Boyhood

Boyhood (2014), USA
Laufzeit: - FSK: 6 - Genre: Drama
Kinostart Deutschland: - Verleih: Universal Pictures Intl.

Boyhood Filmplakat -> zur Filmkritik

erhältlich auf 4K UHD, Blu-ray und DVD

Inhalt

Vor 12 Jahren, im Jahr 2002, hatte Regisseur Richard Linklater die Idee, einen Film über die Kindheit zu drehen. Dafür wählte er ein einzigartiges cineastisches Experiment: Von 2002 bis 2013 begleitete er den sechsjährigen Mason (Ellar Coltrane) bis zum Eintritt ins College. Kurze, über die Jahre verteilte Episoden aus dem Leben von Mason und seiner Patchwork-Familie – seine zwei Jahre ältere Schwester (Lorelei Linklater) und seine geschiedenen Eltern (Patricia Arquette, Ethan Hawke) – montierte Linklater zu einer berührenden Coming-of-Age-Geschichte.
Kinostart: 05.06.2014


Ellar Coltrane, Patricia Arquette und Ethan Hawke | mehr Cast & Crew


DVD und Blu-ray | Boyhood

Blu-ray
Boyhood Boyhood
Blu-ray Start:
06.11.2014
FSK: 6 - Laufzeit: 165 min.

zur Blu-ray Kritik
DVD
Boyhood Boyhood
DVD Start:
06.11.2014
FSK: 6 - Laufzeit: 159 min.

Filmkritik Boyhood

Filmwertung: | 8/10


Nach seiner Weltpremiere beim Sundance Film Festival 2014 trat Richard Linklaters "Boyhood" bei der 64. Berlinale als Wettbewerbsbeitrag an, löste Begeisterung bei Publikum und Kritikern aus und galt sofort als absoluter Favorit auf den Goldenen Bären. Langjährigen Kennern des Festivals musste jedoch bewusst sein, dass der offenkundig beste Beitrag bei den meist recht eigensinnigen Jurys nicht zwangsläufig zum besten Film gewählt werden würde. So geschehen ging der Goldene Bär nach China, doch Richard Linklater nahm immerhin den Silbernen Bären für die beste Regie mit nach Hause. Dieselbe Auszeichnung erhielt er 1995 schon mal für "Before Sunrise".

Über eine Zeitspanne von 12 Jahren erzählt Linklater im Kern die Geschichte vom Aufwachsen eines Jungen in Texas von der Einschulung bis zum Umzug ins College. Am Anfang ist Mason (Ellar Coltrane) sechs Jahre alt und muss zusammen mit seiner Schwester Samantha (Lorelei Linklater) miterleben, wie seine Eltern sich trennen. Seine Mutter Olivia (Patricia Arquette) sorgt dafür, dass der Laden läuft und versucht zugleich, ihr Biologie-Studium zu beenden. Ihr Vater Mason Sr. (Ethan Hawke) kommt nach vier Jahren wieder, um mit archaischem Temperament als Wochenendvater tätig zu werden. Die Mutter heiratet ihren Biologieprofessor, dessen Einkommen ihr den Studienabschluss und dann auch eine Lehrtätigkeit ermöglicht, doch sein steigender Alkoholkonsum bringt die Ehe zu einem dramatischen Ende. Der Vater heiratet eine nette Frau und hat mit ihr ein weiteres Kind, während die Mutter den nächsten Trinker, einen Irak-Kriegsveteranen aus ihrem College heiratet. Die Jahre verstreichen, Mason wird größer, beginnt zu fotografieren, trinkt das erste Bier, raucht die erste Zigarette, küsst die erste Freundin. Und alle fragen sich, wo möchte ich im Leben hin?

Der texanische Regisseur Richard Linklater ist für seinen langen erzählerischen Atem bekannt, denn bereits in der Trilogie "Before Sunrise" (1995), "Before Sunset" (2004) und "Before Midnight" (2013) hat er in einem Zeitrahmen von 18 Jahren in drei Filmen das Altern einer erträumten Liebe porträtiert. Für "Boyhood" drehte Linklater nun seit Sommer 2002 über 12 Jahre mit denselben Darstellern die fiktionale Geschichte einer Kindheit mit einem minimalen Aufwand, denn er benötigte insgesamt nur 39 Drehtage, also lediglich drei oder vier pro Jahr. In diesen wenigen Tagen verarbeitete er mit seinen Schauspielern die Themen Kindheit, Jugend, Ehe, Scheidung und Zukunftsangst. Ellar Coltrane, der Darsteller des jungen Mason, begann seine Rolle im Alter von sieben Jahren und wuchs mit der Verantwortung vor der Kamera. Richard Linklaters Tochter Lorelei spielt Masons Schwester Samantha und beweist, dass das filmische Talent in der Familie liegt. Als Eltern wirkten Ethan Hawke, den Linklater schon in seiner "Before"-Trilogie verpflichtete, und Patricia Arquette an dem Projekt mit. Richard Linklater hat die Geschichte von Jahr zu Jahr weiterentwickelt, das große Ganze stand aber von Anfang an. Er war vor allem glücklich, dass keiner der Beteiligten über die Jahre hinweg die Lust an dem Projekt verloren hat.

Linklaters außergewöhnliches Filmprojekt bildet einen Prozess der Zeit ab, bei dem man den jungen Protagonisten über 164 Minuten lang beim Erwachsenwerden und den bereits erwachsenen Hauptfiguren beim Altern zusehen kann. Mit Mut zum Unspektakulären steuert Linklater seine Figuren mit immer tieferer Verbundenheit ohne künstliche Dramatisierung durch die raue See des Lebens. Mit seinem bekannten Gespür für Dialoge des alltäglichen Lebens träufelt Linklater wieder eine aufrechte linke Lebenseinstellung über seine Geschichte, die man auch schon aus seinen früheren Filmen mit Julie Delpy und Ethan Hawke kannte. Der Zuschauer bekommt ein tiefes Gefühl für die Vergänglichkeit des eigenen Lebens, in dem der Moment immer jetzt ist, wir wissen, was war, wir aber nicht wissen, was kommt. Nahezu anthropologisch geht in dieser Chronik kein Augenblick verloren und die Entwicklung der Figuren verdeutlicht uns, wie stereotypisch menschliche Leben ablaufen und wie absolut vorhersehbar Menschen immer wieder dieselben Fehler begehen, was sich besonders an den immer wieder scheiternden Ehen von Masons Mum Olivia verdeutlicht. Zudem verändern sich Menschen in dem Maße, wie sie gesellschaftliche Verabredungen eingehen und so kann aus einem Hippie-Vater schnell mal ein Bildungsbürger im weißen Hemd werden, der mit seiner neuen Partnerin mit Bibel unter dem Arm zum Gottesdienst geht. "Boyhood" will kein sonderlich originelles Sozialdrama sein und übt auch keinen dramaturgischen Druck aus, sondern macht es sich zum Prinzip, einen distanzierten Blick auf das Leben seiner Figuren zu werfen. Dadurch begleitet der Zuschauer die Leben der Charaktere mit Interesse, obwohl er gar nicht sonderlich viel über deren Wünsche erfährt. Zurück bleibt der Eindruck, dass dieser Film gar kein Ende hat, sondern dass er einfach aufhört. Denn das Ende könnte, diesem erzählerischen Konzept folgend, nur der Tod sein.

"Boyhood" brilliert als unkonventionelles Erzählkino über das Vergehen der Zeit in menschlichen Dimensionen. Linklaters Werk verdeutlicht, wie ähnlich die Träume der Menschen sind, aber auch, welche immer gleichen Fehler sie machen.
by André Scheede

Bilder © Universal Pictures Intl.