Filmwertung: |
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| 9/10 |
Jeder wird älter, aber nicht alle werden erwachsen'
Wir alle kennen sie, die Menschen, die schon zu Schulzeiten immer die Schönsten, die Beliebtesten und die Besten waren. Die, denen alles in den Schoß fiel und denen man eine glorreiche Zukunft prophezeite. Mit leichtem Hass sah man zu ihnen herauf und wünschte doch manchmal heimlich, dass man selber in ihren Schuhen stecken könnte. Mavis Gary, wunderbar gespielt von Charlize Theron, ist so eine Kandidatin: schön, erfolgreich und eine der wenigen ihres Jahrgangs, die es geschafft haben, ihre amerikanische Kleinstadt hinter sich zu lassen und in die Großstadt zu ziehen. Dass der Schein auch hier manchmal trügt und nicht alles Gold ist, was glänzt, zeigt uns 'Up in the Air' – Regisseur Jason Reitmann in der Tragikkomödie 'Young Adult'.
Mavis Gary, mittlerweile 37 Jahre alt, lebt in ihrer eigenen Welt. Zu Hause ist sie in einer kleinen Wohnung in einem unpersönlichen Apartmentblock in Minneapolis und alles andere als glücklich. Nur weiß dies keiner. Mavis verbringt die Tage damit, abwechselnd leer in den Fernseher oder auf ihren Laptop Screen zu starren und die Nächte mit Alkoholexzessen und bedeutungslosen One Night Stands. Eigentlich war sie prädestiniert für Erfolg: in der Schule hoch angesehen und beliebt, hat man von Mavis Gary Großes erwartet. Doch die einst erfolgreiche Jugendbuchserie, für die sie als Ghostwriter agierte, läuft nicht mehr und, anstatt nach vorne zu sehen, ist Mavis unfähig, los zu lassen. Zu sehr hängt sie an ihrer eigenen Vergangenheit und schwelgt in der Nostalgie ihrer Jugend. Bis ihr eines Tages eine fragwürdige Erleuchtung widerfährt: sie will ihren High School Freund Buddy Slade (Patrick Wilson) zurückgewinnen. Dass dieser frischgebackener Vater und verheiratet ist, bereitet Mavis dabei wenig Bedenken. Und so macht sie sich auf den Weg nach Hause, fest entschlossen, ihrem Leben endlich einen Sinn zu geben. Aber natürlich ist das alles nicht so einfach, wie Mavis es sich gedacht hat und, angekommen in Mercury, Minnesota, wird sie zum ersten Mal nicht nur mit ihrer glitzernden Vergangenheit, sondern auch mit ihrer tristen Gegenwart konfrontiert.
Irritiert stellt Mavis fest, dass sich in Mercury einiges verändert hat. Im Gegensatz zu ihr, haben sich die ehemaligen Mitschüler weiterentwickelt und sind erwachsen geworden. In einer Bar trifft sie auf Matt Freeholt der, gespielt von Patton Oswalt, das emotionale Herzstück des Films ausmacht und ihm wahre Wärme verleiht. Zu High School Zeiten wurde der kleine, pummelige Matt nicht nur von Schülern á la Mavis gemobbt, sondern auch von einer Bande Jungs so übel zugerichtet, dass er bis heute gehbehindert ist und sich selber als Krüppel bezeichnet. Dennoch scheint Matt Mavis gegenüber frei von jeglichem Groll und übernimmt den Part ihres nicht vorhandenen Gewissens, indem er versucht, sie davon abzuhalten, mutwillig Buddys Ehe zu zerstören. Man kann nich anders, als den unbeholfenen Matt gern zu haben und mit ihm zu fühlen, ohne, dass Reitmann hierbei zu sehr auf der Mitleidsschiene fährt.
Mavis scheint unfähig zu glauben, dass die Menschen mit ihren 'einfachen' Leben in Mercury glücklich sein können und fühlt sich, trotz ihrer Unzufriedenheit, maßlos überlegen und weltgewandt. Ihre Arroganz sorgt zwar für viele Lacher und macht sie auf eine seltsame Art und Weise liebenswert, ist aber hier und dort schon fast peinlich. Zumindest bis Alkohol und Enttäuschung sich in einem Nervenzusammenbruch vor der halben Stadt entladen. Erniedrigt und beschämt, beginnt Mavis, an ihrem Leben zu zweifeln und nach neuen Wegen zu suchen.
Wieder einmal hat es Reitmann geschafft, einen grandiosen Film über eine Figur zu kreieren, die ohne nennenswerte zwischenmenschliche Bindungen vor sich hin existiert und schließlich einen Weckruf erlebt. 'Young Adult' erinnert hier unweigerlich an Reitmanns letzten Erfolg 'Up in the Air', in dem George Clooney sich ähnlich fern der wahren Welt bewegt.
Obwohl Mavis eigentlich höchst unsympathisch sein sollte, vermag es Theron, ihren Charakter so zu verkörpern, dass man ihr ihre Fehler nachsieht und stetig hofft, dass sie das Ruder herum gerissen bekommt. Ausgestattet mit fast schwarzem Humor bietet 'Young Adult' viele herzhaft komische Momente, aber auch die Ernsthaftigkeit der Geschichte bleibt nicht unbeachtet. Mavis scheint gefangen in Nostalgie und in der imaginären Teenagerwelt, über die sie schreibt. Wenn man ihr dabei zuschaut, wie sie alles daran setzt, eine junge Famile zu zerstören, unfähig ist, deren echtes Glück zu erkennen und stattdessen nur von oben darauf herabblickt, überkommt einen als Zuschauer das Schaudern. Oft schämt man sich fast für Mavis, während diese selber nicht in der Lage scheint, ihr moralisch so falsches Handeln zu verstehen. Dennoch ist das Zuschauen ein Genuss, denn ein Charakter wie Mavis schafft es selten zur Hauptrolle und Reitmann zeichnet ein schonungsloes Porträt von menschlicher Schwäche, ohne dabei zu deprimierend zu werden. Dennoch werden auch durchaus schöne Momente geboten, zum Beispiel wenn Mavis ihre Fehler langsam erkennt und die Fassade anfängt zu bröckeln. Die zunachst so unwahrscheinlich wirkende Nähe, die sich zwischen Mavis und Matt entwickelt, geht ans Herz. Unterstützt von der einfach fabelhaften Inszenierung Matts, in dessen Darstellung Patton Oswalt schlichtweg brilliert, wurde hier ein Film geschaffen, bei dem der exzellente Humor genauso stark nachwirkt wie die wahrhaftige Tragik. 'Young Adult' bewegt und reißt mit. Und vielleicht kann man von Mavis Garys Fehlern sogar hier und da noch etwas lernen.
by Anne Facompré
Bilder © Paramount Pictures Germany