Filmkritik Die dunkelste Stunde
Filmwertung: |
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| 8/10 |
Es gibt wohl kaum einen Namen, der so unmittelbar mit der britischen Geschichte des 20. Jahrhunderts verbunden ist wie Winston Churchill. Überhaupt darf diese überlebensgroße und gleichermaßen bewunderte wie kontroverse Persönlichkeit wohl als Inbegriff staatsmännischer Führungskraft verstanden werden – gerade angesichts der Zeit, in der wir leben durchaus eine Seltenheit. Churchill war bereits vor seiner ersten Amtszeit als britischer Premierminister im Jahr 1940 als Innen- und Finanzminister und Erster Lord der Admiralität und anderen hohen Stellungen eine wichtige politische Größe im britischen Königreich. Doch mit Einzug des Zweiten Weltkriegs und der Bedrohung durch Nazi-Deutschland sollte Churchill mit seiner Ablösung des vorigen Premiers Neville Chamberlain die Geschichte entgegen aller internen Widerstände zugunsten der alliierten Mächte verändern. Die entscheidenden Tage und Wochen zu Beginn seiner Amtszeit im Sommer 1940 beleuchtet nun das aufwändige Prestige-Projekt „Die dunkelste Stunde“, das nach dem erst erschienenen „Churchill“ nicht nur die bereits zweite Studie dieser legendären historischen Figur in kurzer Zeit ist, sondern auch die Ereignisse von Christopher Nolans „
Dunkirk“ von Seiten der britischen Führungsebene faszinierend und einsichtsreich darstellt.
Gary Oldman spielt Winston Churchill © Universal Pictures International
Tatsächlich sind auch auffällige erzählerische Parallelen zu Jonathan Teplitzkys erst kürzlich erschienenem „Churchill“ vorhanden: Während in dem mit Brian Cox stark besetzten Historiendrama der innere Konflikt des Premiers zur Richtigkeit der Normandie-Invasion im Jahr 1944 im Fokus steht, liegt bei „Die dunkelste Stunde“ das Abwägen zwischen dem resoluten Festhalten an eigenen Idealen und nationaler Selbstständigkeit mit einem vom Parlament geforderten Friedensabkommen mit Adolf Hitler im Mittelpunkt. Wie auch „Churchill“ erweist sich Joe Wrights neuer Film mehr als Charakterstudie denn traditionelles Biopic, die in einen engen Zeitrahmen von nur wenigen Wochen gepackt wird. Doch anders als Teplitzkys etwas biedere Geschichtsstunde wird „Abbitte“-, „Stolz & Vorurteil“- und „Anna Karenina“-Regisseur Wright seinem Ruf als visueller Geschichtenerzähler treu. Er gestaltet ein aufwändiges, atmosphärisches und detailreiches Portrait von Churchill, das von Anthony McCartens einsichts- und geistreichem Drehbuch und vor allem Gary Oldmans grandioser und Oscar-würdiger Performance getragen wird.
„Die dunkelste Stunde“ beginnt mit eindrücklichem Schwarz-Weiß-Archivmaterial der Nazi-Streitmächte zu düsteren Klängen, wodurch hier die imminente Bedrohung für Großbritannien direkt etabliert wird. Wright wirft den Zuschauer direkt ins Geschehen und lässt seine von Bruno Delbonnel geführte Kamera aus der Vogelperspektive nach unten ins britische Unterhaus gleiten, wo gerade Neville Chamberlain (Ronald Pickup) zurückgetreten ist. Die Frage, wer den in Friedenszeiten erfolgreichen, aber vom Konflikt überforderten Premier ersetzen soll, ist schnell beantwortet: Der konservative Außenminister Lord Halifax (Stephen Dillane), der für seine Appeasement-Politik einstand, wird einvernehmlich als Idealkandidat empfunden. Doch es gibt einen Haken: Halifax selbst ist der Ansicht, dass er noch nicht für die Rolle des Staatsoberhaupts bereit ist. So fällt die Wahl auf den kriegserfahrenen Winston Churchill, der zwar durchaus umstritten ist, aber dennoch derjenige ist, auf den sich der Großteil des Parlaments einigen kann.
Kristin Scott Thomas spielt Churchills Ehefrau Clementine © Universal Pictures International
Wright lässt sich mit der Offenbarung seiner ikonischen Figur etwas Zeit und lässt erst mal seine Umgebung über ihn reden und flüstern, um die Erwartungshaltung seitens des Zuschauers zu schüren. Schon in den Anfangsminuten spürt man hier eine bemerkenswerte inszenatorische Präzision und ein stetig voranschreitendes Momentum, das direkt packt. Churchills neue Sekretärin Elizabeth (Lily James) fungiert zu Beginn als eine Art Stellvertreterin des Publikums, die nach genauen Instruktionen das erste Mal in voller Ehrfurcht auf ihren neuen Arbeitgeber trifft. Ohne jede förmliche Vorstellung soll sie umgehend ausgerechnet in seinem privaten Schlafzimmer ein Telegramm abtippen. Das geht erst mal erwartungsgemäß schief, sodass die in Tränen aufgelöste Elizabeth von Churchills Ehefrau Clementine (Kristin Scott Thomas) direkt getröstet wird. Beim Anblick der aufgelösten jungen Frau ist „Clemmie“ gleich klar, dass ihr Mann mal wieder etwas schroff war, wofür sie sich auch stellvertretend entschuldigt. Hier wird in nur wenigen Momenten subtil verdeutlicht, dass Churchill zwar eine immens herausfordernde und aufbrausende Persönlichkeit ist, unter deren Oberfläche aber auch etwas sehr Liebenswertes steckt.
In der Folge steht Churchills konstantes Abwägen über das weitere Verhalten seiner Nation im Mittelpunkt. Ein wenig erscheint der Premier hier als Einzelgänger, der von allen Seiten zunächst angezweifelt wird. Gerade Lord Halifax und der ehemalige Premier Chamberlain versuchen ein Einlenken seitens Churchill zu forcieren, um das Gespräch mit dem unzweifelhaften Tyrannen Adolf Hitler zu suchen. Dieser hat viele der europäischen Mächte bereits unterjocht und nach Meinung vieler britischer Regierungsmitglieder kann auch ihre Nation nicht mehr lange gegen Nazi-Deutschland bestehen. Zu dieser Meinung kommt man gerade deswegen, weil ein Großteil der britischen Streitmächte an den Stränden von Dünkirchen machtlos festsitzt und Großbritannien überhaupt keine militärischen Möglichkeiten hat, um sich ausreichend zu verteidigen. So schildert der Film, wie Churchill mit sich hadert, denn er will auf keinen Fall ein zweites Gallipoli riskieren, der Ort, in dem im Ersten Weltkrieg unter seiner Aufsicht unzählige Soldaten starben. Doch auch eine Entmachtung seiner Nation, in dem man sich zu Hitlers Marionette macht, kommt nicht in Frage.
Churchills Sekretärin Elizabeth (Lily James) © Universal Pictures International
Wright inszeniert das mit großem, nahezu spielerischem Schwung und spürbarem Selbstbewusstsein. Überraschenderweise ist die Inszenierung auf erstaunlich viele humorvolle Momente aus, die sich aus dem Beobachten des oft exzentrischen Verhaltens von Churchill und zahlreicher pointierter Sprüche erzeugen. Das bedeutet natürlich nicht, dass der bedrohliche Ernst der britischen Situation jemals nicht spürbar ist, denn dieser liegt über allem. Bemerkenswert ist hier das makellose und enorm detailreich und authentisch wirkende Setdesign von Sarah Greenwood, die auf eingelebten Realismus setzt und so eine kitschige Gestaltung dankbarerweise vermeidet. Dasselbe gilt auch für die Kostüme von Routinier Jacqueline Durran, die viele Original-Kleidungsstücke verwendet. Ein unbestreitbares Highlight ist jedoch die wirklich bestechende Maskenarbeit von Kazuhiro Tsuji, der Gary Oldman derart glaubwürdig und nahtlos in den ihm physisch so unähnlichen Winston Churchill transformiert. Zu keinem Zeitpunkt denkt man angesichts Oldmans imposanter Erscheinung, das hier eine aufwändige Maskenarbeit betrieben wurde, derart natürlich und real wirkt der Ausnahmedarsteller hier in seiner neuen Paraderolle.
Das beste Makeup kann natürlich keine nicht überzeugende Darstellung maskieren. Oldman, der für seine Rolle enorme Recherchearbeit betrieben hat, wird spürbar eins mit der historischen Figur. Er ist sich zweifelsohne über die überlebensgroße und exzentrische Persönlichkeit Churchills bewusst, entsprechend theatralisch gestaltet sich seine alles andere als dezente Performance. Sein Churchill ist ausgestattet mit zahlreichen mimischen, gestischen und sprachlichen Tics, die manchmal fast schon etwas zu offensiv und damit ablenkend wirken, aber auch immer wieder von angenehm subtileren, zwischenmenschlichen Momenten aufgefangen werden, um hier ein vollwertiges und facettenreiches Portrait zu erschaffen. Gerade im Zusammenspiel mit seiner langjährigen Ehefrau und ersten Vertrauten Clementine kommt das auch dank der hervorragenden Chemie mit der großartigen Kristin Scott Thomas zum Vorschein, aber auch bei den Gesprächen mit König George VI., der von Charaktermime Ben Mendelsohn mit herausragendem Understatement portraitiert wird. Hier spielt sich tatsächlich mehr im Unausgesprochenen, in Blicken und kleinen Gesten ab, was faszinierend zu beobachten ist.
Gary Oldman in Die dunkelste Stunde © Universal Pictures International
Doch eine unbestreitbare Stärke des Films ist Anthony McCartens eloquentes Drehbuch, dem teilweise natürlich diverse Originalreden und dokumentierte Gespräche zur Grundlage liegen. Diese oft platzierten, historisch legendären Reden Churchills werden von Oldman mitreißend und mit massiver Inbrunst vorgetragen, aber auch von Wright entsprechend wirkungsvoll inszeniert. Die Macht des Wortes, eine Tugend, die heute gerne in Vergessenheit gerät, rückt hier somit wirkungsvoll und aussagekräftig in den Fokus. Dazu kommen viele faszinierende Momente, wie etwa ein spätes Aufeinandertreffen Churchills mit Londons Bürgern, die dem Premier nochmal einen ganz besonderen Anstoß geben. „Die dunkelste Stunde“ ist so ein lebendiges und sehr anschauliches Stück Geschichte geworden, das zwar stellenweise durchaus „nur“ routiniert wirkt, aber durch seine ausgefeilte Sprachebene und eine auch immer wieder inspirierte Inszenierung zu einem Film macht, der mehr als reines Kammerspiel ist. Am Ende bleibt hier neben der erstaunlich präzisen Regie dann aber vor allem Gary Oldmans fabelhafte und leidenschaftliche Darstellung als Winston Churchill, der diesen letztlich inspirierenden Film gerade angesichts der gegenwärtigen politischen Situation zu zeitgemäßem Pflichtprogramm macht.
Fazit: „Die dunkelste Stunde“ erweist sich als überraschend leichtgängige und anschauliche Geschichtsstunde, die einen faszinierenden und einsichtsreichen Blick auf Winston Churchill wirft. Dieser wird entsprechend bombastisch, aber auch mit subtileren Tönen von einem großartigen Gary Oldman verkörpert, der sich berechtigte Hoffnungen auf einen überfälligen Oscar machen darf.
by Florian Hoffmann
Bilder © Universal Pictures Intl.