt sie und will das Mädchen als Eintrittskarte zurück in die Pornoindustrie nutzen.

Simon Rex, Suzanna Son und Bree Elrod | mehr Cast & Crew


Filmkritik Red Rocket

Filmwertung: | 8/10


Viel (positives) wurde bereits über Sean Bakers (Tangerine, The Florida Project) neuen Film Red Rocket geschrieben, der seine Premiere im Juli 2021 bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes feierte und ab Mitte April 2022 auch in den deutschen Kinos zu sehen sein wird. Regisseur Baker, der bekannt für seine authentischen und intimen Milieustudien ist, lotet in seinem neuen Werk kühn die Grenzen des Antiheldentums aus und vermengt dabei luzide und in hypnotisierend satten Bildern großes Elend mit großem Humor.

Baker ist ein Regisseur mit einer Mission. In einem Interview mit der Los Angeles Times im August 2020 sagte er über seine Arbeit: „Ich bin ein Verbündeter (marginalisierter Gruppen) und habe meine Karriere buchstäblich dem Erzählen von Geschichten gewidmet, die Stigmata beseitigen und Lebensstile, die unter gesellschaftlichem Beschuss stehen, normalisieren.“ Dieser aufklärerische Anspruch Bakers an sein eigenes Werk zieht sich mit beeindruckender Konsequenz durch seine Gesamtfilmografie: Immigranten, Obdachlose, Sexarbeiter – Baker befördert sie aus der gesellschaftlichen Peripherie in den narrativen Mittelpunkt, ohne dabei die feine Grenze zum Voyeurismus zu überschreiten. Mit viel Feingefühl zeichnet er seine Protagonistinnen und Protagonisten, bettet sie in ausschweifende Milieukulissen, die manchmal echter als das echte Leben scheinen, und verleiht ihnen eine Komplexität und Menschlichkeit, die das enge Korsette gesellschaftlicher Stereotype sprengen und beim Publikum eine emotionale Ambivalenz erzeugen, die manchmal nur schwer zu ertragen ist.

Simon Rex in Red Rocket
Simon Rex in Red Rocket © Universal Pictures
In Red Rocket geht diese ungeheure Ambivalenz vor allem (aber nicht nur) von der Hauptfigur aus, dem von Simon Rex (Scary Movie Franchise) grandios gespielten Ex-Pornodarsteller Mikey Saber. Selten wird ein Publikum so gespalten sein wie bei der Bewertung dieses schillernden Charakters – ein gewissenloser Narzisst und Opportunist, dessen Charme und Unbefangenheit eine Sogkraft haben, der man sich scheinbar weder auf noch vor der Leinwand entziehen kann. Da kann Mikey, der mit Mitte 40 und nach einer gescheiterten Karriere als Pornodarsteller aus Los Angeles in sein Heimatkaff an die texanische Golfküste zurückkehrt, sich auch in noch so parasitärer Manier bei Noch-Ehefrau Lexi (Bree Elrod) einnisten, sich seinen Weg durch die Armenviertel und Industriekulissen seiner Kindheit wieseln, die Menschen um sich herum belügen und betrügen – insgeheim steht das Publikum doch auf der Seite dieses eigentlich unsäglichen Charakters. Spätestens in der zweiten Hälfte des Filmes, wenn Mikey in der 17-jährigen Strawberry sein Ticket zurück an die Spitze der Pornoindustrie von L.A. erkennt und beginnt, das Mädchen in bester Loverboy-Manier von einer Karriere in der Sexindustrie zu überzeugen, dann muss ganz klar sein, dass Mikeys Kapriolen, so naiv-amüsant und rhetorisch gewandt sie auch verpackt, die Taten eines lupenreinen Narzissten sind, der in völliger Missachtung für seine Umwelt und Mitmenschen handelt, für den jeder zwischenmenschliche Kontakt ein Mittel zum Zweck ist und der sein eigenes Vorankommen über das aller anderen stellt.

Suzanna Son in Red Rocket
Suzanna Son in Red Rocket © Universal Pictures
Ist das noch Antiheld oder schon Bösewicht? Red Rocket macht keine Anstalten, diese Frage zu beantworten. Überhaupt ist der Film ein Lehrstück im Ertragen von Ambiguität – das gilt nicht allein für die Figur des Mikey, sondern auch für die zahlreichen anderen tragischen Protagonisten und Protagonistinnen. Besonders an dem schüchternen Lonnie zeigt sich beispielhaft das realgesellschaftliche (und auch politische) Dilemma von marginalisierten Gruppen. Lonnie, der sich in seiner Freizeit in Shopping-Malls als Veteran ausgibt und bei einer Massenkarambolage auf dem Highway (bei der er zwar am Steuer saß, die aber eigentlich von Mikeys Impulsivität verursacht wurde) Fahrerflucht begeht, wird von seinen Mitmenschen schwer verurteilt. Selbst Mikey, der es ja eigentlich besser wissen müsste, hat für Lonnies Veteranen-Scharade nichts als Verachtung übrig. Dass der junge Mann aber vor allem ein Produkt seiner harschen Lebensumstände ist, der tragische Verlust der Mutter, seine Unsicherheit und Perspektivlosigkeit, so offensichtliche all das auch ist, es will doch niemand sehen; all seine positiven Seiten, seine Hilfsbereitschaft und Offenheit, sie scheinen in dem Moment, in dem er einen Fehler begeht wie nie dagewesen. Stattdessen wird er zur Zielscheibe einer kollektiven Wut, die die Welt in Gut und Böse aufteilt und in dieser Dichotomie kaum Zwischentöne zulässt. Eine Parabel für die politische USA der Trump-Ära und für eine gelähmte Unterschicht, die in ihrem Elend blind für das Gemeinsame ist und sich in Angst und Wut gegenseitig selbst zerfleischt. Dabei ist Lonnie weder gut noch böse, sondern einfach das vielschichtige Produkt einer unmenschlichen Lebensrealität, in der Menschen verrohen. Und dieses Urteil lässt sich auf fast alle Figuren in Red Rocket übertragen, selbst auf Strawberry, die zwar einerseits Opfer von Mikey Avancen ist, aber zugleich auch jemand, eigenen Ziele verfolgt, die so überhaupt nicht in das Opfer-Narrativ passen.

Bree Elrod in Red Rocket
Bree Elrod in Red Rocket © Universal Pictures
Dass der Film im Jahr 2016 spielt und damit während des Präsidentschaftsrennens zwischen Donald Trump und Hillary Clinton, ist kein Zufall. Immer wieder donnern im Hintergrund Trumps Reden aus dem Fernseher, der in Texas mit seinem populistischen Programm sowohl bei den Wahlen im Jahr 2016 als auch 2020 eine absolute Mehrheit einholte. Der trumpsche Politduktus, eine toxische Mischung aus Überlegenheitsdenken, Lügen und Angst, das Überleben des Stärkeren, ein schlecht gealterter amerikanischer (Alb-)Traum, all das spiegelt sich in Mikeys unbedingtem, rücksichtslosen Überlebens- und Erfolgswillen wider – ein zugleich zutiefst animalisches und zivilisatorisches Phänomen, mit dem sich jeder von uns auf die ein oder andere Art identifizieren kann. Und deshalb wollen wir für einen Moment jubeln, hoffen wir mit Mikey, weil etwas in uns sich hingezogen fühlt zu dieser Unverfrorenheit, diesem unbändigen Überlebenswillen und vielleicht auch zu der Zerstörung, die er hinterlässt.

Fazit:
Regisseur Sean Bakers gelingt es erneut in virtuoser Weise Licht auf die Schattenseiten der US-amerikanischen Gesellschaft zu werfen. Sein Film Red Rocket ist ein schonungsloses Porträt der amerikanischen Seele, ein drängendes Lehrstück im Aushalten von Ambiguität, das in Bildern von berauschender Intensität den Verlierern des American Dream den Platz auf der Leinwand einräumt, den sie verdienen.
by Jan Niklas Breuer

Bilder © Universal Pictures Intl.


Cast und Crew

Darsteller:
Simon Rex, Suzanna Son, Bree Elrod

Regisseur:
Sean Baker

Produzent:
Sean Baker, Alex Coco

Drehbuch:
Sean Baker