Filmkritik Ein freudiges Ereignis
Filmwertung: |
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| 7/10 |
Mutterschaft, dieser an die Frauen adressierte Mythos zum Zweck des Fortbestands der Menschheit, ist eines der letzten Tabus unserer Gesellschaft. Ein Kind zu haben muss wundervoll sein und über den mit der Lebensveränderung verbundenen emotionalen Schock, den das Mutterwerden in der Realität erzeugt, spricht man nicht. Ebenso wenig darüber, dass statistisch 25% aller Partnerschaften aufgrund der Veränderungen nach Ankunft ihres ersten Kindes zerbrechen, was heute "Baby Clash" genannt wird.
Die junge attraktive Studentin Barbara (Louise Bourgoin) verliebt sich unsterblich in Nicolas (Pio Marmaï), der in einer Videothek seinen Lebensunterhalt verdient. Die beiden leben ihre Liebe in vollen Zügen aus, ziehen in eine gemeinsame Wohnung und gerade als Babs noch völlig mit ihrer Abschlussarbeit beschäftigt ist, erfährt sie, dass sie schwanger ist. Gefühlsmäßig zwischen Aufregung und Unsicherheit schwankend, freut sich das Paar auf das Kind. Doch aus den neun Monaten bis zur Geburt wird schon bald eine Zeit voller Selbstzweifel für Barbara, und sie versucht vergeblich, das Bild einer glücklichen werdenden Mutter abzugeben. Die ganzen Begleitumstände und ihr zunehmend mieses Sexualleben verbittern sie immer mehr. Und als die kleine Lea dann auf der Welt ist, bricht für beide spürbar die Welt zusammen und Babs fühlt sich alles andere als bereit, dem Kind die nötige Liebe zu geben. Zwischen beiden liegt nun nur noch das Baby im Bett, an Sex ist gar nicht mehr zu denken und zu allem Überfluss will auch noch Nicolas Mutter ihre Vorstellung von Kindererziehung einbringen. Babs fragt sich, warum sie niemand gewarnt hat.
Ehrlich, sensibel und humorvoll porträtiert "Ein freudiges Ereignis" das Elternwerden und Elternsein in der modernen Welt. Basierend auf dem gleichnamigen Roman "Un heureux événement" von Éliette Abéccassis inszeniert Regisseur Rémi Bezançon ("C’est La Vie – So sind wir, so ist das Leben") einen Film voller komischer und berührender Momente, ohne dabei die Ernsthaftigkeit des Themas aus den Augen zu verlieren. Louise Bourgoin, eine der aktuell gefragtesten jungen Schauspielerinnen Frankreichs, verkörpert die junge Mutter Barbara eindrucksvoll. Zwei relativ unabhängige Filmhälften bilden zunächst die Zeit vor der Geburt ab, in der das Paar beinahe bemitleidenswert naiv in den romantischen Fantasien des freudigen Ereignisses schwelgen, um dann diesen Vorhang der Fantasie zu zerreißen und einen im Chaos angekommenen Alltag nach der Geburt zu zeigen. Dieser dann eingetretene Krisenzustand mit der Müdigkeit schlafloser Nächte wird durch den Einsatz von Handkameras, härterem Licht und blasseren Farben verstärkt.
Bezançons Film zeigt schonungslos sämtliche potentiellen Schattenseiten des Mutterseins auf und verstärkt die Situation noch dadurch, dass auch Barbaras aufstrebender wissenschaftlicher Karriere mit dem Kind ein abruptes Ende gesetzt wird, weil ihr Doktorvater mit ihrem neuen, von der Mutterrolle geprägtem Zugang zur Philosophie nichts mehr anfangen kann und die für sie vorgesehene Stelle an der Uni mit einem Mann besetzt. Eine Frau, die Mutter wird, durchläuft eine Revolution, ihr Körper verändert sich, ihre Identität ist zerlegt, die Beziehung zum Partner steht auf der Kippe, Freundschaften ändern sich, alles muss neu definiert werden und kein Thema bleibt das gleiche, beschreibt auch die Autorin der Romanvorlage Éliette Abéccassis ihre persönliche Erfahrung. Zur finanziellen Absicherung der Familie müssen eventuell vorhandene gewagte berufliche Träume begraben werden, und das Baby schreit, wie im Film so wunderbar lustig tragisch dargestellt, das Sexualleben kaputt. Und selbst, wenn man den Akt vor dem kreischenden Babyfon noch schnell auf dem Boden zu Ende bringen kann, so hat doch auch der Körper der Mutter durch die Geburt eine nachhaltige Veränderung erlebt.
"Ein freudiges Ereignis" zeigt das Mutterbild im Zwiespalt der Verpflichtung aus früheren Generationen und der Überforderung der in der modernen Welt agierenden Frau, will etwas feministisch sein und entlässt den Zuschauer so angenehm verstört, weil er in der Gesellschaft tabuisierte Gefühlswelten beleuchtet.
by André Scheede