Filmwertung: |
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| 6/10 |
Der 2009 verstorbene Autor J.G. Ballard gilt heute als einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, der die postmoderne Literatur mit seinen Werken bereicherte. Mit seinem Roman „Hochhaus – High-Rise“ von 1975 entwarf er eine düstere Moderne, in der die Menschen ihre eigene Landschaft prägen.

Dass die Eigenverantwortlichkeit Auswirkungen auf die soziale Entwicklung hat, zeigt sich deutlich am Verfall der Manieren und Sitten. Dies fängt Ben Wheatley in seinem Drama „High-Rise“ perfekt ein. Drehbuchautorin Amy Jump skizziert, basierend auf Ballards Roman, eine verkorkste Welt, in der Wohnverhältnisse präzise den Gehältern angepasst sind. Während die arme Bevölkerung in den dunklen Wohnungen im Erdgeschoss haust, können sich die Reichen die Dachgeschosse gönnen. Auch der junge Arzt Robert Laing (Tom Hiddleston) gehört mit seinem Einkommen zu der höheren Klasse und bezieht sorgenfrei den 25. Stock. Da er der einzige Arzt im Hochhaus ist, sind die anderen Bewohner nicht nur neugierig, sondern wollen sich auch seine Freundschaft sichern. Selbst Anthony Royal (Jeremy Irons), der Besitzer des Komplexes, sucht Laings Nähe. Notgedrungen muss sich der Arzt in die Gesellschaft einfügen, was ihm anfangs sichtlich schwer fällt. Doch da das gesamte Leben samt Einkaufstouren und sportlicher Aktivität innerhalb des Hochhauses stattfindet, kann Laing dem sozialen Umfeld nicht entgehen. So lernt er auch nebenbei Richard (Luke Evans) und Helen Wilder (Elisabeth Moss) kennen, die ganz unten leben und von der Oberschicht herumgeschubst werden. Nur allzu schnell offenbaren sich Abgründe, die Laing nie für möglich gehalten hätte.
„High-Rise“ ist ein interessanter Versuch einer Gesellschaftskritik, die mit einigen filmischen Raffinessen umgesetzt wurde.

Anhand sehenswerter Kameratricks wird das zunächst schillernde Leben betrachtet, das sich bald im Chaos verliert. Als Kulisse dient hauptsächlich das Hochhaus, in dem die unterschiedlichsten Charaktere eng nebeneinander wohnen. Den gängigen Klischees angepasst, sind die Wohnungen der Unterschichten spärlich eingerichtet und werden vom zahlreichem Nachwuchs verwüstet. Zur gleichen Zeit frönt die Oberschicht ihr süßes Nichtstun mit ausreichend Champagner und teurem Luxusartikeln. Die Kamera fängt Momentaufnahmen ein, die dem Zuschauer die Gegensätze der gesellschaftlichen Schichten vor Augen führt. Nachdem der Strom ausfällt, vermischen sich die Grenzen jedoch zwischen den Schichten und lassen mehr Gemeinsamkeiten erkennen, als den Bewohnern lieb ist. Jeder ist auf das eigene Überleben bedacht und geht dafür sprichwörtlich über Leichen. In der Not versuchen Laing und seine Nachbarn zusammenzuhalten, was jedoch nur von kurzer Dauer ist. Der Verfall der Sitten führt dazu, dass das Hochhaus zu verkommen droht. Plötzlich nehmen sich alle Bewohner, unabhängig ihrer sozialen Schicht, daneben. Pflichten und Rechte werden außer Acht gelassen und eine unausweichliche Katastrophe bahnt sich an.
Nicht nur die Handlung gerät außer Bahn, sondern auch die Kamera von Laurie Rose verliert das Wesentliche aus dem Auge.

Die Szenen wirken zum Ende hin wahllos, durch teils unlogische Schnitte, aneinandergereiht. Da die Figuren bis dato nur oberflächlich betrachtet wurden, gelingt es dem Zuschauer nicht, Sympathie aufzubauen. Demnach ist das Chaos, in dem das Hochhaus versinkt, lediglich eine logische Schlussfolgerung, die mit keinerlei emotionalen Tiefpunkten aufwarten kann. Selbst die Hauptfigur des jungen Arztes, die von Tom Hiddleston („
Thor“) verkörpert wird, kann den Zuschauer nicht gefangen nehmen. Und auch Jeremy Irons („Beautiful Creatures“) bleibt in seiner Darstellung eine blasse Persönlichkeit, die dem Chaos zum Opfer fällt.
Fazit: „High-Rise“ ist ein wild konstruierter Film mit gesellschaftskritischen Zügen, der mit seinen schnellen Schnitten und chaotischen Wendungen provozieren will. Obwohl die Ausgangsidee durchaus spannend ist, gelingt es Regisseur Ben Wheatley nicht, den Zuschauer in seinen Bann zu ziehen.
by Sandy Kolbuch