Filmwertung: |
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| 8/10 |
Was wäre, wenn man Menschen auf Miniaturgröße schrumpfen könnte? Welche Auswirkungen hätte so etwas auf die gesamte Weltwirtschaft und auch die Umwelt? Diese Fragen wirft „Downsizing“, der hochoriginelle und aberwitzige neue Film von Oscar-Gewinner Alexander Payne auf, der sich in der Vergangenheit mit Filmen wie „Election“, „About Schmidt“, Sideways“ und „Nebraska“ als scharfsinniger und präzise beobachtender Humanist einen Namen gemacht hat. Sein neuer Film, an dessen Drehbuch er mit Co-Autor Jim Taylor bereits seit gut zwölf Jahren gearbeitet hat, ist nun sicher sein mit Abstand ambitioniertestes und ironischerweise größtes Projekt.
Kristen Wiig spielt Audrey und Matt Damon spielt Paul © Paramount Pictures
Payne und Taylor malen hier ein kurioses Science-Fiction-Szenario aus, in dem die norwegischen Wissenschaftler Dr. Jorgen Asbjørnsen (Rolf Lassgård, „
Ein Mann namens Ove“) und Dr. Andreas Jacobsen (Søren Pilmark) nach jahrelanger Arbeit einen unglaublichen medizinischen Durchbruch schaffen: Ihnen ist es gelungen, Lebewesen auf den Bruchteil ihrer ursprünglichen Größe zu schrumpfen. Das schildert der Film in mehreren Zeitsprüngen, bis er zur Gegenwart 15 Jahre nach der Entdeckung der Schrumpfformel angelangt ist. Mittlerweile haben sich weltweit mehrere speziell hergerichtete Habitate namens „Leisure Land“ etabliert, die von der Außenwelt in Form einer lichtdurchlässigen Kuppel geschützte Landschaften mit allen Annehmlichkeiten darstellen. Auch wenn der Schrumpfprozess durchaus kostspielig ist, so bietet etwa das Vermögen von 155.000 Dollar in Leisure Land den Gegenwert von gut 12,5 Millionen. Hierbei handelt es sich um den Reichtum des Ehepaares Paul (Matt Damon) und Audrey Safranek (Kristen Wiig), die nach reiflicher Überlegungszeit den Schritt in ihr Leben als Minimenschen wagen wollen. Doch die beiden Normalos können in Leisure Land nicht nur wie Könige in einer Riesenvilla leben, sie sorgen zudem für einen enormen Beitrag zum Klimaschutz, da viel weniger Rohstoffe verbraucht werden müssen.
Gerade das erste Drittel von „Downsizing“ ist ein Mini-Meisterwerk für sich. Die evolutionären Zeitsprünge von der Entdeckung der Norweger anhand von Tierversuchen zur Vorstellung der ersten Minimenschen bei einem Kongress in Istanbul fünf Jahre später und der damit einhergehenden weltweiten Aufmerksamkeitswelle ist herrlich spritzig und sehr lustig erzählt. Hier gelingt es Payne zahlreiche wunderbar kuriose Beobachtungen zu machen, die für anhaltendes Staunen angesichts der kreativen Einfälle und des sehr originellen und so nie gesehenen Konzeptes sorgen. Der gutherzige und recht biedere Paul Safranek, der in einer Fleischfabrik als Therapeut arbeitet und von seinem in Stillstand geratenen Leben schwer gelangweilt ist, verkörpert exakt den so präzise und herrlich trocken beobachteten Payne-Normalo, der aus seinem Alltag ausbrechen will – natürlich in Omaha, Nebraska. Wie sehr Pauls Leben festgefahren ist, zeigt ein brillant pointierter Zeitsprung, der zeigt, wie er zunächst seiner Mutter Essen nach Hause bringt und zehn Jahre später exakt das Gleiche bei seiner Frau Audrey macht.
Christoph Waltz spielt Dusan Mirkovic © Paramount Pictures
Payne beobachtet hier nicht nur das gewöhnliche Leben ganz einfacher Menschen mit gewohntem Mitgefühl und trocken beobachtetem Humor, er zeigt auch eine Welt im Wandel mitsamt seiner Konsequenzen. So baut Payne schon vor der Entscheidung, sich schrumpfen zu lassen, wie der Stand kleiner Menschen in der Gesellschaft ist. Hier zieht Payne nachvollziehbare Parallelen zur Diskriminierung von Minderheiten, wodurch eine Analogie zur gegenwärtigen Realität denkbar nahe liegt. Das wird vor allem dann deutlich, wenn die Safraneks bei ihrer Abschiedsparty in einer Bar von einem passiv-aggressiven Gast angesprochen werden, der mitbekommen hat, dass es sich bei den Beiden um zukünftige Minimenschen handelt. Ist es denn rechtens, dass diese Menschen die gleichen Rechte wie andere Amerikaner haben, wo sie doch eigentlich nicht mehr auf dieselbe Weise zur Wirtschaft beitragen und eigentlich eine vom Rest der Welt mehr oder weniger abgeriegelte Existenz führen?
So farceartig „Downsizing“ bis hierhin erscheint, Paynes Vision ist erstaunlich nachvollziehbar inszeniert und verfügt auch über seine bekannte Menschlichkeit und den entsprechenden Ernst, der den Humor sehr hintersinnig und wahrhaftig erscheinen lässt. Payne hält das Tempo hoch und eines der ganz großen Highlights des Films ist schließlich der mittlerweile zur Routine gewordene Schrumpfprozess, der anhand von Paul geschildert wird. Nicht nur werden die Patienten am ganzen Körper kahl rasiert, auch ihre Zahnimplantate müssen entfernt werden, da diese nicht geschrumpft werden können. Schritt für Schritt führt der Film durch dieses aberwitzige Szenario und sorgt dabei für große Lacher angesichts dieser wirklich skurrilen Bilder.
Margo Martindale spielt die Frau im Bus © Paramount Pictures
Dann führt Payne durch Leisure Land, wo es das große Erwachen für Paul gibt. Hier erinnert „Downsizing“ ein wenig an „Die Truman Show“, einen anderen großen Vertreter der quasi-realistischen Science-Fiction-Satire. Wie auch in Peter Weirs Meisterwerk schildert Payne hier eine klinisch wirkende Paradieswelt, die wie eine perfekt manikürte Parallelrealität wirkt. Spätestens hier muss festgestellt werden, dass es Payne gelungen ist, eine verblüffende, voll realisierte Welt zu erschaffen, die ganz und gar glaubwürdig erscheint. Auf faszinierende Weise gelingt es Kameramann Phedon Papamichael und Production Designer Stefania Cella die Illusion einer Miniaturwelt durch subtile Details aufrecht zu erhalten, auch wenn man sich die ganze Zeit auf der Ebene der Minimenschen aufhält.
Filmisch ist „Downsizing“ ein echter Triumph, der vor Kreativität und Originalität aus allen Nähten platzt. Doch auch erzählerisch und thematisch erweist sich der Film ebenfalls als enorm ambitioniert und ideenreich, sodass Payne das Geschehen erstaunlich überraschend und unvorhersehbar gestaltet. Tatsächlich bewegt sich der Film mit Erscheinen der illegal aus Vietnam eingewanderten Dissidentin Ngoc Lan (Hong Chau), die gegen ihren Willen geschrumpft wurde und nun in Leisure Land als Putzhilfe mit nur einem Bein arbeitet, nochmal in ganz neue und höchst unerwartete Richtungen. Hier erforscht der Film eine Zweiklassengesellschaft, zu der nicht nur das Luxusparadies von Leisure Land, sondern auch sein gerade so außerhalb gelegenes Ghetto armer Arbeiter etabliert. Hier erreicht „Downsizing“ nochmal ganz neue Dimensionen, die den Film spätestens jetzt zu einer beißenden Satire auf die soziopolitische Situation der Gegenwart macht. Doch Payne wäre nicht Payne, wenn es sich hier nicht vordergründig um eine sehr persönliche und menschliche Geschichte drehen würde.
Hong Chau spielt Ngoc Lan Tran © Paramount Pictures
So erweist sich Hong Chau in einer aufsehenerregenden Darstellung gewissermaßen als Geheimwaffe des Films, die mit dick aufgetragenem Akzent, skurrilen Eigenarten und ihrer entwaffnend ehrlichen Art nicht nur viele kecke Sprüche auf Lager hat, sondern sich auch immer zum überraschenden Herzen dieses Films entwickelt. Während Chau zunächst eine etwas irritierende Präsenz mit quäkender Stimme ist, wird ihre Beziehung zu Paul zunehmend warmherziger und ergreifender – ohne jedoch jemals sentimental zu werden. Hinzu kommen noch die europäischen Alt-Playboys Dusan (Christoph Waltz) und Konrad (Udo Kier), die über Pauls Wohnung zahlreiche laute und sowohl alkohol- als auch drogenreiche Partys feiern und ihren Hedonismus mit all seinen neugewonnenen Möglichkeiten voll auskosten.
Die Richtung und geänderte Tonalität, die Payne irgendwann hier mit seinem dann doch recht lang wirkenden Film einschlägt (die Laufzeit beträgt 135 Minuten), ist überraschend und mutig, doch schon recht früh hat man auch leider das Gefühl, das diesem faszinierenden Film langsam die Luft ausgeht. Das hohe Tempo des Beginns mit all seinen vielversprechenden Dimensionen weicht hier zunehmend einem Film, der sich mehr als Öko- und Selbstfindungstrip eines Ziellosen versteht, der einen Lebenssinn findet. Man spürt „Downsizing“ seine immer größer werdende Ambition deutlich an und vielleicht bedarf es dann eines zweimaligen Ansehens, um diese wahnwitzige Vision ganz zu begreifen. So hat man jedoch beim ersten Mal ansehen noch ein wenig das Gefühl, hier nur ein halbes Meisterwerk bewundern zu können, das seine enorm vielversprechende erste Hälfte nicht völlig zufrieden stellend zu Ende erzählt. Hier soll nicht zuviel verraten werden, aber gerade der dritte Akt des Films, der sich erneut nach Norwegen verlagert, schießt dann doch gefühlt eher am Ziel vorbei. Trotz allem, mit „Downsizing“ ist Alexander Payne ein oft sehr geistreiches, inspiriertes und auch liebenswürdiges und lebenbejahendes Werk gelungen.
Fazit: Mit „Downsizing“ ist Alexander Payne ein immens originelles und skurriles Fast-Meisterwerk gelungen, das nicht nur konstant mit kreativen und kuriosen Einfällen überrascht, sondern auch mit hintersinnigem Humor und großer Menschlichkeit ausgestattet ist. Doch vielleicht wirft der enorm ambitionierte Film zu viele ausufernde Ideen ein, um letztlich komplett zufriedenstellend zu sein.
by Florian Hoffmann
Bilder © Paramount Pictures Germany