Filmwertung: |
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| 4/10 |
Der chinesische Universalkünstler, Dissident und Menschenrechtler Ai Weiwei (*1957) dürfte eine der schillerndsten und populärsten Persönlichkeiten der gegenwärtigen internationalen Kunstszene und Politik sein. Heute vor allem für seine weltweiten regimekritischen Ausstellungen bewundert und gefürchtet war und ist Weiwei auch in Literatur, Musik und Architektur aktiv. Was für viele verwundernd sein mag, ist die Tatsache, dass seine künstlerische Keimzelle indes der Film ist. Seit 2004 als Dokumentarfilmer tätig, lanciert Weiwei nun mit
Human Flow sein erstes großes dokumentarisches Werk, das wohl sehr schnell wie so gut wie alle seine Kunstwerke Weltrenommee erhalten wird.
Kinder im Kutupalong Camp Ukhia (Bangladesch) © 2017 Human Flow UG
Human Flow zeigt mit großem kontrapunktischen ästhetischen Anreiz das Alltagsleben von Flüchtlingen in Migrationslagern in insgesamt 23 Ländern der Welt. Dabei treten die medial momentan am stärksten präsenten Lager wie diejenigen an den östlichen und südlichen Außengrenzen der EU in Griechenland, Ungarn und Italien gleichberechtigt neben eher unbekanntere im Libanon oder in Jordanien. Der Film arbeitet weitgehend ohne erkennbaren roten Faden im Collageverfahren mit Einblendungen von Schlagzeilen aus großen Tageszeitungen, dichterischen Sentenzen, Rechtsnormen und allgemeinen Informationen zum Thema. Immer wieder tritt auch der Regisseur selbst im Film auf, zieht Flüchtlinge aus dem Boot, kocht für sie, spendet ihnen Trost. Seine beinahe Omnipräsenz lässt
Human Flow mithin nicht zu einem Film über das Flüchtlingsthema werden, sondern zu einem Erlebnisbericht Ai Weiweis, der sich für jenes interessiert und dafür die Welt mit der Kamera umreist hat.
Lesbos (Griechenland) © 2017 Human Flow UG
Die große doch auch weitgehend einzige Stärke des Films ist seine visuelle Kraft, das geschilderte humanitäre Elend paradoxerweise in monumentaler Pracht abzubilden. So fingen die insgesamt zwölf Kameraleute – darunter neben dem Regisseur selbst auch Stilikone Christopher Doyle – unter immerwährenden Einsatz von Helikopter- und Kranfahrten bestechende Bilder großer ästhetischer Wirkung ein. Ob diese einen gezielten Kontrapunkt zu den damit gezeigten Katastrophenzuständen bilden oder nur den Gestus l'art pour l'art bedienen, bleibt rätselhaft. Feststeht, dass ohne die Schönheit der Kamerabilder vom Film letztlich nichts mehr übrig bliebe.
So wird
Human Flow zum Beispiel auch nicht von einem wahrhaft instruktiven Charakter angetrieben, weswegen man ihn sich als schlichten Interessenten des Sujets ansehen und goutieren könnte. Die häufigen Einblendungen von Fakten rund um das Flüchtlingsthema und der Gehalt der Aussagen in den Interviews meist obzwar hoher Repräsentanten der Vereinten Nationen geben zumeist die basalsten und selbstverständlichsten Grundinformationen wieder und scheuen jede tiefere Ursachenforschung.
Ai Weiwei in Camp Idomeni (Griechenland) © 2017 Human Flow UG
Schlimm wiegt weiterhin die Tatsache, dass es Ai Weiwei anscheinend in keinster Weise auf das Darbieten von Lösungsmöglichkeiten der momentanen Migrationszustände weltweit ankommt. Neben Instruktivität mangelt es dem Film damit auch an Konstruktivität. Es bleiben mithin 140 Minuten der zu Mitleid, Trauer und Wut animierenden starren Deskription. So darf denn auch bezweifelt werden, dass
Human Flow zu irgendeinem Zeitpunkt in Konzeption, Dreh oder anschließender Montage überhaupt wirklich ein Drehbuch zugrunde lag. Eine Struktur oder einen roten Faden vermisst man schmerzlich, der Auftritt von Ländern wie Bangladesch zu Beginn oder Mexiko gegen Ende des Films wirkt wie eine genauso aufgepfropfte wie ungereimte Verwertung des vielen Rohmaterials. So glanzvoll und prächtig die Fotografie des Films sein mag, so wenig organisch und ausgefeilt ist seine Montage. Gerade diese mag jedoch eine der Grundkomponenten eines jeden guten Dokumentarfilms sein.
Menschen unterwegs in der Nähe von Camp Idomeni (Griechenland) © 2017 Human Flow UG
Lobenswert bleibt schließlich zu erwähnen, dass
Human Flow wohl der erste Dokumentarfilm ist, der den Versuch eines genuin weltumspannenden Einblicks in Flüchtlingslager aller Nationen unternimmt. Mögen die Migrationen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, mitunter auch aus Somalia die im Moment medial am stärksten erwähnten und womöglich faktisch virulentesten sein, so lenkt der Film sein weites geopolitisches Augenmerk etwa auch auf die Situation in Bangladesch und Subsahara-Afrika.
Fazit: Lobenswerter Dokumentarfilm über die Flüchtlingsströme und -lager unserer Zeit, der zwar auf visueller Ebene zu überzeugen vermag, doch ohne großen Ansporn im Gestus der Deskription verharrt und damit belanglos und oberflächlich wirkt.
by ehemaliger Mitarbeiter