Filmwertung: |
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| 9/10 |
„Ich wollte eigentlich die ganze Zeit, dass der Film endlich vorbei ist und habe dennoch jede Sekunde von ihm geliebt.“ Das waren meine ersten Worte nach Filmende in der Pressevorführung zum Kollegen neben mir. Diese Worte könnte man tatsächlich genauso gut als Fazit zu „The Father“ stehen lassen. Denn Regisseur und Co-Autor Florian Zeller, der sein eigenes Theaterstück nun auf die große Leinwand bringt, spinnt hier rund um den zunehmend dementen Anthony (Anthony Hopkins) ein komplexes und schmerzhaftes Werk, das sein Publikum gleichermaßen gefangen hält, wie seine Hauptfigur.
Der allergrößte Teil der Handlung spielt sich innerhalb eines Apartments ab. Das ist nicht etwa ein eher unnötiges Überbleibsel der Theaterwurzeln des Stoffes (wie etwa heuer bei „Ma Rainey´s Black Bottom“ oder „One Night in Miami“), der Film macht uns in dieser Wohnung genauso zum Gefangenen, wie es Anthony in seinem Körper und Geist ist. Wir wollen entkommen, doch können es nie.
Anthony Hopkins (Anthony) © Tobis Film
Dabei spielt The Father immer wieder clever mit Elementen des Psycho-Thrillers, hat aber im dritten Akt (fast) keine einfachen Antworten zu bieten, oder einen Twist, der alles ins rechte Licht rückt. Vielmehr lässt Zeller uns in einem Zustand der ewigen Hilflosigkeit und Verwirrung zurück, eben genauso wie sich Anthony für den Rest seines Lebens fühlen dürfte.
Wir können dieser Atmosphäre der konstanten Überforderung eben entkommen. Offensichtlichere Kniffe, wie verschiedene Darsteller, die scheinbar dieselbe Figur verkörpern, um Anthonys Demenz darzustellen sind dabei genauso effektiv, wie subtilere Veränderungen im Szenenbild. Und selbst wenn einem letzteres nicht auffällt, bringt uns der Film unterbewusst aus dem Konzept. Einige Szenen oder Elemente wiederholen sich dabei zudem regelmäßig, was nicht nur Anthony klarmacht, dass es kein Entkommen gibt.
Olivia Colman (Anne) © Tobis Film
Dabei wechselt The Father in einigen Situationen aus der Perspektive unserer Hauptfigur auf die seiner Tochter (eine wie eh und je grandiose Olivia Colman). Die Hilflosigkeit der Gefangenheit im eigenen Körper wechselt zu einer Hilflosigkeit eines Betrachters, der diesem Unglück beiwohnt, aber fast nichts dagegen machen kann. Der Überforderung gesellt sich grenzenloses Mitleid hinzu.
Der Film beginnt dabei in medias res und lässt uns ganz ohne offensichtlicher Exposition augenblicklich subtil die Geschichte dieses Vater-Tochter-Duos spüren, und eben auch, dass sich die Demenz schon seit längerem anschleicht. Dabei überrascht vor allem, dass The Father z.T. auch richtig witzig gerät. Anthony ist oder war ebenso viel mehr als diese Krankheit. Er ist zwar mit Sicherheit eigen, aber auch gleichermaßen charmant, charismatisch und humorvoll. Wir können erahnen, wie er vor einigen Jahren noch war, was das Ganze nur umso niederschmetternder werden lässt.
Olivia Colman (Anne), Imogen Poots (Laura), Anthony Hopkins (Anthony) © Tobis Film
Dabei fängt die Kamera all die harten, kaum auszuhaltenden Momente in ruhigen, oft langen Einstellungen ein. Die Schauspieler können sich umso mehr entfalten, während ich von den Emotionen dadurch förmlich überrollt werde. Die ganze Härte der Situation wird so hervorragend eingefangen.
Hopkins selbst spielt sich dabei vollkommen um seinen Verstand. Ihm dabei zu zusehen, wie fließend er hier zwischen liebenswürdig eigen, entfesselter Wut und hilfloser Verzweiflung und Trauer wechselt, ist ein Privileg und eine der ganz großen Erfahrungen des Kinos der letzten Jahre. Zeller hat einmal gesagt, dass er sich niemand anderen vor die Rolle vorstellen könnte. Nicht umsonst veränderte er den Namen unseres tragischen Helden von André auf Anthony, nur damit er den, seiner Meinung nach, besten, noch lebenden Schauspieler für seinen neuen Film gewinnen kann. Dass Hopkins diese Rolle tatsächlich annahm, ist nicht nur für den Regisseur ein wahr gewordener Traum.
Fazit: Wenn ich hier schreibe, dass The Father vielleicht Anthony Hopkins beste Leistung seiner gesamten Karriere ist, sollte das eigentlich schon genug Grund dafür sein, dass hier jeder ins Kino geht. Also muss ich eigentlich auch gar nicht mehr sagen…
by Sebastian Stegbauer