Filmwertung: |
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| 9/10 |
Auch wenn es viele Zuschauer immer noch nicht wahr haben wollen, Robert Pattinson erweist sich nun schon seit vielen Jahren mit anspruchsvollen Parts für querdenkende Filmemacher als Schauspieler, der weit mehr kann als „Twilight“. Den vermutlichen Höhepunkt nach Rollen für David Cronenberg, James Grey, Werner Herzog oder Anton Corbijn findet sein bisheriges Schauspielerdasein wohl mit dem brillanten Kriminalfilm „Good Time“. Der nun dritte gemeinsame Film des gefeierten New Yorker Independent-Brüderpaares Josh und Benny Safdie („Heaven Knows What“) feierte am Sonntag im Zuge des Filmfestival Cologne seine Deutschlandpremiere, nachdem er bereits im Wettbewerb der diesjährigen Filmfestspiele von Cannes frenetisch gefeiert wurde. Nicht nur der Film genoss viel Aufsehen, gerade Robert Pattinson wurde für seine herausragende Leistung als Kleinkrimineller, der alles versucht, um seinen Bruder aus dem Knast zu befreien, mit Lob überhäuft. Seine Leistung galt sogar als einer der Favoriten auf den Darstellerpreis in Cannes (Joaquin Phoenix gewann schließlich für „You Were Never Really Here“), jedoch kann sich Pattinson immer noch entfernte Hoffnungen auf seine erste Oscar-Nominierung machen.
Robert Pattinson in Good Time © temperclayfilm
Preise hin oder her, spätestens mit „Good Time“ sollte sich Robert Pattinson einen Namen als ernstzunehmender Schauspieler gemacht haben. Gerade dreht der Brite noch gemeinsam mit Claire Denis in Form des Science-Fiction-Films „High Life“ sein nächstes spannendes Projekt, so bot es sich an, dass er nach der Premiere von „Good Time“ auf dem Filmfestival Cologne“ vorbei schaut. Das Gespräch mit Moderator Steve Blame war recht kurz und Pattinson verschwand direkt danach auch wieder durch den Hintereingang, das schmälerte jedoch nicht den Eindruck, den dieser aufsehenerregende Film hinterlassen hat.
Eine spektakuläre, sich verdichtende Skyline-Aufnahme auf ein New Yorker-Hochhaus. Dieses leinwandfüllende, taghelle Bild ist eine der letzten Gelegenheiten, um bei diesem intimen und aufregenden Film durchzuatmen. Denn unmittelbar sind wir als Zuschauer auch schon in dem gezeigten Gebäude und nehmen an einer Therapiesitzung mit dem Psychiater Peter (Peter Verby) und dem wegen mangelnder Hörfähigkeit nuschelnden Nick (Regisseur Benny Safdie) teil. Was der Hintergrund dieser Sitzung und den merkwürdigen Testfragen des Psychiaters ist, erfahren wir nicht. Der Stil der Safdies, der dieses Gespräch ausschließlich in extremen Großaufnahmen der beiden Gesichter einfängt, zieht aber sofort in seinen Bann und erwartet höchste Aufmerksamkeit. Plötzlich platzt Nicks spürbar unruhiger Bruder Connie (Robert Pattinson) in den Raum rein und beendet dieses schließlich tränenreiche und einseitig geführte Gespräch jäh. Ab hier gibt der Film Vollgas.
Robert Pattinson (rechts) mit Jennifer Jason Leigh © temperclayfilm
Es ertönen sphärische düstere Klänge, die hier direkt für ganz dichte Stimmung sorgen. Die Eröffnungssequenz ist inklusive der Retro-Titel in deutlicher stilistischer Anlehnung an die 80er Jahre gehalten, was mit dem außergewöhnlichen, hemmungslos düsteren Synthesizer Score von Oneohtrix Point Never wunderbar in perfektem Einklang steht. Doch stilistisch findet sich „Good Time“ letztlich noch viel stärker im New Yorker-Kriminalfilm der 70er Jahre wieder – schmutzig, düster, roh, ungestüm und mit präzisem Gespür für soziale Problematik. Es folgt ein außergewöhnlich inszenierter, völlig still durchgeführter Banküberfall der beiden Brüder, bei dem nicht nur die Vorgehensweise unorthodox ist, auch ihre Masken hat man in dieser Form wohl noch nie gesehen – so viel sei verraten, den Safdies gelingen von Beginn an einprägsame und kraftvolle Bilder. Der Überfall glückt, doch natürlich läuft danach alles aus dem Ruder und die Polizei heftet sich an die Fersen der beiden Verdächtigen. Hier wird aus „Good Time“ ein rastloser und hochintensiver Hochgeschwindigkeitsfilm, der immer ganz dicht an den Figuren ist und nie von ihnen weicht, nur selten nie Raum zum Atmen bietet. Das ist vibrierendes und aufregendes Genrekino, mit der flirrenden Intensität eines Fiebertraums, bzw. -albtraums inszeniert. Die immer im Hintergrund wabernden Synthesizer-Klänge mutieren plötzlich zu treibenden, metallischen Beats, schrill und pulsierend, in perfekter Symbiose zu den ungestümen Bildern.
Connie kann vor der Polizei flüchten, seinem nicht nur körperlich, sondern auch geistig zurückgebliebenen Bruder Nick ist aber kein so glückliches Schicksal gegönnt. Er wird von den Cops geschnappt und kommt in Haft – woraufhin sein gewiefter Bruder alle Hebel in Bewegung setzt, um ihn wieder rauszukriegen. Beweise gegen Nick gibt es keine außer einen reinen Verdacht wegen der Flucht vor den Gesetzeshütern, weshalb Connie mithilfe seiner Freundin Corey (Jennifer Jason Leigh) die Kaution aufbringen will. Doch dieser Plan geht leider schief und Connie muss umdenken, was ihn schließlich zu einer wilden nächtlichen Odyssee durch ein Krankenhaus, fremde Wohnungen und einen Vergnügungspark in Queens führt. Hier wird ein düsteres Bild abseits der Hochglanzwelt Manhattans gezeigt, schmutzig, zerfallen und hoffnungslos. In der Wohnung einer fremden älteren Frau und ihrer Enkeln Crystal (Taliah Webster), bei denen Connie zwischenzeitlich Unterschlupf findet, funktioniert eigentlich nichts außer der Fernseher. Hier entspannt sich der Film ein wenig und bietet Platz für einige denkwürdige und tatsächlich sehr lustige, situationskomische Szenen zwischen Connie und der 16-jährigen Crystal.
Constantine (Robert Pattinson © temperclayfilm
„Good Time“ ist nicht nur hochspannendes, zutiefst originelles und hypnotisches Genrekino, den Safdies gelingt es auch ganz viel über ihre Figuren auf dem Weg zu erzählen. Dadurch, dass sie fast ihren kompletten Film über Großaufnahmen erzählen, sorgen sie für eine klaustrophobische und beklemmende Atmosphäre, die nie loslässt. Immer wieder lassen sie auch wie angedeutet gelungenen schwarzen Humor miteinfließen, womit sie den Film nicht nur stilistisch, sondern auch erzählerisch stets unvorhersehbar halten. Hier hat man das Gefühl, dass jederzeit alles passieren kann und niemand sicher ist. Gerade Robert Pattinsons sprunghafte Figur Connie fasziniert durch seine kaum einschätzbare Art – vordergründig will er seinen Bruder schützen, zugleich agiert er aber auch immer wieder opportunistisch und clever, um zu seinem Ziel gelangen und sich in dieser dysfunktionaler Bruderbeziehung selbst gut aussehen zu lassen. Liebe funktioniert in „Good Time“ mehr als zerstörerische denn schöpfende Kraft. Pattinson, der mit fettigen Haaren und abgetragenen Klamotten Mut zur Hässlichkeit beweist, war wohl noch nie so intensiv und unberechenbar wie hier zu erleben, wodurch seine Performance tatsächlich als echte Offenbarung einzuschätzen ist.
„Good Time“ ist ein aufregender und letztlich sogar subtil bewegender Höllentrip, der von der ersten bis zur letzten Sekunde mitreißt. Die Safdies verlieren nie die Menschlichkeit ihrer Figuren aus dem Blick und generieren mit diesem einzigartig wilden, unaufhaltsamen Genremix einen der aufsehenerregendsten und originellsten Filme des Jahres, der Lust darauf macht, mehr von diesen hochtalentierten und ungestümen Filmemachern zu sehen.
Fazit: „Good Time“ bildet nicht nur den bisherigen Höhepunkt von Robert Pattinsons immer spannender werdenden Karriere, er offenbart auch einem breiteren Publikum das aufregende Werk zweier hochtalentierter Filmemacher. Den Safdies gelingt hier ein stilistisch einzigartiger, hypnotischer und intensiv-aufregender Fiebertraum, der Genre-Thrills mit tief empfundener Menschlichkeit und sozialer Beobachtungsgabe verknüpft.
by Florian Hoffmann