Filmwertung: |
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| 6/10 |
Der österreichische Regisseur Ulrich Seidl (*1952) fiel in den letzten Jahren vor allem mit seiner „Paradies“-Spielfilm-Trilogie auf („Paradies: Liebe“ (2012), „Paradies: Glaube“ (2013) und „Paradies: Hoffnung“ (2014)). Sein eigentliches Metier ist der Dokumentarfilm. Zu diesem kehrt er mit seinem neuesten Film „Im Keller“ (Originaltitel: „Im Keller“, Österreich, 2014) zurück.
Als Seidl im Jahr 2001 seinen Film „Hundstage“ drehte, stellte er fest, dass viele Österreicher ihre Freizeit am liebsten im Keller verbringen. Diese waren oft großzügiger ausgebaut als die oberen Etagen. Auch das eigentliche Wohnzimmer war meistens eher für repräsentative Zwecke geschaffen worden, als darin wirklich zu wohnen. Diese neue Erkenntnis faszinierte Seidl so sehr, dass er dadurch die Idee für diesen Film entwickelte. Einige Jahre später rückten durch die Fälle Fritzl und Kampusch die Österreicher und ihre Keller in ein neues, düsteres Licht. Diese Fälle lassen sich aus dem allgemeinen Gedächtnis nicht mehr wegdenken und verleihen dem Stoff eine weitere Konnotation. Der Keller ist ein Ort der Privatsphäre, in welchem Banales wie Unvorstellbares passieren kann.
Um in private Keller vordringen zu können, brauchte Seidl viele Jahre. Zwar zeigten viele gerne ihre Hobby- und Partykeller oder Abstell- und Waschräume, aber ihn reizten vor allem Räume abseits der Norm. Er suchte das verborgene Private und somit teilweise Extreme, was sich hinter den gutbürgerlichen Fassaden versteckt. Zusammengetragen hat er in seinem Film das Durchschnittliche wie das Außergewöhnliche. Man sieht gewohnte Bilder von Waschkellern, Jugendtreffs, rustikalen Partykellern aus einer anderen Zeit, und Räumen mit überdimensionierten Eisenbahnplatten. Der Zuschauer wird Zeuge, wie Waffen gereinigt und Schlangen gefüttert werden. Die meisten dieser Bilder fängt er ein, ohne dass die Dargestellten zu Wort kommen. Zudem zeigt er diese Räume jeweils nur für wenige Filmminuten, sodass sie einen kurzen Einblick vermitteln. Die längeren Handlungsstränge werden zusätzlich durch Interviews getragen (Untertitel wären für den deutschen Verleih hilfreich gewesen). Vorgestellt werden: Ein Jäger, der jedes Jahr nach Südafrika fährt, um exotische Tiere zu schießen. Ein Waffenstandbesitzer, der lieber Opernsänger geworden wäre. Und ein Dauersäufer, der im Keller lebt, während seine Ehefrau die obere Etage bewohnt, und der nationalsozialistische Memorabilien sammelt. Auch aus dem sexuellen Nähkästchen wird geplaudert: Eine masochistische Frau erzählt von ihrem Leben. Ein Mann, der einen besonderen Draht zu Prostituierten hat, und eine Herrin-Ehefrau, die in einer Beziehung mit ihrem Sklaven-Ehemann lebt, kommen ebenfalls zu Wort und geben Einblick in ihre Methoden. So spannt Seidl einen weiten Bogen und bildet ein Panoptikum aus Skurrilität, speziellen Vorlieben und Banalem ab. Nicht alle Szenen sind rein dokumentarisch. Um sein Konzept und seine Ideen umzusetzen, veränderte er manchmal auch Details oder verlegte gar den Ort der Handlung in den Keller. Auch die Art, in der Seidl die Menschen einfängt, wirkt nicht natürlich. Stets werden sie statisch, ohne Rührung, mehrere Minuten von der Kamera eingefangen, meist mit volksmusikalischer Untermalung. Sie sprechen nicht, sie blicken nur starr in Richtung der Betrachter. Diese Art der Aufnahmen ist typisch für den Regisseur Seidl und führt zu einer extremen Zurschaustellung der dokumentierten Personen. Ihm ist Humor in seinen Filmen immer wichtig gewesen, doch ist es fraglich, ob es der richtige Weg ist, durch eine gewollt überinszenierte Darstellung sich über die Vorlieben anderer lustig zu machen. Obwohl der Film nur 81 Minuten lang ist, entsteht durch diese eigenartige Inszenierung ein Gefühl der Länge. Der Zuschauer, der nicht gewillt ist, sich auf diesen Stil einzulassen, wird sich an der einen oder anderen Stelle eine kürzere und knackigere Darstellung wünschen. Auch empfindet man eine gewisse Art von Mitleid für die Personen, die in dieses starre Konzept gepresst wurden, da sie wie in früheren Schaukabinetten ausgestellt werden. Die Tiefe gewinnen nur die Protagonisten, die sich aus dieser Starre befreien und agieren und erzählen dürfen. So verlieren viele der Hobbys und Vorlieben das Skurrile und bieten interessante Einblicke in für viele Zuschauer fremde, wenn auch nicht unbekannte Welten.
Fazit: Seidls Film „Im Keller“ dringt in die Keller der Österreicher ein und zeigt mit schonungslosem und starrem Blick, wie die Menschen ihre Freizeit oder manchmal ihr ganzes Leben in unterirdischen Räumen verbringen. Dabei schafft er es, ein breites Spektrum einzufangen und den Blick auf Außergewöhnliches zurichten. Leider verzichtet er auf eine natürliche Inszenierung und stellt damit seine Protagonisten auf unerfreuliche Weise zur Schau.
by Doreen Matthei