Filmkritik Die Frau im Mond - Erinnerung an die Liebe
Filmwertung: |
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| 5/10 |
Die inzwischen 70-jährige Algerierin Nicole Garcia (*1946) ist mit ihrem beinahe fünfzig Jahre währenden künstlerischen Œuvre eine der bekanntesten und beliebtesten Schauspielerinnen und Regisseurinnen ihres Wahlheimatlandes Frankreich. Der große internationale Durchbruch ist ihr bis dato jedoch noch nicht gelungen, weshalb sie hierzulande wohl nur vereinzelten Filmconnaisseuren bekannt sein dürfte.

Mit ihrem nun achten Spielfilm, der Bestseller-Verfilmung Die Frau im Mond (so die schreckliche deutsche Übersetzung des italienischen Originals Mal di pietre [2006]) der italienischen Schriftstellerin Milena Agus mag wohl ein neuer Anlauf starten. Mit Weltstar Marion Cotillard in der Hauptrolle, dem bereits eingefahrenen internationalen Renommee durch die Filmfestspiele von Cannes, in deren offiziellen Wettbewerb der Film 2016 lief, und letztlich der großen Bekanntheit des Romans stehen die Vorzeichen dafür zunächst einmal deutlich gut. Doch dürfte seitens des aufgeklärten Zuschauers und Kritiklesers schon bald sie Ernüchterung folgen... Die Frau im Mond ist dabei kein – wie mancherorts zu lesen – feministischer Film und möchte dies auch nicht sein. Fernab jeden ideologischen Programms nimmt hier eine Frau als Regisseurin detailliert und empathisch das tragische und rätselhafte Schicksal einer Frauenfigur in ihrer menschlichen Fragilität in den Blick.
Auf dem französischen Land Anfang der vierziger Jahre träumt die junge Gabrielle (Marion Cotillard) von bedingungsloser Liebe und Hingabe. Die Versuche, den Dorflehrer zu verführen, scheitern und sie wird schon bald das Gespött des Ortes. Von ihrer eigenen religiösen Familie als geisteskrank abgekanzelt, sieht ihre Mutter die einzige Möglichkeit, ihre Tochter vor dem Irrenhaus zu bewahren, in dem spanischen Saisonarbeiter José (Alex Brendemühl). Kurzerhand wird die juvenile und unerfahrene Frau mit dem Mann, der ihr zutiefst zuwider ist, zwangsverheiratet.

Gabrielles Sehnsucht nach der großen Liebe bleibt jedoch intakt und scheint sich zu erfüllen, als sie während eines Sanatoriumsaufenthalts André (Louis Garrel), einen verwundeten Indochina-Soldaten, trifft. Mit ihm plant sie fortan den Ausbruch aus ihrer Vernunftehe mit André, doch scheint ihre Geistesstörung stärker und wahrhaftiger zu sein als angenommen…
Gemeinsam mit ihrem Kameramann Christophe Beaucarne gelingt Garcia eine bildkompositorische Meisterleistung wie es dem großen Weltkino und nicht zuletzt dem hohen qualitativen Niveau des Wettbewerbs von Cannes eigen ist. Die abwechslungsreiche Montage zwischen Panorama-, Groß- und Nahaufnahmen, gepaart mit dem anfangs noch hohen Erzähltempo und den konzisen Dialogen sorgt für ein Kinoerlebnis des ästhetischen Wohlgefallens. Schauspielerisch verkörpert Cotillard, die der zurzeit wohl meistgefragte Star des französischen und inzwischen partiell gar amerikanischen Kinos (zu denken wäre nur an Einfach das Ende der Welt [2016], Allied: Vertraute Fremde [2016] oder
Assassin’s Creed [2016]) ist, die junge Gabrielle mit ihrer exotischen Leidenschaft und sexuellen Gier ebenso glaubwürdig wie die spätere mit deren melancholischer Sanftmut und Lebenstrauer.

Auch die restlichen darstellerischen Leistungen lassen sich durchaus sehen.
Beinahe ein Meisterwerk möchte man also ausrufen, doch bleibt wie so oft im Gegenwartskino der Wermutstropfen der Dramaturgie. Mehr und mehr scheint sich nämlich die Tendenz abzuzeichnen, dass eine elaborierte dramaturgische Ausarbeitung von Handlung, Charaktere und Nachvollziehbarkeit deren Motivationen und Handlungen schlichtweg der Schönheit pittoresker Bilder anheimfällt. Auch eine akzeptable dramatische Klimax und das narrative Aufrechterhalten der einmal etablierten Grundideen eines Werkes zählen hierzu.
Wenn so denn am Ende von Die Frau im Mond das Enigma um Gabrielle durch eine hanebüchene, dramaturgisch maßlos verunglückte Verästelung Plottwist um Plottwist dekonstruiert wird, wirkt dies dermaßen unbefriedigend, dass damit der gesamte Film ins Wanken gebracht wird. Doch bereits zur Mitte der Handlung bestehen keine großen dramatischen Kontergewichte mehr zum Wunsch Gabrielles nach Liebe und erfüllende Sexualität.

Nicht einmal ihr Ehemann legt ihr dabei großartig Hindernisse in den Weg, womit letzten Endes auch keine Spannung aufzukommen vermag. Die innere Zerrissenheit der Figur mag ein wichtiger, zu porträtierender Charakterzug sein, doch trägt er nicht die Aufmerksamkeit des Zuschauers über die gesamte Spielfilmlänge von ganzen 116 Minuten hinweg. Gabrielles Schicksal wird dem Zuschauer ab einem gewissen Punkt schlichtweg egal, ihre Rätselhaftigkeit gerät in Vergessenheit. Dies hat unzweifelhaft mit der Porosität und Unausgefeiltheit des Drehbuchs zu tun, einer schlichtweg gescheiterten Adaption seiner Romanvorlage und dem zu staken Fokus auf die Bildästhetik des Films denn auf das Verwenden von Mühe auf dramaturgische Klimax und Plausibilität.
Fazit: Wunderschön und bildgewaltig fotografierter und inszenatorisch äußerst gekonnter Historienfilm mit Marion Cotillard und Louis Garrel, der ab einem gewissen Punkt jedoch dramaturgisch auf der Stelle tritt und am Ende durch eine Reihe an Plottwists gar noch vollends in die Unglaubwürdigkeit stürzt und verunglückt. Es bleibt ein ambivalentes Werk, dem man Blick und Aufmerksamkeit gleichermaßen gerne und erstaunt zu- wie auch frustriert und erzürnt wieder abwendet.
by ehemaliger Mitarbeiter