Filmkritik The Neon Demon
Filmwertung: |
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| 9/10 |
„Take it or leave it, but you can not deny it!“ So beschrieb der wohl prägendste visuelle Stylist im gegenwärtigen Kino bei der Pressekonferenz in Cannes zu seinem neuen, heiß erwarteten Film „The Neon Demon“ sich und sein polarisierendes Werk. Nicolas Winding Refn sucht nach den Extremen und genießt es zu provozieren, weswegen er seine Herangehensweise mit Punk Rock vergleicht. Das macht sicher auch bei seinem Supermodel-Horrorfilm Sinn, der in Cannes zugleich ausgebuht, beschimpft und gefeiert wurde. „The Neon Demon“ ist pures Kino, berauschend, elektrisierend, wunderschön, bitterböse, ekelhaft, schockierend, mysteriös und letztendlich herrlich verrückt.

Gleichzeitig ist der Film echte und völlig einzigartige Kunst, denn hier kann kein Konsens erzielt werden: Der eine liebt es, der andere hasst es, aber man kann davon nicht kalt gelassen werden. Wohl noch mehr als sein nicht minder polarisierender, symboltriefender und extrem gewalttätiger „
Only God Forgives“ entzieht sich der ultrastilisierte „The Neon Demon“ einem direkten Verständnis, das über die Oberfläche hinausgeht. Refn nutzt die simple Prämisse „Junges Mädchen vom Land kommt nach Los Angeles, strebt Modelkarriere an und wird von dem Haifischbecken des Business verschlungen“, um seine eigenen unterbewussten Obsessionen und ganz persönlichen Faszinationen auszuspielen. „The Neon Demon“ ist seine Variante eines Horrorfilms, wobei er das Genre konstant unterwandert und einzigartig durch seinen ganz eigenen Stil neu interpretiert.
Im Zentrum steht Jesse (Elle Fanning), 16 Jahre alt, aus ihrem Heimatkaff in Georgia geflohen, um mit ihrer Schönheit den großen Ruhm in Los Angeles zu suchen. Untergekommen ist sie in einem schäbigen Motel in Pasadena, das wohl primär von weiteren blutjungen Modelaspirantinnen bewohnt wird. Früh wird klar, dass Jesse etwas ganz Besonderes hat, etwas Reines, eine unberührte, natürliche Schönheit, die alle, die sie erblicken sofort in ihren Bann zieht. Sie ist nicht lange in L.A., als Modelagentin Jan (Christina Hendricks, „Drive“, „Mad Men“) sie direkt verpflichtet und ihren ersten Job bei dem mysteriösen Starfotografen Jack (Desmond Harrington) erhält. Dieser arbeitet normalerweise nie mit Neulingen, ebenso wenig wie ein ebenfalls unmittelbar elektrisierter Modesigner (Alessandro Nivola). Doch ihre scheinbar unwiderstehliche Ausstrahlung weckt nicht nur Begehrlichkeit, sondern auch jede Menge Missgunst und Neid, denn besonders die beiden schon routinierten Models Gigi (Bella Heathcote) und Sarah (Abbey Lee) sehen Jesses rasanten Aufstieg mit mehr als eifersüchtigen Augen. Hier gilt das Credo „Beauty isn’t everything – It’s the ONLY thing.“

Mehr und mehr wird sich die ursprünglich unschuldige Jesse ihrer machtvollen Wirkung bewusst und beginnt sich zu verändern…
Das ist nur der Aufhänger dieses außergewöhnlichen Films, der von der ersten Sekunde an durch die perfekte Symbiose aus Cliff Martinez sphärischen und pulsierenden Soundteppichen und Refns und Kamerafrau Natasha Braiers betörender Bildgestaltung in seinen Bann zieht. Die eindrückliche Ästhetik wird von präzisen, ruhig komponierten und expressionistisch ausgeleuchteten und gefärbten Bildern getragen. Jeder Moment, jeder Blick wirkt exakt kontrolliert, wodurch der Film eine unnahbare und geheimnisvolle Wirkung erzeugt, die eine enorme Anziehungskraft entfaltet. Schon die Titelsequenz mit seinen neonfarbenen Titeln und Cliff Martinez unheilvollen, astralen und immer nachdrücklicher werdenden Elektroklängen wirkt sowohl bedrohlich als auch unglaublich betörend zugleich. Der folgende Fotoshoot, indem Jesse blutverschmiert auf einer Couch liegend in Szene gesetzt wird, ist dann die erste von vielen eindrucksvollen Szenen, die sich sofort ins Gedächtnis brennen. Äußerst beeindruckend ist hier auch eine irrsinnig hypnotische Sequenz in einem Nachtclub, bei der eine besonders bedrohlich wirkende Trapez- und Bondagenummer bei Stroboskoplicht performt wird.
Doch was ist „The Neon Demon“? Ist es die glitzernde Stadt der Träume, das Haifischbecken Los Angeles mit ihrer unterschwelligen Abgründigkeit, das junge Mädchen anzieht und meist wieder ausspuckt? Ist es die mysteriöse Make-Up-Frau Ruby (Jena Malone), die Jesses Freundschaft sucht? Oder aber Gigi und Sarah, die in Konkurrenz zu Jessie stehen? Vielleicht sind es aber auch die bei Jesses erster Modenschau erscheinenden neonfarbenen Leuchtröhren, die drei Dreiecke formen und einen inneren Wandel in dem jungen Model heraufzubeschwören scheinen.

Letzten Endes bleibt diese Frage dem Zuschauer überlassen, ebenso wie die gesamte Interpretation dieses wilden, oft hypnotischen, fast zweistündigen Trips in die mal farbenfrohe, mal düstere und immer abgründige Glitzerwelt des Modelzirkus durch das Prisma von Nicolas Winding Refn. Am Rationalisieren und Erklären ist der Däne sicher wie gewohnt nicht ansatzweise interessiert. Bei ihm bedeutet Kino audiovisuelles Erfahren, eine Konfrontation mit dem Unbekannten und Unbewussten, ein provozierendes Brechen von Tabus.
Natürlich geht es in „The Neon Demon“ ganz offensichtlich primär um die allgegenwärtige Obsession mit perfekter Schönheit und ewiger Jugend. Es geht um eine oberflächliche, moralisch verkommene Gesellschaft, die alles auf Äußerlichkeit reduziert, Menschen, speziell Frauen zu reinen Objekten werden lässt. Am besten wird das durch die nach Jesses Schönheit begehrenden Gigi und Sarah symbolisiert, die mit ihrer weichen, perfekten Haut und makelloser Erscheinung oft wie Puppen erscheinen. Eindrücklich ist hier auch das monotone, roboterhafte Shooting des bedrohlich starrenden, raubtierähnlichen Starfotografen mit gespenstisch wirkenden Gesichtszügen: Sein Model bleibt Foto um Foto völlig regungslos, während die Kamera – wie so oft in diesem Film – langsam vorbeigleitet. Die Figuren in „The Neon Demon“ sind eben genau das, leere Hüllen, die nur minimal charakterisiert werden und den Zuschauer durch die insgesamt traumartige und unwirkliche Atmosphäre damit in einen Zustand konstanter Verunsicherung führen. Wie bei Refn mittlerweile meist üblich, reduziert er seine Figuren immer mehr, sodass sie fast nur noch Projektionsflächen darstellen.

Obwohl „The Neon Demon“ darüber hinaus keine neuen oder gar tiefgründigen Erkenntnisse zum oberflächlichen und unmenschlichen Modelbusiness liefert, ist hier dennoch sein zynisch-giftiger satirischer Unterton bemerkenswert, der dem Film auch an einigen Momenten gallige und schwarzhumorige Lacher abgewinnt. Der wohl beste Moment dieser Art ist das minimale und perfekt getimte Zucken einer Oberlippe von einem der Supermodels, das angewidert auf ein besonders makabres und herrlich verkommenes Schauspiel vor ihren Augen reagiert. Das erinnert alles am ehesten an den bitterbösen und brillanten Satiriker und Provokateur Bret Easton Ellis, besonders an seine gallige Dekonstruktion der Modewelt „Glamorama“. „The Neon Demon“ ist dann so was wie die bebilderte Essenz von Ellis Roman und kanalisiert in filmischer Hinsicht wohl am ehesten die überhöhte Realität seelenverwandter visueller Stylisten wie Brian De Palma und Dario Argento, speziell „Suspiria“. Letzten Endes ist „The Neon Demon“ aber ein zutiefst persönlicher narzisstischer Egotrip des Dänen.
Refn präsentiert hier eine Welt, in der Terror und Schönheit ständig nebeneinander existieren und der Grat zwischen erhabener Schönheit und grausamer Hässlichkeit äußerst schmal ist. Das wird besonders deutlich, wenn er gegen Ende dann auch die verstörenden und grenzwertigen Bilder liefert, die man mittlerweile von ihm erwartet. Manche davon dienen zunächst scheinbar dem reinen Selbstzweck – etwa eine Traumsequenz, in der ein Messer in einen Mund eingeführt wird – und letztlich Visionen aus dem triebgesteuerten Verstand des Dänen darstellen. „The Neon Demon“ ist so wie seine Filme zuvor eine Anzapfung seines Unterbewusstseins, einer ungefilterten Bilderflut seiner Perversionen und all dem, was ihn antörnt – wobei am Ende nach einer Reihe von wahrhaft erstaunlichen, nie gesehenen Momenten zunächst eine merkwürdige Leere bleibt. Hier wird diese Leere jedoch zelebriert, die doch wieder so einzigartig und stimulierend auf audiovisueller Ebene ist, das man den Film und seine Bilder nicht abschütteln kann und eine Nachwirkung unbestreitbar ist.

„The Neon Demon“ ist prunkvolles, überbordendes Kino, das alle filmischen Register zieht, um viszerale Reaktionen hervorzurufen, ein mysteriöser, märchenhafter Fiebertraum, den man spüren, aber nicht verstehen muss. Erst im Laufe der Zeit und nach mehrmaligem Ansehen wird dieser Film über die glitzernde Oberfläche hinaus interpretierbar werden, sein vage wirkender Symbolismus mehr Sinn machen – wobei dieser auch je nach Zuschauer variieren wird. Den Film nach herkömmlichen Maßstäben zu bewerten, erscheint da nahezu unmöglich. Für seinen Wagemut und den kompromisslosen Willen in einer immer vorhersehbareren Filmlandschaft, einzigartig und unberechenbar zu sein, muss man Refn aber einfach feiern. Um es nochmal mit seinen eigen Worten zu sagen: „Take it or leave it, but you can not deny it!“
Fazit: Nicolas Winding Refns zehnter Spielfilm „The Neon Demon“ ist ein hypnotisches, berauschendes, albtraumhaftes und gewohnt provokativ tabubrechendes Filmkunstwerk in durchgestylten und eindrücklichen Bildern über die symbolischen Abgründe der Leere des Modelbusiness, das garantiert polarisiert, aber nicht ignoriert werden kann.
by Florian Hoffmann