Filmographie Brett Morgen
Brett Morgen hat in folgenden Filmen mitgewirkt, als:Regisseur:

Cobain: Montage of Heck
(2015)
Jane
(2017)
Moonage Daydream
(2022)Produzent:

Cobain: Montage of Heck
(2015)
Jane
(2017)Drehbuchautor:

Cobain: Montage of Heck
(2015)
Jane
(2017)
Moonage Daydream
(2022)Interview mit Brett Morgen
Du hast in einem Interview den Wunsch geäußert, Menschen mit dem Film ein besseres Verständnis davon zu geben, was ein Kurt Cobain Shirt repräsentiert. Was repräsentiert es deiner Meinung nach?Wenn jemand ein Kurt-Shirt trägt, dann repräsentiert er für mich vor allem die Kunst in ihrer reinsten Form. Es ist, als trage man ein Picasso-Gemälde. Ich meine, für mich ist Kurt als Künstler in seinem Bereich auf einem absolut ähnlichen Level wie Picasso in seinem Gebiet. Auf eine Weise repräsentiert Kurt heute die Vergessenen, die Niedergeschmetterten, den Mystizismus und viele Arten des Leidens aber nicht jeder weiß, wieso man all das mit ihm in Verbindung bringt. Ich hoffe, dass MONTAGE OF HECK ein besseres Verständnis davon schafft, wie all diese Dinge in sein Dasein hineingespielt haben und wie diese Attribute überhaupt mit ihm in Zusammenhang stehen.

Das ist eine schwere Frage, weil die persönlichen Erfahrungen der einzelnen Zuschauer dabei immer die Hauptrolle spielen. Wie eng die Beziehung zum Dargestellten ist, hängt im Endeffekt bei jeder Art von Film von der eigenen Vergangenheit ab. Wenn ich die Frage aber beantworten müsste, würde ich sagen, dass es eher schwerer ist, was eine "echte" Beziehung betrifft. Berühmte Personen werden heroifiziert und stehen auf einem Treppchen, das mit einer echten Person nichts mehr zu tun hat, daher ist auch eine echte Beziehung schwerer aufzubauen. Das wollte ich mit meiner Doku aber erreichen. Ich wollte eine echte Person zeigen und hatte in diesem Fall Glück, weil ich bislang ungesehenes und ungehörtes Material gefunden habe, das diese Entmystifizierung ermöglicht hat und selbsterzählend war.
Der Film ist eher eine Erfahrung, als eine faktische Abhandlung von Kurts Person. War dir das wichtig?
Ja, das war mir enorm wichtig. Ich finde, ein Künstler muss das Medium seiner Kunst voll ausschöpfen und sich der Natur dieses Mediums entsprechend verhalten. Film halte ich für ein ideales Medium emotionaler Erfahrungen. Es ist kein Medium blanker Fakten. Mit Büchern wäre das zum Beispiel anders. Wenn ich ein Buch über Nirwana schreiben möchte, dann bringe ich alle Details mit ein, die ich kriegen kann. Ich erzähle die Geschichte mit allen faktischen Eckdaten. Wenn ich aber einen Film mache, sind Fakten nicht so wichtig, wie die visuelle und auditive Erfahrung. Wie alle Künstler hat Kurt mit seiner Kunst eine eigene Autobiographie geschaffen. Für eine Dokumentation eignet sich seine Person fast schon ideal, denn die selbst verfasste Biographie seiner Künste liefert auditiv und visuell alles, das man für einen Film braucht. Sein Nachlass ist einer der umfangreichsten Schätze an visuellen und musikalischen Erfahrungen überhaupt.
Wie offen für Eigeninterpretation ist MONTAGE OF HECK?
Ich mache gerne Filme, die dem Publikum Raum für ihre eigenen Schlüsse und Interpretationen lassen. Ich gebe ihnen gerne Material, das sie selbst vor ihrem persönlichen Hintergrund ausdeuten können. In diesem Sinn ist auch dieser Film ein eher offener Film, was persönliche Eindrücke angeht. Letztlich ist es ein sehr intimer Film, der aber auch mit Familie und Familienabstammung zu tun hat.
Was ist deine Eigeninterpretation von Kurt und hat sie sich mit dem Projekt verändert?
Meine Wahrnehmung von Kurt hat sich während der Arbeit an diesem Projekt ganz entscheidend verändert. Meine Wertschätzung von ihm als Künstler ist enorm gestiegen. In meinem Leben habe ich einige Menschen kennengelernt, die gleichzeitig mit mehreren Künsten befasst sind. Viele zeichnen und machen zur selben Zeit Musik oder Film, oder was auch immer. Trotzdem habe ich in meinem ganzen Leben nie einen Menschen getroffen, der künstlerisch derart vielseitig war, wie Kurt. Er konnte gar nicht anders, als Kunst zu schaffen. Seine Begeisterung für die Kunst und seine Hingabe waren pur und von begeisterungswürdiger Ehrlichkeit. Sein Romantizismus war vielleicht seine Orientierung, aber lange nicht die einzige Richtung. Das habe ich während der Arbeit an MONTAGE OF HECK herausgefunden.

Wenn ich mir zum Beispiel die Stones ansehe, habe ich nicht das Gefühl, dass einer von ihnen jemals so mit dem Erfolg zu kämpfen hatte, wie es bei Kurt der Fall war. Ich glaube aber letztlich, dass viele von Kurts Problemen tatsächlich ungelösten Kindheitstraumata entstammt sind. Wenn er auf die Bühne gegangen ist, war er selbstbewusst, was seinen Beruf betrifft, aber als Person ist er aufgrund seines Hintergrunds niemals selbstbewusst gewesen. Ich glaube, dass seine Kindheit in ihm ein großes Selbstwertdefizit zurückgelassen hat und wenn du dich selbst nicht magst, die ganze Welt dich aber studiert und verherrlicht, dann gibt dir das kein besseres Gefühl, sondern es verkrüppelt dich emotional. Ich habe ein gutes Gegenbeispiel: Im selben Jahrhundert hat es zwei Menschen gegeben, die die Stimme ihrer Generation genannt wurden. Einer von ihnen war Kurt, der andere war Bob Dylan. Dylan kam von einem stabilen Familienhintergrund in Minnesota. Wie Kurt war er in der Schule ein Außenseiter und fand niemanden, der ihn als Künstler verstehen konnte. Er hatte aber Eltern, die jeden Abend mit ihm zusammengesessen und gegessen haben. Das hat ihm Stabilität auf seiner Reise gegeben. Ich glaube, Kurt hat genau das gefehlt.
Wenn du von einem Selbstwertdefizit sprichst, wie glaubst du würde sich das in der Zeit des Internets auswirken? Wäre die Lage jetzt noch schlimmer?
Darüber habe ich mir oft Gedanken gemacht. Das Internet hat sich im Grunde durchgesetzt, kurz nachdem Kurt diese Welt verlassen hat. Was hätte er wohl gemacht, wenn es davor schon soweit gewesen wäre? Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das gut weggesteckt hätte. Für jemanden, der sensibel auf Kritik reagiert, ist das Internetzeitalter die Hölle. Man hat 24 Stunden am Tag die Möglichkeit, sich online die Meinung anderer Menschen anzusehen und Kritik an der eigenen Person aufzustöbern.
Wie hast du die bisherigen Reaktionen auf den Film empfunden?
Der Film hat gewaltige Reaktionen ausgelöst. Die positiven Reaktionen auf dem Sundance haben mit zum Beispiel durchaus glücklich gemacht, aber auf eine andere Weise, als es bei meinen bisherigen Projekten der Fall war. Der Beigeschmack dieses Filmprojekts bleibt ein trauriger. Es war für mich eine großartige Erfahrung, die wohl bewegendste überhaupt, aber die Thematik an sich birgt eine tiefe Traurigkeit.
Du wusstest, dass Kurts Familie diesen Film sehen wird. War der Druck auf dich dadurch noch höher?
Ja, es gab Druck, aber das war kein unangenehmer oder beängstigender Druck. Etwas anderes war es mit dem Druck, den ich aus eingefleischten Fankreisen erhalten habe. Kurt hatte etwas, das die Menschen in seinen Bann zog. Er hatte etwas, das einige Menschen bis zur Besessenheit getrieben hat. Damit hatte ich etwas zu kämpfen, denn sobald mein Name mit dem Projekt in Verbindung gebracht wurde, habe ich Morddrohungen erhalten. Ich finde nicht, dass ein Künstler für seine Arbeit jemals Morddrohungen begegnen müssen sollte - vor allem nicht, bevor die Arbeit überhaupt veröffentlicht wurde. Im Hinterkopf habe ich also riesengroßen Druck gespürt, aber die Tatsache, dass die Familie im Spiel war, hat es mir wenn dann leichter gemacht. Kurts Familie hat mich unterstützt und ich habe mich oft auf den Gedanken konzentriert, dass ich diesen Film schon alleine für Frances (Bean) machen möchte. Das ist mir gelungen und schon das hat mich von dem ganzen Restdruck abgelenkt.
Hat dir auch die Erfahrung mit deinem Rolling-Stones-Projekt geholfen, mit dem Druck umzugehen?
Ja, als ich den Film über die Rolling Stones gemacht habe, war auch ein ganzer Haufen Druck im Spiel. Du willst nicht der Kerl sein, der die Rolling Stones abgefuckt hat - genauso wenig willst du der Kerl sein, der Kurt Cobain abgefuckt hat. Es gibt bei dieser Art von Film also immer eine Verantwortung, aber du kannst sowieso nicht viel mehr tun, als dir vorzunehmen, dieses Projekt nicht zu verkacken (lacht).
Interview by Sima Moussavian