Filmwertung: |
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| 9/10 |
Der Begriff „deutsche Komödie″ hat unter Filmliebhabern einen eher unangenehmen Beigeschmack. Denkt man da an Vertreter dieses Genres wie „Fack Ju Göhte 2″, „Der Nanny″ oder „Kokowääh″ wird einem auch schnell klar warum. So ist es umso überraschender, dass eine deutsche Komödie mit einer Laufzeit von 162 Minuten der Liebling der Kritiker des Cannes Film Festivals wird und den FIPRESCI Prize gewinnt.
Doch was macht Maren Ades „Toni Erdmann″ anders, woran zahlreiche andere Komödien scheitern?
Auf den ersten Blick wirkt die Handlung gewöhnlich: Winfried Conradi (Peter Simonischek) ist ein pensionierter Musiklehrer, dessen letzter Klavierschüler ihn verlässt und dessen treuer Hund an Altersschwäche stirbt. Nach diesem tragischen Verlust entscheidet er sich spontan (untermalt durch einen grandiosen Match-Cut) seine verfremdete Tochter Ines (Sandra Hüller) unangekündigt in Bukarest zu besuchen. Als eine Unternehmensberaterin, die sich in einer männerdominerten Arbeitswelt durchschlagen muss, kommt dieser Besuch alles andere gelegen, denn sie befindet mitten in einem wichtigen Auftrag und weiß nur zu gut, dass ihr Vater eine Neigung zum Scherzen hat. Gezwungenermaßen nimmt sie ihn in ihre Wohnung auf und versucht den unerwarteten Besuch möglichst schnell loszuwerden, was ihr jedoch manchmal schwerer fällt als ihr lieb ist, denn der Alter Ego ihres Vaters, Toni Erdmann, stellt ihren Arbeitsalltag regelmäßig auf den Kopf. Wäre „Toni Erdmann″ eine beliebige andere deutsche Produktion, könnte man sich bei dieser Beschreibung schon ausmalen wie der Film verlaufen würde. Ihr Vater würde sie mit Zeichentrickhaften Slapstick ständig in Schwierigkeiten bringen, wodurch sie beinahe ihren Job verliert, gefolgt von einem lautstarken Streit bei dem jeder im Detail seine Gefühle vermittelt, nur damit am Schluss die langerwartete Versöhnung stattfindet. Nicht zu vergessen wäre die sentimentale Musikauswahl, die das klischeehafte Happy End perfekt macht. Genau auf diese Elemente verzichtet Maren Ade. Stattdessen setzt sie auf Subtilität, die die Wirkung der emotionalen Szenen verstärkt, da dem Zuschauer nicht krampfhaft versucht wird ein Gefühl aufzuzwingen.
Ohne gute Schauspieler wäre diese Subtilität verloren gegangen. Glücklicherweise sind Peter Simonischek und Sandra Hüller in Höchstform. Während des ganzen Besuchs herrscht eine angespannte Spannung zwischen Vater und Tochter, die vor allem noch wegen der Sticheleien Winfrieds, der den Lebensweg seiner Tochter in Frage stellt, verschlimmert wird. Jede genervte Regung in Ines Gesicht wird registriert, ebenso wie Winfrieds Enttäuschung, dass er nicht in der Lage ist, eine Bindung mit Ines herzustellen. Dabei haben beide ihre eigenen Methoden, mit den unterdrückten Gefühlen umzugehen. Winfried spielt Streiche, da ihm keine andere Möglichkeit zur Annäherung einfällt, während Ines sich hinter ihrer Arbeit und ihrem Erfolg versteckt. Unterstützt wird dieses Thema noch durch Ades dezenten Stil. Es wird auf extravagante Kamerafahrten, auffällige Effekte und stark ästhetisierte Einstellungen verzichtet, hier stehen nämlich die Charaktere im Vordergrund.
Die wohl beeindruckendste Szene findet während einer Familienfeier statt, bei der sich Winfried als deutschen Botschafter ausgibt. Als er ein Klavier entdeckt, bekommt er die Idee Whitney Houstons „Greatest Love of All″ mit seiner Tochter vorzuspielen. Was danach folgt ist eine der eindrucksvollsten Charakterwendungen die ich auf der Leinwand gesehen habe. Fast während des gesamten Films sieht Ines genervt und gestresst aus, selbst als ihr Vater sich ans Klavier setzt und anfängt zu spielen merkt man, dass sie eigentlich keine Lust hat mitzumachen.
Jedoch gibt Sandra Hüller eine derart gefühlsgeladene Performance während des Lieds, so dass man meinen würde, es würde sich eine komplett andere Figur in dieser Szene befinden. Zurecht wurde diese Szene während des Cannes Film Festivals mit Applaus gewürdigt, denn für solche Momente werden Filme gemacht.
Der Humor in „Toni Erdmann″ lässt sich in zwei Worte zusammenfassen: Unangenehm und absurd. Unangenehm in dem Sinne, dass man nicht selbst in dieser Situation sein möchte, da man sich öfters fragen würde: Was zur Hölle ist hier eigentlich los? Dabei bietet sich eine breite Spannweite von Absurditäten von Handschellen und verstorbenen Schildkröten bis zu Törtchen mit Ejakulatüberguss und Teamgeistsitzungen der etwas anderen Art. Doch gerade diese absurden Momente zeigen, dass man das Leben nicht immer so ernst nehmen sollte und lachen manchmal eben doch die beste Medizin ist.
Fazit: „Toni Erdmann″ ist in Plädoyer für den Unfug, verpackt in einer emotionalen Geschichte über eine Vater-Tochter Beziehung, ohne dabei in Kitsch zu verfallen.
by Eduard Führus