Filmwertung: |
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| 6/10 |
„Boulevard“ ist eine schmerzhafte Erfahrung. Dito Montiels („Kids – In den Straßen von New York“, „The Son of No One“) Film ist nicht besonders gelungen, was ihm jedoch eine tiefere Dimension gibt, ist die Tatsache, dass es sich um den letzten Film von Robin Williams handelt.

Der allseits beliebte Akteur, dessen tragischer Tod im Jahr 2014 weltweit überall große Trauer ausgelöst hat, ist zweifelsohne das Beste an „Boulevard“. Seine traurigen Augen, seine verletzliche Präsenz lassen sich beim Ansehen kaum von der realen Figur Robin Williams trennen und sorgt dafür, dass es als Fan wehtut und traurig macht ihm zuzusehen. Montiel und Drehbuchautor Douglas Soesbe erzählen die Geschichte eines einfachen Bankangestellten, der sein monotones Leben hinter einer gutbürgerlichen Fassade lebt. Seine Ehe zu seiner Frau Joy (Kathy Baker) ist leidenschaftslos aber liebevoll, denn Williams Figur Nolan ist ein verkappter Homosexueller. Seiner Neigung ist er wohl schon seit Kindesalter bewusst, doch der introvertierte und verbissene Mann lebt jahrzehntelange mit einer Lüge, die seine Frau still toleriert.
Als Nolan eine seiner ziellosen nächtlichen Fahrten mit seinem alten Mercedes durch die Straßen einer amerikanischen Kleinstadt macht, überfährt er beinahe den jungen Mann Leo (Roberto Aguire). Leo lebt ein desillusioniertes, verlorenes Leben. Er prostituiert sich und steigt zu Leo ins Auto. Es prallen zwei stille und unglückliche Seelen aufeinander. Leo geht es längst nicht nur um sexuelle Dinge, er entwickelt einen Beschützerinstinkt, versucht Leo über Kontakte auf die Beine zu helfen, versorgt ihn mit einem Handy und Geld. Die Treffen zwischen den Beiden häufen sich und Nolans Geheimnis lässt sich zunehmend weniger verbergen. Weder vor seiner Frau, noch vor seinem besten Freund Winston (Bob Odenkirk) und auch nicht vor seinem Chef Beaumont (Henry Haggard), der ihm eigentlich zu einer Stelle als Filialleiter verhelfen will.

Was Nolan antreibt, wird nur nach und nach klar, bleibt aber auch gegen Ende noch merkwürdig undurchsichtig. Er ist ein Mann, der durch sein Leben schlafzuwandeln scheint, der durch Gewohnheit und Automatismen versucht, seine wahre Neigung zu unterdrücken. Dass sein Chef versucht, ihm einen Job in einer Zweigstelle der Bank als Filialleiter zu verschaffen, scheint nur oberflächliche Freude in ihm auszulösen. Er bleibt lieber in seinem alten Trott, dem er bereits 26 Jahre nachgeht. Sein Vater liegt im Sterben, die Gespräche bei den Krankenhausbesuchen sind einseitig, denn Nolans Vater kann nicht mehr reden. Verbindungen zu anderen Menschen aufbauen kann er kaum, er wirkt immer ein wenig unbeholfen, an Smalltalk teilnehmen kann er nicht wirklich. Sein Seelenleben ist auch vor seiner Frau Tabu. Über allem in diesem ruhigen, langsamen und unaufdringlichen Film liegt eine große Traurigkeit. Williams trägt den Film, genauer gesagt wirkt es, als würde er die Last der ganzen Welt auf seinen Schultern tragen. Er war schon eine paradoxe Erscheinung, in seinen komischen Rollen war Williams so lustig und geistreich wie niemand anderes vor oder nach ihm, ein Verstand, der fast schon zu schnell und genial ist für sein rasantes Mundwerk. In fast all seinen durchaus zahlreichen dramatischen Parts jedoch zeigte Williams womöglich sein wahres Gesicht, das eines unterdrückten Einzelgängers, dessen Darstellungen allesamt zurückgezogene Männer zeigten, reduziert, schweigsam, schwermütig, auf der Suche nach menschlichen Beziehungen – und alles andere als redselig. Das trifft auch eindeutig auf „Boulevard“ zu, Williams Präsenz ist ähnlich angelegt wie Sy Parrish in „One Hour Photo“ oder Walter Finch in „Insomnia“.
Sein Tod hat diese sensiblen Darstellungen in eine neue Perspektive gerückt, Williams ist der traurige Clown in Person. Er war ein herausragender und wandlungsfähiger Darsteller, dessen einfühlsames und sensibles Spiel immer etwas persönlicher als bei anderen Schauspielern gewirkt hat, denn es war so, als würde er einen Blick in sein Innerstes offenbaren.

So ist seine letzte Rolle eben besonders wirkungsvoll, denn es ist fast unmöglich, nicht den echten Robin Williams in seinem Nolan Mack zu erkennen.
Wie dem auch sei, Williams intensive und herzzerreißende Darstellung, die immer wieder durch ein freundliches, aber auch trauriges Lächeln durchbrochen wird, wird nicht ausreichend von Montiels schwerfälligem Film unterstützt. „Boulevard“ ist in seiner Erzählweise recht konventionell, der Rhythmus ist behäbig, viele Momente wirken erzwungen und unglaubwürdig. Die Erzählstruktur und Ambitionen des Films bleiben auch weitestgehend schmerzhaft durchschau- und vorhersehbar. Etwas aufgelockert wird der etwas steife Film durch Bob Odenkirk („Breaking Bad“, „
Better Call Saul“), ein anderer begnadeter Komiker, der dem Film versucht etwas willkommene Lockerheit und Energie zu geben. Robert Aguiros Figur Leo bleibt wiederum auch vage und stereotyp charakterisiert, die verlässliche Charakterdarstellerin Kathy Baker versucht das Beste aus einer schwach gezeichneten Figur herauszuholen. Die unausgesprochene Verzweiflung hinter ihrer oberflächlichen Fassade ist ihren Augen jederzeit abzulesen. Wie erwähnt gehört aber Williams der Film. Seine verkrampfte, traurige und schmerzerfüllte Darstellung, seine tief empfundene Einsamkeit berührt und wirkt nach, was aber letztlich vielleicht dann eher an Robin Williams selbst liegt, als an der Figur.
Fazit: „Boulevard“ ist kein besonders guter Film. Er ist behäbig, vorhersehbar, oft unglaubwürdig und ohne echte Überraschungen. In seinem Zentrum steht jedoch die letzte Darstellung von Robin Williams, dessen ruhiges und sensibles Spiel oft schmerzhaft anzusehen ist. Den Schauspieler und seine Figur trennen kann man kaum.
by Florian Hoffmann