Filmkritik La grande bellezza
Filmwertung: |
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| 9/10 |
Nachdem „La grande bellezza“ bei den 66. Internationalen Filmfestspielen von Cannes Premiere feierte, kam keine Besprechung ohne den magischen Namen „Fellini“ aus. Und in der Tat: Paolo Sorrentinos sechster Film ist nicht nur eine Hommage an Federico Fellini und das Rom, das er in seinen Werken einst erträumte; Fellinis geradezu beispielloses Füllhorn an Filmen, Figuren und Farben ist von der ersten Szene an allgegenwärtig. Selbstvergessen und schwelgerisch zugleich promeniert die Kamera durch die ewige Stadt und hält Bilder fest, die ebenso wenig mit der Realität zu tun haben wie mit den weichzeichnerischen Postkartenmotiven von Woody Allens durch und durch touristischem Romblick in „To Rome With Love“; es ist das Rom von heute, eingefangen mit dem Kameraauge eines imaginierten Gestern. Ein Kirchenchor intoniert Arvo Pärts „My Heart Is In The Highlands“, ein japanischer Tourist wird von der übergroßen Stadt niedergestreckt. Und dann, nach wenigen Minuten der titelgebenden „großen Schönheit“, befinden wir uns auf einer Dachterrasse mitten in der Altstadt Roms; Sorrentino setzt der Krise, dem maroden Staatshaushalt, dem Gefälle zwischen Arm und Reich zunächst puren Hedonismus entgegen: Die gesellschaftliche Elite hat sich hier versammelt, um gegen die Gewissheit anzutanzen, dass es eben doch ein Morgen gibt. Die Bässe wummern, aus den Lautsprechern ertönt „We No Speak Americano“ von Yolanda Be Cool & DCUP, gleichzeitig der erschreckend profane Soundtrack zur kontrollierten Ausschweifung und augenzwinkernder Kommentar zu jener dezidiert europäischen Kultur, der hier gefrönt wird.
Es ist ein mondänes, schillerndes Panoptikum fellinesker Gestalten, das auf dieser Party das süße Leben feiert; und alle sind sie, in modifizierter Gestalt, vertreten: Die Reisegesellschaft aus „Schiff der Träume“; die Prostituierte aus „Roma“; Onkel Teo aus „Amarcord“, der eines Tages von einem Baum herunterschreit, er wolle eine Frau. Vor allem aber muss man an Marcello Mastroianni denken: In Jep Gambardella, dem Gastgeber und Protagonisten, der sich schließlich aus der tanzenden Menge herausschält, treffen sämtliche Charaktere, die Mastroianni in seiner Karriere unter der Regie Fellinis verkörperte, aufeinander: Marcello Rubini, der zweifelnde Papparazzo aus „La Dolce Vita“; der Filmregisseur Guido Anselmi, Fellinis Alter Ego aus „Achteinhalb“, der vor seiner Schreibblockade zu flüchten versucht und sich in Tagträumen verliert; der lüsterne Snàporaz aus „Stadt der Frauen“. Gambardella steht zwar im Zentrum des Films, fungiert aber, der Erzählstruktur von „La Dolce Vita“ nicht unähnlich, in erster Linie als Dreh- und Angelpunkt, um den herum sich allerlei kleine Geschichten entspinnen, bevölkert von einem Arsenal so skurriler wie trauriger Nebenfiguren; er ist der rote Faden, das verbindende Element in Sorrentinos Film, der sich mit voller Absicht an Fellinis Oeuvre abarbeitet, speziell an „La Dolce Vita“ und „Achteinhalb“; doch Sorrentino weiß: „(...) eine Grundregel besagt, dass man sich Meisterwerke zwar ansieht, sie aber nicht imitiert“. „La grande bellezza“ ist die schönste Hommage an Fellinis reiches Gesamtwerk, die man sich nur vorstellen kann, und steht dabei dennoch auf eigenen Beinen, ist üppig, vielschichtig und absolut frei in seiner Form.
Gambardella ist ein gealterter Journalist. Die Erkenntnis der Banalität seines Daseins hat ihn verbittern lassen; auf der Suche nach der verlorenen Zeit flaniert er durch die Straßen und Gassen Roms, trifft auf alte Freunde und verdrängte Erinnerungen. Toni Servillo, den Sorrentino bereits zum fünften Mal besetzte, spielt ihn nicht nur mit umwerfendem Charisma, sondern auch mit der gebotenen Melancholie eines Mannes, der darum weiß, dass seine besten Zeiten hinter ihm liegen. „La grande bellezza“ bewegt sich ständig zwischen diesen beiden Polen, erzählt zur gleichen Zeit von der Party und ihrem Ende. Manchmal kaum zu bändigen in seiner Wildheit, dann wieder geprägt von der Tragik einer zu Ende gehenden Ära - auf der Tonspur wechselweise begleitet von trivialer Popmusik und Chorälen von sakraler Anmut. „Rom ist ein riesiger Friedhof, der vor Leben strotzt“, hat Fellini einst gesagt. Davon handelt Sorrentinos vielleicht „italienischster“ Film bislang, nachdem er mit „Cheyenne – This Must Be The Place“ kurzzeitig in Hollywood aktiv war (und bemerkenswerterweise dennoch seine Handschrift behielt); ein Film voller Leere, der trotzdem förmlich übersprudelt, wie das Milieu und die Stadt, die er porträtiert. „La grande bellezza“ ist nicht Sorrentinos Imitation eines Meisterwerkes; „La grande bellezza“ ist Sorrentinos Meisterwerk.
by Siegfried Bendix