Filmkritik Hirngespinster
Filmwertung: |
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| 9/10 |
Das Langspielfilmdebüt Hirngespinster von Regisseur Christian Bach behandelt ein ernstes Thema. Schizophrenie und die Auswirkung auf eine Familie und ihr Umfeld. Hans Dallinger (Tobias Moretti) war ein gefeierter Architekt. Bis seine paranoide Schizophrenie ihn Vieles kostete und er aus seiner eigenen Firma rausgeschmissen wurde. Dabei ist er die meiste Zeit über normal, allerdings kann die kleinste Veränderung seine Welt ins Wanken bringen. Denn seine Krankheit tritt in Schüben auf. Sie wird im Film erstmals ersichtlich, als bei den Nachbarn eine Satellitenanlage installiert wird. Hans befürchtet, dass er ausgespäht wird und reißt sie – mit einer Axt bewaffnet – herunter. In diesem Wahnsinn muss der 22-jährige Simon Dallinger (Jonas Nay) kühlen Kopf bewahren und sich um seine kleine Schwester Maja (Ella Frey) und seine Mutter Elli (Stephanie Japp) kümmern. Er ist das Familienoberhaupt. Sensibel und reflektierend befürchtet Simon stets, dass er die Krankheit geerbt haben könnte, weshalb es ihm an Selbstvertrauen mangelt. Als er in einer Disco Verena (Hanna Plaß) kennenlernt, verliebt er sich erstmals. Kann das gut gehen?
Bach gelingt es, das schwierige Thema hervorragend zu inszenieren. Trotz der Verrücktheiten vom Vater bleibt der Film zu jeder Zeit und aus der Sicht aller Charaktere nachvollziehbar. Der Zuschauer kann sich mit jedem einzelnen der Familie identifizieren, zumal fast jeder Mensch auf verschiedene Weise schon einmal mit einer schweren Krankheit zu tun gehabt haben dürfte. Die Art und Weise der Darstellung beeindruckt. Das liegt auch an der exzellenten Besetzung. Tobias Moretti (Das finstere Tal, Jud Süß, Großstadtklein) stellt sein herausragendes Können erneut unter Beweis und wurde für seine Leistung völlig zurecht mit dem Bayrischen Filmpreis 2013 als bester Darsteller ausgezeichnet. Denn der 55-jährige Österreicher muss in seiner Rolle vielschichtig agieren und eine hohe emotionale Bandbreite zeigen. Dies gelingt Moretti in einer höchsten Resepekt abnötigenden Art und Weise.
Jonas Nay, der im Film Morettis Sohn spielt, steht dem Altmeister in nichts nach. Der gebürtige Lübecker meistert seinen Part mit einer zum Charakter passenden, von mangelndem Selbstvertrauen geprägten Körpersprache und stellt die innere Zerrissenheit und Verletztheit von Simon erstklassig dar. Deshalb wurde er völlig zurecht mit dem Bayrischen Filmpreis als bester Nachwuchsdarsteller geehrt.
Auch Stephanie Japp und Hanna Plaß überzeugen in ihren Rollen.
Die wunderschön aufgenommenen Locations, hierbei ist vor allem das Haus der Dallingers hervorzuheben, nehmen im Film eine wichtige Rolle ein. Die Veränderungen im und am Haus zeigen immer wieder die Schwere der Krankheit von Hans. Sie bleiben nachhaltig im Gedächtnis, was ein Zeichen für die Klasse der Ortsauswahl ist.
Die gefühlvolle, stimmige und melancholisch angehauchte Musikuntermalung trägt ihren Teil zu der dichten Atmosphäre und der Spannung des Filmes bei. Denn Hirngespinster ist ein wuchtiges, brisantes Drama mit vielen überraschenden Szenen und Wendungen. Der Film regt zum Nachdenken an, ist intelligent und interessant. Auch der parallel zur Familiengeschichte ablaufende Handlungsstrang der Beziehung zwischen Simon und Verena kann überzeugen. Dieser zweite Handlungsstrang ist wichtig, um die Gefühlswelt Simons vielschichtig widerzuspiegeln.
Leider wirkt die Auflösung des Filmes beschönigt und dadurch nicht zu hundert Prozent überzeugend. Die einzige wirklich nennenswerte Schwäche des Filmes. Denn ansonsten ist Hirngespinster ein zutiefst bewegender, aufwühlender und starker deutscher Film.
by Stefan Bröhl