Filmwertung: |
 |
| 7/10 |
Die Trailer versprachen mir den nächsten One-Man-Army-Film, mit hypermännlichem Macho-Helden, der seine Feinde auf dem obligatorischen Rachefeldzug gleichermaßen stoisch wie brutal auslöscht. Meine einzige wirkliche Hoffnung: Guy Ritchie, einer meiner Lieblingsfilmemacher. Dabei spielt „Cash Truck“, oder im englischen Original „Wrath of Man“ genau mit dieser Erwartungshaltung und den damit einhergehenden Klischees äußerst clever, bleibt so unvorhersehbar und liefert für mich schon jetzt einer der größten Kinoüberraschungen des Jahres ab.
Dabei will ich von der eigentlichen Handlung gar nicht zu viel verraten, da all die Wendung, die die Geschichte erfährt, das Sehvergnügen erst ausmachen. Kaum meine ich, ausmachen zu können in welche Richtung sich das alles entwickelt, nimmt die Geschichte eine unerwartete Kurve ein und zieht mir so den Boden unter den Füßen weg. Dabei benutzt der Film gängige Erzählmittel von seinem Regisseur, wirkt aber dennoch stets frisch.
CASH TRUCK: H (Jason Statham) © Studiocanal
Dafür sorgt vor allem der von Jason Statham verkörperte Protagonist „H“, der aus mysteriösen Gründen bei einer Geldtransportfirma zu arbeiten beginnt. Immer wieder wirft der Film dabei allerlei Fragen um seinen Hintergrund, seine Motivation und seine Ziele auf. In einer anfänglichen Szene erfährt er, dass er, in seinen Tests (darunter Schieß- und Fahrtraining) genau 70% erreichen muss, um den Job zu kommen. Er kommt genau auf diese Zahl, wirkt dabei aber derart mühelos, dass mehr hinter ihm stecken muss. Mit solch kleinen, aber durchdachten Methoden spinnt der Film ein Mysterium hinter seinem faszinierenden Anti-Helden, der eben so viel mehr ist, als die klischeebeladene Abrissbirne aus anderen Streifen. In Kombination mit dem bass-lastigem, bedrohlich anmutenden Soundtrack entsteht eine Grundspannung, die nie so ganz zu verschwinden mag, auch weil der Film von Anfang an zeigt, dass er keine Gefangenen macht.
Doch auch bei anderen Figuren spielt man clever mit den Erwartungen des Publikums. Josh Hartnett wirkt zwar wie das übliche, sprücheklopfende Arschloch, wird in seinem Schauspiel aber genau dann nuanciert, als seine Figur zum ersten Mal aus seiner Komfortzone gerissen wird. Ähnlich verhält es sich mit den Antagonisten, die wir zwar in dieser Konstellation vermeintlich schon oft genug gesehen haben, aber eigentlich nicht als solche eingeführt werden, sondern als Menschen, die zu einer drastischen Entscheidung gedrängt werden. Wir fühlen mit ihnen, und das, obwohl wir sie anfangs eigentlich hassen gelernt haben. Leider funktionieren sie als Identifikationsfiguren dabei in einigen Momenten sogar noch besser als die Hauptfigur selbst. Dennoch muss man „Cash Truck“ hoch anrechnen wie clever man dabei mit den Sympathien des Publikums spielt. Nur um einen kleineren Twist bezüglich einer Nebenfigur macht es sich der Film etwas zu einfach.
CASH TRUCK: Jan (Scott Eastwood) © Studiocanal
Leider kann die Action in seinen wenigen Szenen dabei nicht mithalten. Auch wenn sie in ihrer Wucht durchaus unterhalten kann, gerät sie im Schnitt zu unübersichtlich. Die Szenen-Geographie (also wo sich die einzelnen Akteure in Relation zueinander befinden) ist im Finale einfach immer wieder zu undurchsichtig, worunter natürlich die Spannung leider muss. Dennoch gefiel mir, dass sich diese stets aus den Figuren und ihren Entscheidungen herausentwickelt. Sie ist somit unvermeidbar und verkommt nicht zum Selbstzweck, auch weil sie stets mit langsamem, wirkungsvollen Spannungsaufbau daherkommt.
Fazit: Klar, hier wird das Rad auch nicht neu erfunden. Dennoch untergräbt Guy Ritchies neuester Film clever die Erwartungen des Publikums und wird so zu einem wunderbar ambivalentem und kurzweiligen Großstadt-Western, für den sich der Kinobesuch mehr als lohnt.
by Sebastian Stegbauer