Filmwertung: |
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| 8/10 |
Nach seinem wunderbaren dritten englischsprachigen Film „
Am grünen Rand der Welt“ letztes Jahr kehrt der Däne Thomas Vinterberg mit „Die Kommune“ wieder zu seiner Muttersprache zurück. Stilistisch und inhaltlich erinnert der diesjährige Berlinale-Wettbewerbsbeitrag in Vinterbergs Gesamtwerk wohl am ehesten an seinen Dogma-Klassiker „Das Fest“, indem er erneut die Dynamik innerhalb einer größeren Gruppe auf begrenztem Raum erforscht.

Doch in „Die Kommune“ geht es letztlich weit weniger dramatisch zu wie in Vinterbergs Durchbruch, zu großen Teilen ist der Film eine autobiografische Liebeserklärung an das Konzept eines kommunalen Zusammenlebens verschiedener Individuen unter einem Dach, die sehr herzlich und menschlich wirkt, aber auch nicht ohne bittere Momente und Tiefgang bleibt. Autobiografisch ist der Film schon mal deshalb, da Vinterberg im Alter von Neun bis 19 Jahren selbst in einer Kommune gelebt hat. So spielt „Die Kommune“ eben auch in den Siebziger Jahren und greift einige Dinge auf, die der Regisseur selbst erlebt hat. Doch der Film zeigt einen noch tiefergehenden persönlichen Bezug auf, der durchaus pikant ist.
Kopenhagen in den Siebziger Jahren. Der Architekt und Hochschul-Dozent Erik (Ulrich Thomsen) erbt eine mehrstöckige Villa seines gerade verstorbenen Vaters, von dem er sich schon lange entfremdet hatte. Eigentlich will er das Anwesen direkt zu einem hohen Preis verkaufen lassen, doch seine Ehefrau Anna (Trine Dyrholm), die mit großem Erfolg als Nachrichtensprecherin arbeitet, hat den spontanen Einfall, aus dem Haus eine Kommune zu machen. Etwas zähneknirschend lenkt Erik ein und er gibt der Idee eine Chance. Sie laden Freunde und Außenstehende zur Besetzung der Groß-WG ein, nicht lange dauert es, bis das Haus entsprechend gefüllt ist. Da wäre der etwas exzentrische Ole (Lars Ranthe), ein alter Freund von Erik, der schnell als erster Mitbewohner feststeht. Hinzu kommt das nicht schlecht verdienende Paar Ditte (Anne Gry Henningsen) und Steffen (Magnus Millang), die zudem noch ihren siebenjährigen Sohn Vilads (Sebastian Grønnegaard Milbrat) im Schlepptau haben, der an einer Herzkrankheit leidet. Auch die flippige und lebensfrohe Mona (Julie Agnete Vang) wird Teil der Kommune, abgerundet wird die Gruppe schließlich durch den auf den ersten Blick eher unwahrscheinlichen Kandidat Allon (Fares Fares), der kein festes Einkommen hat und wohl am ehesten als Lebenskünstler zu bezeichnen ist. Ein Running Gag des Films ist die Tatsache, dass Allon bei unbequemen Konfrontation regelmäßig direkt zu Heulen beginnt, was auch letzten Endes der Grund seiner Aufnahme ist.
Zunächst geht das Konzept der Kommune voll auf. Die Bewohner harmonieren untereinander und erfreuen sich ihres Lebens, dementsprechend liebenswert wirkt der Film in seinem ersten Drittel und zeigt immer wieder viele humorige Situationen, die zu zahlreichen Lachern einladen.

Die Kommune teilt alles zusammen, es kommt zu regelmäßigen Versammlungen, bei denen über diverse Anliegen abgestimmt wird, man isst und feiert zusammen oder geht auch mal gemeinsam ins Meer nacktbaden. Hier verbreitet der Film ansteckende Lebensfreude und vermittelt die Ideale einer Kommune, also die Freiheit, die Gemeinschaftlichkeit und das Zusammensein mit großer Leidenschaft und auch Freizügigkeit. Doch natürlich ist Vinterberg eben auch ein realistischer Beobachter menschlichen Verhaltens, weshalb die ersten Konflikte nicht lange auf sich warten lassen.
Ein Katalysator vieler Probleme ist Erik, der von seiner 24-jährigen Studentin Emma (Helene Reingaard Neumann) verführt wird und schließlich eine ernsthafte Affäre mit ihr eingeht, die sich dann zu einer echten Liebe entwickelt. Das bleibt auch nicht unentdeckt, denn Eriks und Annas 14-jährige Tochter Freja (Martha Sofie Wallstrøm Hansen) entdeckt die Beiden in flagranti. Auch wenn Freja gar nicht will, dass ihre Mutter von der unehelichen Beziehung erfährt, kann Erik nicht mit dieser Lüge leben und gesteht in einer bemerkenswert ehrlichen und direkten Beichtszene von seinem Verhältnis, das er nun auch beenden will. Anna reagiert mit erstaunlichem Verständnis und glaubt daran, dass sie ihre Beziehung retten können. Doch Erik kommt nicht so einfach von Emma weg…
Ab einem gewissen Punkt handelt der Film nicht mehr von der Kommune selbst, sondern fokussiert sich mehr oder weniger auf das Portrait einer Frau in ihren Vierzigern, die droht an geänderten Umständen zu zerbrechen. Anna versucht an die Idee einer Kommune zu glauben und Vinterberg erforscht für bestimmte Teile des Films die innere Dynamik und Funktionsweise einer Kommune. Doch die Tatsache, dass sie mit Emma im Prinzip von einer jüngeren Version ihrer selbst ausgetauscht wird, nagt gefährlich an ihr. Sie versucht lange mitzuspielen, sie ermutigt ihren Mann sogar zum Einzug seiner Neuen, doch ihr liberaler Idealismus stellt sich letzten Endes als persönliche Illusion heraus. Das heißt jedoch nicht, dass Vinterberg und Co-Autor Tobias Lindholm die Idee einer Kommune dann insgesamt als gescheitert erklären, denn abgesehen von dem Dreieck Anna-Erik-Emma erweist sich das Zusammenleben als durchaus erfolgreich, man stützt sich gegenseitig, man teilt, man liebt, gibt einander Halt und hat Freude im Leben. Der Film ist so letztlich optimistisch, trotz mancher Rückschläge muss das Leben einfach weitergehen.
Doch der Weg zu dieser Erkenntnis ist steinig, denn Anna leidet gewaltig unter dieser ungewöhnlichen Situation.

Sie ist zweifelsohne das emotionale Zentrum des Films, denn sie ist auch diejenige, die Erik zum Schaffen einer Kommune ermutigt, vermutlich, um ihre eigene Jugend und Frische zu erhalten, der Langeweile und Routine des Mittvierzigerlebenens zu entfliehen. So versucht sie auch angesichts der geänderten Voraussetzungen ein nettes Gesicht zu machen, sie zwingt sich sogar dazu, ihre Nachfolgerin nicht nur zu akzeptieren, sondern auch mit ihr anzufreunden. Letztlich begibt sie sich aber in eine Abwärtsspirale, wodurch auch ihr bislang erfolgreiches Arbeitsleben leidet. Die großartige Trine Dyrholm, mindestens eine der feinsten dänischen Akteurinnen der Gegenwart, ist in ihrer sehr emotionalen und facettenreichen Rolle schlicht spektakulär. Sie ist immer extrem menschlich in ihrer Darstellung und deckt eine beinahe schmerzhaft authentische Bandbreite menschlicher Emotionen ab. Für diesen furchtlosen Part gab es auch völlig verdient einen silbernen Bären bei der diesjährigen Berlinale.
Erik wird hier als wenig empathischer Macho portraitiert, der das Leiden und die scheinbar tolerierte Demütigung seiner Frau angesichts seiner antürmenden Arbeit gar nicht erkennt. Er ist sichtlich erleichtert angesichts des Freischeins seiner Frau und denkt über weite Teile des Films gar nicht weiter über das verletzte Gefühlsleben von Anna nach. Hier wird es interessant, denn der weitere persönliche Bezug Vinterbergs zeigt sich darin, dass Erik gewissermaßen Reflektionsfläche für ihn selbst ist. Vinterberg verließ seine Frau, mit der er 17 Jahre verheiratet war und zwei Kinder hat für eine weit jüngere Frau, nämlich, wer hätte es gedacht, Emma-Darstellerin Helene Reingaard Neumann.
Für manch einen gerade weiblichen Zuschauer könnte „Die Kommune“ so zu einer polarisierenden Erfahrung werden, denn auch wenn hier ein großer und auch sehr empathischer Facettenreichtum in der Darstellung verschiedener Frauentypen und ihrer emotionalen Welt geboten wird, kann Eriks für ihn fast schon selbstverständliches Verhalten problematisch sein. Wie dem auch sei, „Die Kommune“ ist insgesamt ein weiteres sehr interessantes und gelegentlich herausforderndes Werk in Vinterbergs faszinierender Filmografie, das letzten Endes vor allem dank Trine Dyrholms fabelhafter, überragender Performance begeistert. Darüber hinaus zeigt sich aber auch Vinterbergs großartiges Gespür für das intime und unaufdringliche Darstellen menschlicher Verhaltensweisen. Das ist alles enorm authentisch und fast schon mit dokumentarisch wirkender Klarheit in zahlreichen extremen Großaufnahmen von Gesichtern inszeniert, die einfach unter die Haut geht.

Natürlich kann in einem Film mit so einem großen Ensemble nicht jede Figur gleichermaßen erforscht werden, doch das ist auch nicht die Aufgabe des Regisseurs. Vinterberg muss einen erzählerischen Fokus wählen, doch auch wenn der Film letztlich primär Annas persönliche Reise portraitiert, gelingt ihm ein erstaunlich ausgewogenes Bild der Kommune, bei der die einzelnen Individuen genau ausreichend zur Geltung kommen. Etwas mehr Aufmerksamkeit erhält jedoch Freja, die ihr eigenes sexuelles Erwachen erlebt und sich in einer interessanten Übergangsphase befindet, man erlebt viele Teile des Films gezielt aus ihren Augen, weshalb sie sicherlich auch einer der Platzhalter Vinterbergs sein könnte.
Über „Die Kommune“ kann man jedenfalls viel sagen, denn hier steckt einfach sehr viel Leben, Ehrlichkeit und Persönlichkeit drin. Neben Dyrholm ist der Film vollgepackt mit großartigen und authentischen Darstellungen, die für große Vielfältigkeit und Abwechslung sorgen. „Die Kommune“ ist auch ein Film, der es schafft große Themen ohne Schwerfälligkeit zu behandeln. Viel mehr besticht der Film über eine gewisse Leichtigkeit, die auch ein Zeichen für Vinterbergs Evolution als Filmemacher ist.
Fazit: „Die Kommune“ ist eine über große Strecken sehr gelungene tragikomische Erforschung des Konzepts eines Zusammenlebens verschiedener Persönlichkeiten unter einem Dach. Viel mehr ist der Film aber das Portrait einer faszinierenden Frau, die in einen großen inneren Konflikt gestoßen wird und den schmerzhaften Übergang zwischen Jung und Alt erfahren muss.
by Florian Hoffmann
Bilder © Prokino Filmverleih GmbH