Filmwertung: |
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| 7/10 |
Kaum eine Persönlichkeit des klassischen Hollywood verkörpert Tragik wohl besser als Judy Garland. Nach außen hin galt sie unter der Ägide von MGM lange als Publikumsliebling, der vor allem mit ihrer unsterblichen Rolle als Dorothy in „Der Zauberer von Oz“ weltberühmt wurde. Doch unter der Fassade der großen Hollywood-Magie verbarg sich eine einfache junge Frau, die von Kindheitstagen an unter Hochleistungsdruck performen musste und unter der Herrschaft von Studioboss Louis B. Mayer tablettenabhängig gemacht wurde. Regelrechter Leibeignung ausgesetzt, war Garland zwar einer der großen Filmstars, doch gerade ihre jungen Jahre haben tiefe Narben hinterlassen, die nie geheilt sind. Ein Star blieb sie bis zu ihrem frühen Tod mit 47 Jahren dennoch, vor allem war es dann ihre Gesangskarriere, mit der sie für großes Aufsehen sorgte. Auch heute ist sie noch eine der ganz großen Ikonen Hollywoods, weshalb ein Biopic schon lange in Planung war. Nachdem aus einem Projekt mit Anne Hathaway nichts wurde, schlüpfte nun Renée Zellweger in einer transformativen Karrierebestleistung in die Rolle.
„Judy“ fokussiert sich wie zuletzt schon „Stan & Ollie“ auf einen späten Zeitraum im Leben der Hollywood-Legende, die sich wie auch bei besagtem Film in England abgespielt hat. Mit diesem intimen Blick auf ein kurzes Zeitfenster, statt ein herkömmliches Biopic über ein ganzes Leben zu erzählen, erinnert der Film unweigerlich auch an „
My Week with Marilyn“, der eine ähnliche Herangehensweise gewagt hat.
Judy Garland (Renée Zellweger) in ihrer Garderobe. © eOne Germany
Trotz ihrer jahrzehntelangen Einnahmen in Millionenhöhe begegnet der Film einer Judy Garland, die im Jahr 1968 kaum noch finanzielle Mittel besitzt. Sie tourt noch mit ihren Kindern, die auch schon selbst auf der Bühne performen, durch verschiedene Städte, jedoch ist sie am Ende ihres Engagements angekommen. Die Beziehung zu ihrem Exmann Sidney Luft (Rufus Sewell) ist unterkühlt. Dieser fordert Judy auf, dass ihre gemeinsamen Kinder nicht mehr dauernd auf Reisen, sondern bei ihm leben sollen. Als Judy dann ein Angebot aus London erhält, um dort für fünf Wochen im berühmten Nachtclub „Talk of the Town“ aufzutreten, nimmt sie dankend an und lässt schweren Herzens ihre Kinder zurück.
Auch wenn Judy auf der Bühne ihre alte Klasse oft wiederfindet, leidet sie stark unter Schlaflosigkeit und ihrer jahrzehntelangen Tablettensucht. Doch ihr Aufenthalt in London ist von Höhen und Tiefen bestimmt: Gelegentlich verhindert ihr Zustand weitere Auftritte oder sabotiert sie sogar mit dramatischen Folgen. Hoffnung und Lebenslust generiert jedoch der Nachtclubbesitzer Mickey Deans (Finn Wittrock), den Judy kurz vor ihrer Abreise in Amerika kennengelernt hat und ihr nach London hinterhergereist ist.
Judy Garland (Renée Zellweger) im Gespräch mit Filmproduzent Bernard Delfont (Michael Gambon). © eOne Germany
Regisseur Rupert Goold („True Story“) beschränkt sich nicht nur auf diese Spätphase in Garlands Leben und Karriere, sondern vertieft den Film im Stile einer intimen Charakterstudie über elegant kontextualisierende Rückblenden. So beginnt „Judy“ aufsehenerregend mit einer langanhaltenden Großaufnahme der jungen Judy Garland (Darci Shaw), die am Set von „Der Zauberer von Oz“ eine eindringliche Ansage von MGM-Boss Louis B. Mayer (Richard Corderey) über sich ergehen lassen muss. Zu dieser prägenden Zeit springt der Film immer wieder wirkungsvoll zurück, bei der sich Mayer als ruhig sprechender Tyrann entpuppt, der Garland konsequent an der kurzen Leine hält. Er fordert eiserne Disziplin, ordnet eine strikte Diät an, dass Garland dünn bleibt und sorgt mindestens indirekt für ihre frühzeitige Tablettensucht. Garland ist das Eigentum des Studios, das nach Belieben geformt wird, ohne dass Rücksicht darauf genommen wird, dass man einem jungen Mädchen ihre Jugend raubt und sie jahrelang psychologisch missbraucht. Hier wagt sich Goold sogar daran, sexuellen Missbrauch anzudeuten, wodurch der Vergleich mit dem späteren Hollywood-Mogul Harvey Weinstein sicher nicht unbeabsichtigt ist.
Darci Shaw spielt die junge Judy Garland. © eOne Germany
Bei den Eindrücken dieser korrumpierten Unschuld sorgt der Sprung in die Filmgegenwart immer wieder für einen denkbar großen Kontrast. Renée Zellweger erstaunt schon mit ihrem ersten Auftritt, der eine echte Transformation in Judy Garland mindestens optisch offenbart. Hier ist jemand zu sehen, der ganz offensichtlich gezeichnet vom Leben ist, was durch die zahlreichen Rückblenden eine enorme Tragik offenbart. Doch Zellweger sieht nicht nur aus wie die 46-jährige Judy Garland, sie verwandelt sich auch von innen heraus und geht in Fleisch und Blut mit ihrem realen Vorbild über. Zellwegers Darstellung dieser komplexen Persönlichkeit ist enorm nuanciert und facettenreich, wobei nicht nur die schillernden, überlebensgroßen Seiten des Stars Judy Garland glaubhaft transportiert werden, sondern vor allem ihre Menschlichkeit ergreifend zum Vorschein kommt. Hier erlebt man eine gequälte, traumatisierte und müde Seele, die zum Erfolg geschunden wurde und eigentlich nur noch ein normales Familienleben führen will, aber wegen ihrer Verpflichtungen nicht kann und darf.
Judy Garland (Renée Zellweger) mit ihrem treu ergebenen Fan Dan (Andy Nyman). © eOne Germany
„Judy“ ist so ganz unzweifelhaft Renée Zellwegers Film, der sie mit recht großer Wahrscheinlichkeit zu ihrem zweiten Oscar führen sollte. Goold inszeniert hier ein insgesamt solides, schön ausgestattetes und nachvollziehbar wie unterhaltsam inszeniertes Biopic, das zwar durchaus konventionell, aber dennoch gelungen ist. Er offenbart die Tragik, die diese eindrucksvolle Persönlichkeit ausmachte, aber auch ihre Menschlichkeit, ihre Wärme und einen beißenden Sinn für Humor. So erwidert sie auf die Frage eines Arztes, ob sie denn etwas gegen ihre Depressionen genommen hat mit der entwaffnenden Antwort „Vier Ehemänner. Hat nicht geholfen.“ Goold gibt Zellweger auch immer wieder eindrucksvolle Vorzeigeszenen auf der Bühne: Gerade ihr erster Auftritt im „Talk of the Town“ in einem langen Take ist ehrfurchterregend, gerade wenn man bedenkt, dass Zellweger sogar selbst singt. Der obligatorische letzte Auftritt trägt dann inszenatorisch vielleicht zu dick auf und erscheint darüber hinaus arg offensichtlich, was jedoch nichts von Zellwegers beeindruckender Darstellung wegnimmt.
Fazit: „Judy“ ist ein weitestgehend konventionelles, aber gut gemachtes Biopic über die tragische Hollywood-Ikone Judy Garland, das vor allem durch die transformative Karrierebestleistung von Renée Zellweger sehenswert wird.
by Florian Hoffmann
Bilder © Entertainment One