Filmwertung: |
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| 8/10 |
Man muss nicht darüber diskutieren: William Shakespeare ist der wohl einflussreichste Autor aller Zeiten, der die menschliche Natur in all ihren Facetten in seinen universellen Werken meisterhaft in allen Tonlagen beleuchtet hat. „Macbeth“ gehört sicher zu den ikonischsten und wichtigsten Stücken in Shakespeares eindrucksvollem Oevre und ist zudem eine der essentiellsten und meistadaptierten Tragödien der Literaturgeschichte.
Bereits prominente Namen wie Orson Welles (1948), Akira Kurosawa („Das Schloss im Spinnwebwald“, 1957) und Roman Polanski (1971) haben sich mit großem künstlerischen Erfolg an der filmischen Umsetzung versucht, nun wagt sich der Australier Justin Kurzel an die Tragödie von Macbeth. Der Regisseur und seine beiden großartigen Hauptdarsteller Michael Fassbender und Marion Cotillard hatten hier sicher große Schuhe zu füllen, doch ihnen gelingt hier eine überwältigend bebilderte Adaption des Klassikers in modernem Gewand, das dem aufgeschlossenen Zuschauer alles abverlangt. Mit seiner gefeierten und unter die Haut gehenden Serienkiller-Studie „Die Morde von Snowtown“ (2011) hat Kurzel bereits unter Beweis gestellt, dass er einen Hang zu düsteren Geschichten hat. Sein „Macbeth“ setzt dieses Faible auf bedrückende Weise fort: Der Film fordert nicht nur durch die übernommene Shakespeare-Prosa einiges an Aufmerksamkeit ab, durch seine kompromisslos düstere und schwermütige Atmosphäre hinterlässt er auch ein beklemmendes Gefühl beim Zuschauer, das lange nachwirkt. Dieser „Macbeth“ bietet zwar auch einige virtuos inszenierte und sehr brutale Schlachtszenen, die „Braveheart“-Fans ansprechen sollten, doch man darf keinen Fehler machen: Kurzels Film ist ganz harter, sehr anspruchsvoller Tobak, für den man viel Geduld und Konzentration mitbringen muss.
Die Geschichte des nun bereits 400 Jahre alten Werks sollte hinreichend bekannt sein. „Macbeth“ spielt um das Jahr 1100 in der unwirtlichen Mittelater-Landschaft Schottlands. Macbeth (Michael Fassbender) ist ein machtgieriger General, der nach einer wilden Schlacht den Rebellenführer Macdonwald tötet und dafür gefeiert wird. Auf dem Schlachtfeld erhält er die Prophezeiung dreier Hexen, dass er der Thronfolger Schottlands sein wird. Lady Macbeth (Marion Cotillard) hat ihren kämpfenden Mann schon lange Zeit nicht gesehen, sie trauert um den Tod ihres einzigen Kindes. Bei den Feierlichkeiten über den Sieg des Heeres in Macbeths Heimatort treibt sie ihren Gemahl zu einem Mordkomplott gegen König Duncan an (David Thewlis), sodass Macbeth direkt zum Herrscher von Schottland ernannt wird. In einer Nacht- und Nebelaktion verrichtet Macbeth die grausame Tat und wird prompt zum König gekrönt. Ein zunehmend wahnhafter und paranoider Macbeth entwickelt sich zum Tyrann und sieht sich verstärkt der Opposition seines Widersachers Macduff (Sean Harris) und dessen Sohn Malcolm (Jack Reynor) gegenüber gestellt.
Justin Kurzels Interpretation von „Macbeth“ beginnt nach einer Beerdigungs-Sequenz imposant mit einer überwältigenden und extrem gewalttätigen Schlachtsequenz, die zwischen Slo-Mo-Stilisierung und knochenharter, schmutziger Realität schwankt. Gemeinsam mit der polternden und donnernden Musik seines Bruders Jed Kurzel („Slow West“) wird man unmittelbar von dem Film aufgesogen. Die Landschaftsbilder des verregneten und vernebelten winterlichen Schottlands sind phänomenal, die immer wieder kehrenden Großaufnahmen menschlicher Gesichter und die ungewöhnlichen Bildkompositionen machen aus „Macbeth“ schon früh einen unzweifelhaft atemberaubendes visuelles Erlebnis. Gedreht wurde der Film bei härtesten Bedingungen in Schottland und England, was man dem Film auch eindrucksvoll ansieht. Hier sieht alles eingelebt und echt aus, auch dank natürlich wirkendem Licht in nahezu allen Situationen. Es fällt so beileibe nicht schwer, in die Lebensrealität der damaligen Zeit hineinzufinden. Die anspruchsvolle Shakespeare-Sprache erfordert dann ein hohes Maß Konzentration, sodass dem Gezeigten überhaupt gefolgt werden kann. Selbst wenn man einigermaßen vertraut mit der Komplexität von Shakespeares Stücken ist, braucht man immer unzweifelhaft etwas Zeit, um in Verfilmungen seiner Werke hineinzufinden. Das ist auch bei Kurzels Fassung der Fall, jedoch fällt es schon früh nicht allzu schwer, die auf das Wesentliche reduzierte Handlung dank der bildgewaltigen Inszenierung nachzuvollziehen. Viel schwieriger fällt der emotionale Zugang zu dem Film, da er so konsequent düster ist und eine regelrecht albtraumhafte, apokalyptisch wirkende Atmosphäre erschafft. Hier scheint alles primär von Schwermut und drohender Tragödie geprägt zu sein, die Charaktere bleiben trotz guter Absichten der Macher schwer zugänglich, Sympathie kann diesen mordlustigen Menschen nur schwerlich entgegengebracht werden. Sicher, die Protagonisten haben tragischerweise ihr Kind verloren und sehnen sich nach einem Ausgleich für diese Ungerechtigkeit durch das gnadenlose Streben nach Macht, doch ihre Trauer erschafft eine innere Leere, die sie unmenschlich handeln lässt. So bleiben die Figuren teils nur schwer zu entziffern, wodurch es schwer fällt, echte Empathie zu entwickeln. Selbst im weiteren Verlauf, wenn deutlich wird, dass die Charaktere Schuld und Reue über ihr schreckliches Handeln empfinden, scheint der Mitgefühlszug abgefahren zu sein. Kurzels Film suhlt sich regelrecht im Elend und der Gewalt, weshalb der Film zugleich auf filmischer Ebene fasziniert und im emotionalen Bereich größtenteils auf Distanz hält.
Die Darsteller sind erwartungsgemäß großartig. Michael Fassbender verliert sich in der überlebensgroßen Rolle des machthungrigen und später psychotischen Despoten und reißt den Film in jeder Szene an sich.
Sein Tausend-Zähne-Lächeln wird in Kurzels markerschütternd düsterer und humorloser Vision nur selten benötigt, doch in einer entscheidenden Szene kommt es auch hier zum effektiv gänsehauterregenden Einsatz. Der tief liegende Schmerz von Macbeth wird von Fassbender meisterhaft und tief empfunden dargestellt. Marion Cotillard, die sich wie Fassbender zu den besten und gefragtesten Darstellern der Gegenwart zählen darf, war aufgrund ihrer französischen Herkunft eine wohl eher unkonventionelle Wahl für die schottische Königsfrau. Sie wirkt hier nur teilweise wie die ikonische Figur der Strippenzieherin, die ihren Mann zu Schreckenstaten manipuliert. Fassbender wirkt hierfür als zu eigenständiger, individueller Charakter, Cotillards Lady M erscheint mehr als tragische Figur, die als Katalysator der tragischen Ereignisse fungiert, um später tiefe Reue zu empfinden. Ihre Klasse als Akteurin stellt sie besonders in einem großartigen Monolog zur Schau, überzeugt aber insgesamt mit großer Intensität, ohne besonders expressiv in Gestik und Mimik zu sein. Ihre Augen und reine Präsenz reichen aus. Bei beiden Darstellungen scheint Understatement das Motto gewesen zu sein. Ein weiteres schauspielerisches Highlight ist der von Natur aus intensiv und unheimlich wirkende Sean Harris (vor kurzem als Bösewicht in „Mission: Impossible – Rogue Nation“ zu sehen), der als Macduff einige der kraftvollsten und emotionalsten Momente hat. Auch die anderen wunderbaren Charakterdarsteller Paddy Considine, der Macbeths Gefolgsmann Banquo spielt und David Thewlis als tragische Königsfigur hinterlassen trotz relativ kurzer Spielzeit einen bleibenden Eindruck.
Justin Kurzels „Macbeth“ ist vermutlich so gut, wie man Shakespeare nur adaptieren kann. Vor allem punktet der Film durch seine grandiose filmische Umsetzung, die das Cineasten-Herz sicher höher schlagen lässt. Selten wurde das Mittelalter so bedrohend authentisch und in all seiner unwirtlich-trostlosen Existenz wiedergegeben, die düstere, toternste Atmosphäre löst konsequentes Unbehagen aus und versetzt den Zuschauer in einen nachwirkenden gelähmt-bedrückten Zustand.
Die Tragödie, bei der die Figuren sich selbst zerstören, wirkt in ihrem Nihilismus dann schon fast zu intensiv und erdrückend, sodass „Macbeth“ sicher weit von einem angenehmen Film für zwischendurch entfernt ist. Das erwartet natürlich auch niemand, so ist Kurzels grausame, in Blut getränkte Adaption eine singuläre, aufsehenerregende Vision, die man sich als aufgeschlossener Zuschauer nicht entgehen lassen sollte. Von Vorteil ist es sehr wahrscheinlich, wenn man Schakespeares Prosa kennt und zu schätzen weiß, um diesen Film wirklich genießen zu können. Wer sich auf diesen bemerkenswerten Film mit Geduld einlässt, wird mit einer besonderen Erfahrung belohnt werden.
Fazit: Shakespeares „Macbeth“ in kompromisslosester Form. Der Australier Justin Kurzel inszeniert hier ein bildgewaltiges, hochanspruchsvolles Filmkunstwerk, das dank bedrückend-düsterer Atmosphäre, überwältigender Kameraarbeit und einem donnernden Score fasziniert. Die zwei grandiosen Hauptdarsteller Michael Fassbender und Marion Cotillard brillieren in den ikonischen Rollen der machtsüchtigen Herrscher, die konsequent unbehagliche Stimmung erdrückt aber so sehr, sodass ein emotionaler Zugang nur schwer ist. Dennoch ein bemerkenswerter, inspirierter und einzigartiger Film.
by Florian Hoffmann