Filmkritik Matrix Resurrections
Filmwertung: |
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| 7/10 |
18 Jahre sind nun vergangen, seit die Wachowski-Schwestern ihre „Matrix“-Trilogie abgeschlossen hatten. War der erste Teil noch ein ikonischer Meilenstein, der sowohl action- und tricktechnisch als auch mit seiner komplexen Gedankenwelt Maßstäbe gesetzt hat, polarisieren die beiden Fortsetzungen mit ihrer tiefgehenden, aber schwerfälligen Mythologie bis heute. Ebenso bis in die Gegenwart wird die Trilogie immer noch seziert und interpretiert und hat sich tief in unserem popkulturellen Verständnis verankert. Die kontinuierlich aufkommenden Wünsche des Studios, die erfolgreiche Reihe doch noch fortzusetzen oder auch gleich zu rebooten, stießen lange Zeit bei den Wachowskis auf taube Ohren. Der einzige Weg, um scheinbar selbst noch das Zepter über ihre Kreation in der eigenen Hand zu halten, war die Konzipierung einer eigenen Fortsetzung. So erscheint „Matrix: Resurrections“ als faszinierend persönliches und therapeutisches Projekt, das fast schon trotzig daherkommt und dem gegenwärtigen Franchisekino mit seinem wahnwitzigen ersten Akt den Meta-Spiegel frech vor die Nase hält. Ob der vierte Teil trotz seines hochoriginellen wie gewöhnungsbedürftigen Ansatzes jedoch wirklich nötig war, sei spätestens am Ende dahingestellt.
Natürlich soll an dieser Stelle nichts gespoilert werden, denn „Matrix: Resurrections“ ist ein Film, der lange von seinen wilden Überraschungen lebt. Es ist schon mal ein besonderer Zufall, dass der Film ausgerechnet eine Woche nach „Spider-Man: No Way Home“ startet, der mit seiner sehr emotional gefärbten und zum Publikum sprechenden Meta-Herangehensweise einige erstaunliche Parallelen aufweist. Lana Wachowski, die zum ersten Mal alleine federführend ohne ihre Schwester Lilly agiert, kommentiert mit dem Film nicht nur die gegenwärtige Blockbusterkultur, die sich durch ihre Ausschlachtung bekannter Inhalte vorrangig um sich selbst dreht, sie konfrontiert den Zuschauer ebenso mit bereits Gesehenem und Erlebtem. Viele Szenen in „Resurrections“ spielen sich als Quasi-Remakes vergangener „Matrix“-Momente ab und werden von den Figuren auch entsprechend kommentiert, während immer wieder sogar Bildmaterial der Trilogie gezeigt wird. Diese offen selbstreferentielle und teilweise fast schon satirische Tonalität funktioniert tatsächlich erstaunlich gut, denn gerade im Spiel mit Realität und Fiktion in der „Matrix“ ist ohnehin alles möglich. Die Möglichkeiten, die hier aufgeworfen werden, stellen nochmal alles bisher Gesehene (oder nicht Gesehene?) in Frage, wodurch sich erst mal diverse Knoten ins Gehirn des unbedingt aufmerksamen Zuschauers zwirbeln werden. Wo führt diese doppelbödige Reise hin?
Matrix Resurrections: Die Matrix © Warner Bros.
Die Prämisse ist sehr vielversprechend: Der mutmaßlich am Ende von „Matrix: Revolutions“ verstorbene Neo (Keanu Reeves) lebt unter seiner im Original-Film etablierten Identität Thomas A. Anderson als Game-Designer in San Francisco. Erinnerungen an die Ereignisse der Trilogie wabern überall umher und haben sich in seiner eigens gestalteten Matrix-Videospiel-Trilogie wiedergefunden. Dass Thomas das alles jemals tatsächlich erlebt hat und nicht nur seiner Fantasie entsprungen ist, scheint eigentlich unwahrscheinlich. Hier ist eine labile und unsichere Figur zu sehen, die ständig am Rande des Nervenzusammenbruchs steht, nach einem scheinbaren Suizidversuch in Behandlung eines Psychiaters (Neil Patrick Harris) ist und zwischen Realität und Fiktion kaum noch entscheiden kann. Wieso kommt ihm auch Tiffany (Carrie-Anne Moss), die er immer wieder in seinem wenig subtil benannten Stammcafé „Simulatte“ sieht, so bekannt vor?
Lange ist „Matrix: Resurrections“ wirklich völlig unvorhersehbar und in seinem irrwitzigen und wagemutigen Ansatz ernsthaft spektakulär und hochgradig originell. Kein Wink mit dem Zaunpfahl ist groß genug, man wird mit frechen Referenzen nur so bombardiert, dass man schnell sprachlos angesichts dieser Alles-ist-möglich-Attitüde ist. Hier tun sich zunächst völlig neue Türen für das „Matrix“-Universum, aber auch für den Franchise-Gedanken an sich auf. Doch wer dann erwartet, dass dieser vierte Teil einen ähnlich bahnbrechenden Effekt wie der erste Film kurz vor der Jahrtausendwende hat, kann eigentlich nur enttäuscht werden. Denn auch wenn „Resurrections“ ab dem zweiten Akt seine Meta-Herangehensweise zunehmend ablegt und dafür wieder tiefer in die ernsthafte „Matrix“-Mythologie eindringt, dreht sich der Film dann doch irgendwie im Kreis und vertraut auf Bewährtes.
Matrix Resurrections: Carrie-Anne Moss als © Warner Bros.
„Matrix: Resurrections“ ist ein spürbar aufwändiger und großer Film, der in Sachen Visual Effects erneut State-of-the-Art ist, aber dennoch nie für den ganz großen Wow-Effekt sorgt. Einige der Actionszenen sind durchaus spektakulär anzusehen, das Gefühl, etwas wirklich Neues oder gar Innovatives zu sehen, hat man aber selten. Hier offenbaren sich leider nicht nur beabsichtigte Déjà-vus. Gerade die Kampfszenen sind diesmal deutlich austauschbarer als zuvor, die einst sehr kontrollierte Bildsprache ist nun viel hektischer, während auch die allgemeine Ästhetik sowohl farbenfroher als auch natürlicher erscheint und auf den bekannten Grünstich verzichtet. Gerade für „Matrix“-Fans ist das alles aber dennoch immer interessant anzusehen, gerade weil man die Unterschiede zum Vorangegangenen genau betrachtet und direkt in ihrer filmsprachlichen Bedeutung hinterfragt.
Letztlich ist es aber dann so, dass Lana Wachowski den vielversprechenden Beginn nicht zu dem erhofft fulminanten und augenöffnenden Ende führen kann. So macht sich am Ende schnell erst mal ein Gefühl von Ernüchterung breit, denn wirklich essentiell erscheint dieser Film dann eben im Bezug auf die bisherige Trilogie wahrhaftig nicht. Auch wenn es immer eine Freude ist, Keanu Reeves zu sehen, lässt einen der Eindruck nicht los, dass er, trotz mancher gelungener augenzwinkernder Momente, merkwürdig müde und überfordert wirkt. Das ist zwar gerade im spaßigen ersten Akt passend, doch leider ändert sich dieser Eindruck auch im weiteren Verlauf nicht wesentlich. Dasselbe gilt auch für Carrie-Anne Moss, während hingegen die neuen Spieler Neil Patrick Harris und Jonathan Groff den etablierten Figuren durchaus die Show stehlen. Aufsehenerregend ist dann auch Jessica Henwick, deren rebellische Figur Bugs den ganzen Plot überhaupt erst zum Rollen bringt. Trotz Henwicks besonderer Präsenz und anfänglicher Wichtigkeit tritt sie dann allerdings leider zunehmend in den Hintergrund. Mit die größte Enttäuschung ist jedoch die Herangehensweise an Morpheus, der als wenig überzeugende neue Variante von Yahya Abdul-Mateen II verkörpert wird. Letztlich bleibt diese Figur erstaunlich überflüssig und nichtssagend, was gerade angesichts ihres vorangegangen Gewichts fast schon respektlos – auch insbesondere gegenüber Laurence Fishburne – erscheint.
Matrix Resurrections: Keanu Reeves als Neo © Warner Bros.
Was bleibt also? Nach so langer Zeit und der immer noch sehr gespaltenen Meinung zu den Fortsetzungen hatte Lana Wachowski zwar wenig zu verlieren, aber eben auch viel zu gewinnen. „Matrix Resurrections“ ist zweifelsohne das zutiefst persönliche Werk einer echten Künstlerin, die in ihrer Herangehensweise zu eigenwillig ist, um allen gefallen zu können. So ist ihr ein mindestens über weite Strecken hochgradig ambitionierter Film gelungen, der voller spannender, wagemutiger und faszinierender Ideen ist, aber am Ende doch irgendwie seltsam überflüssig erscheint. Doch wer die Trilogie kennt und sich viel mit ihr beschäftigt hat, der weiß auch, dass – ganz wie in der Matrix selbst – ein oberflächlicher erster Blick meist nicht ausreicht. So muss sich jeder einfach selbst ein Bild machen, ob diese Wiederbelebung denn nun nötig war oder man Totgesagte doch lieber schlafen lässt.
Fazit: „Matrix Resurrections“ sorgt mit seinem intellektuellen und schrägen Meta-Ansatz für mindestens ein Drittel für echtes ungläubiges Staunen und wirft viele Fragen auf. Lana Wachowski dekonstruiert hier sowohl das sich selbst ausschlachtende Hollywood-System als auch ihr eigenes Vermächtnis auf hochoriginelle, selbstreferentielle, spielerische, aber auch garantiert polarisierende Weise. Hier gibt es sehr viel zu sehen und zu loben, jedoch kommt bei diesem Anti-Blockbuster am Ende dann doch ein überraschend zwiespältiges Gefühl von Leere auf.
by Florian Hoffmann