Filmkritik Bohemian Rhapsody
Filmwertung: |
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| 8/10 |
Nach all den Querelen, die die Produktion von „Bohemian Rhapsody” umgaben, ist es ein Wunder, dass der Film und vor allem seine zentrale Performance von Rami Malek als Rock-Ikone Freddie Mercury letztlich gelungen ist. Bryan Singer, der nach seinem anfänglichen Erfolg mit dem Kultfilm „Die üblichen Verdächtigen” primär für großes, effektgeladenes Blockbusterkino à la „X-Men” steht, war wohl schon von Beginn an eine eher unkonventionelle Wahl für ein Biopic über eine der größten Musikgruppen aller Zeiten. So kam es nach diversen wohl heftigen Auseinandersetzungen mit Malek (der sich über Singers unprofessionelles Verhalten beschwert hatte) zum Eklat: Singer blieb wegen angeblicher Familiensache den Dreharbeiten drei Tage fern, Kameramann Newton Thomas Sigel übernahm, woraufhin der Regisseur schließlich gefeuert wurde. Über zwei Drittel des Films waren bereits abgedreht, als Ersatz für den Restdreh kam der Brite Dexter Fletcher („
Eddie the Eagle”, „Sunshine on Leith”) zum Einsatz, der sich Jahre zuvor schon stark für ein Queen-Biopic eingesetzt hatte. Am Ende steht nun ein weitestgehend konventionelles, hochglanzpoliertes, aber hochgradig unterhaltsames Biopic, das gerade gegen Ende mit der fulminant-verblüffenden Transformation von Rami Malek als Freddie Mercury überwältigt. Es ist jetzt schon klar, dass in Sachen Oscar-Nominierungen wohl kein Weg an dieser sensationellen Darstellung vorbeiführen sollte.
Freddie Mercury (Rami Malek) © Twentieth Century Fox
Jahre lang stand die Idee eines Films über die legendäre Band um Mercury, Brian May, John Deacon und Roger Taylor im Raum. Darsteller wie Sasha Baron Cohen und Ben Whishaw kamen und gingen, ebenso wie Regisseure und Drehbuchautoren, die sich an dem gewaltigen Vorhaben das Leben und Schaffen dieser schillernden Ausnahmemusiker in zwei Stunden zu packen die Zähne ausbissen. Schließlich haben die Biopic-Experten Peter Morgan („Die Queen”, „Frost/Nixon”, „Rush”) und Anthony McCarten („Die Entdeckung der Unendlichkeit”, „
Die dunkelste Stunde”) diese schwere Nuss geknackt und ein ausgewogenes Biopic geliefert, das allen Beteiligten ausreichend Raum gibt und die wichtigen Stationen ihrer Karriere nachvollziehbar, wenn auch stets oberflächlich beleuchtet.
Den Rahmen von „Bohemian Rhapsody” bildet der legendäre zwanzigminütige Auftritt beim Live Aid-Konzert 1985 im Wembley-Stadion. Hier zeigt sich zu Beginn schon mal, warum Singer die richtige Wahl für den Stoff war: In starken Bildern, die nur Details von Mercury zeigen, werden die Vorbereitungen und der Gang auf die Bühne mit beträchtlichem Aufwand gezeigt. Singer lässt dieses Event detailfreudig und bildgewaltig aufleben, baut Spannung und große Stimmung auf. Doch dann springt „Bohemian Rhapsody” ganz brav zum Beginn von Freddie Mercurys Geschichte Ende der 60er Jahre. Hier trifft der schmächtige junge Mann mit der markant hervorstehenden oberen Zahnreihe und den dicken, langen schwarzen Haaren auf Gitarrist Brian May (Gwylim Lee) und Schlagzeuger Roger Taylor (Ben Hardy), deren Band Smile gerade einen neuen Leadsänger sucht. Mercury, der damals noch Farrokh Bulsara hieß und Grafikdesign studierte, hat große Ideen und bietet sich den zweifelnden Bandmitgliedern als Texter und Leadsänger an.
v.l.n.r.: Brian May (Gwilym Lee), Freddie Mercury (Rami Malek) © Twentieth Century Fox
Auch wenn Taylor meint, dass Bulsara rein optisch kaum Leadsänger-Material ist, lässt er sich von seiner einmaligen Stimme schnell überzeugen. Wenig später ist auch das Publikum überzeugt von Mercurys einmaliger Bühnenpräsenz und es dauert nicht lange, bis Queen geboren ist. Bulsara lässt sich amtlich als Freddie Mercury umbenennen und will zur Legende werden. „Bohemian Rhapsody“ hetzt hier fast schon durch die Ereignisse: Der Film schildert knapp die häusliche Situation von Mercury, dessen sehr konservative parsische Eltern wenig angetan sind von den ambitionierten Plänen ihres Sohnes – schließlich sollte Freddie ja Buchhalter wie sein Vater werden. Doch Queen wird schnell zum großen Erfolg mit enormer Strahlkraft, da sind vielleicht gerade mal 20 Minuten vergangen und die Band (mittlerweile hat sich auch Bassist John Deacon (Joseph Mazzello) angeschlossen) tourt mit EMI-Vertrag schon durch die USA. Viel Zeit zum tiefgründigen Etablieren der Figuren bleibt da kaum, so rasant spielt sich diese Erfolgsgeschichte ab. Auch in Sachen packender Dramaturgie bietet dieser anfängliche kometenhafte Aufstieg zu Superstars nur wenig.
Frühzeitig etabliert der Film auch eines seiner Herzstücke: Mercurys Liebe zu Mary Austin (Lucy Boynton), der er kurz vor der ersten US-Tournee einen romantischen Hochzeitsantrag macht. Malek ist in diesem ersten Akt natürlich noch kaum als der später ikonische Freddie Mercury erkennbar, sein affektiertes und überlebensgroßes Auftreten wirkt oft überzeichnet, hat aber Präsenz und zieht Aufmerksamkeit auf sich. Wenn Malek jedoch zum ersten Mal auf der Bühne steht und er seine Kunstpräsenz zum ersten Mal auslebt, sieht man schon eine echte Verwandlung: Malek kanalisiert Mercurys Energie auf beachtliche Weise, er macht die Ikone wieder lebendig. Eine wirklich hintergründige Erforschung des schüchternen Einzelgängers Freddie Mercury wagt der Film allerdings nicht.
Die Chemie zwischen Malek und Boynton stimmt allerdings und man kauft den beiden Darstellern ihre innige Liebe auch ab. Ein Glücksfall ist darüber hinaus das Casting der Bandmitglieder, die ihren realen Vorbildern erstaunlich ähnlichsehen. Gerade beim Anblick von Brian May-Darsteller Gwylim Lee glaubt man fast, eine Zeitreise zu machen. Überhaupt wirkt der Film bis ins kleinste Detail authentisch und enorm detailverliebt. Wenn Mike Myers dann als trockener EMI-Produzent Ray Foster auftaucht, verkommt der Film aber auch kurz ein wenig zum albern-überspitzten Kostümball. Zu poliert wirkt hier alles, zu perfekt und sich selbst erklärend.
v.l.n.r.: Freddie Mercury (Rami Malek), Mary Austin (Lucy Boynton) © Twentieth Century Fox
Die Erzählweise von „Bohemian Rhapsody” mag zwar überaus konventionell sein, doch auch wenn er die Biopic-Checkliste mit allen denkbaren Klischees spürbar abarbeitet, macht dieser Film letztlich Spaß. Ja, der Film wirkt in seiner ästhetisierten Hochglanz-Optik durchaus überlebensgroß und künstlich, aber vielleicht passt das auch zu seinem Sujet, das mittlerweile mehr Mythos als fleischgewordene Realität ist. Einen düsteren Experimentalfilm über Queen und die Exzesse von Freddie Mercury sucht man hier jedenfalls vergebens. Hier geht es Schlag auf Schlag, so schildert der Film auch immer wieder die Genese einzelner Songs, die vielleicht teilweise etwas vereinfacht wirken, aber einfach hoch unterhaltsam und mit viel Esprit inszeniert sind. Wenn sich die Bandmitglieder auf eine abgelegene Farm zurückziehen, um an ihrem revolutionären Album „A Night at the Opera” zu arbeiten, gelingt Singer ein toller Matchcut: Zu sehen ist ein gackernder Hahn, Schnitt auf Roger Taylor, der verzweifelt versucht das hochtönige „Galileo” aus dem titelgebenden Meisterwerk „Bohemian Rhapsody” hinzubekommen. Wer jedoch Dexter Fletchers fröhlich-beschwingte Vorgängerwerke „Sunshine on Leith“ und „Eddie the Eagle“ gesehen hat, vermutet hier mehr seine Handschrift zu erkennen als die von Singer.
Der Film ist so über weite Strecken überaus schwungvoll und komisch geraten, gerade wenn der wilde kreative Prozess hinter diesen unzähligen ikonischen Songs geschildert wird. Hier kommt es immer wieder zu gelungenen Schlagabtäuschen, aber auch mit zweifelnden hohen Tieren wie Foster, der Mercurys überlebensgroße Vision von opernhaft-ausuferndem Rock nicht verstehen kann. Die Darsteller sind allesamt hervorragend aufgelegt, Singer inszeniert die musikalischen Szenen groß und voller mitreißender Energie. Queen steigt hier kontinuierlich kometenhaft auf, doch im Hintergrund lauert Mercurys homosexuelle Gesinnung, die er spätestens mit Liebhaber und Manager Paul Prenter (Alan Leech) geheim ausübt. Die liebevolle Freundschaft zu Mary bleibt zwar immer erhalten, doch der immer extravagantere und mittlerweile schnurbärtige Superstar Mercury distanziert sich zunehmend von ihr, der Band und auch dem Zuschauer
Zur Mitte des Films (die auch Mercurys Münchner Periode schildert) zeigt Singer die düsteren Zeiten des Queen-Leadsängers. Egoistisches Verhalten, Megalomanie und ausufernde Party-Exzesse (die der Film nur andeutet) machen aus Mercury einen traurigen Einzelkämpfer, der das Wesentliche aus den Augen zu verlieren droht. Auch hier folgt der Film gängigen Musiker-Biopic-Konventionen, denn natürlich beginnt Mercury zu erkennen, dass er auf falschen Pfaden mit falschen Freunden wandelt. Prenter agiert über den ganzen Film als so etwas wie der manipulative Antagonist, der immer im Hintergrund lauert und Mercury an sich reißen will und sich überall unbeliebt macht. Langsam schildert Singer auch Mercurys AIDS-Erkrankung, die der immer noch geheimnisvolle Musiker bis zuletzt kurz vor seinem Tod im Jahr 1991 geheim hielt.
v.l.n.r.: Freddie Mercury (Rami Malek), Brian May (Gwilym Lee) © Twentieth Century Fox
Der Film kommt schließlich zu einem grandiosen Höhepunkt, der sämtliche Schwächen sofort vergessen macht: Das anfangs angedeutete Live-Aid-Konzert, Queens sagenhafter Auftritt, der für viele die größte Live-Performance aller Zeiten darstellt. Singer wird diesem unvergesslichen Event mehr als gerecht, denn er kreiert hier nichts anderes als die Mutter aller Konzertszenen: Hier wird aus dem konventionellen Biopic „Bohemian Rhapsody” ein furioses, absolut überwältigendes Werk monumentaler Größe. Das Wembley, vollgepackt mit 72.000 fanatischen Zuschauern, die Mercury förmlich aus der Hand fressen, wird in gigantischen Bildern voller gänsehauterregender Energie wieder lebendig gemacht. Hier passt wirklich der Spruch, dass man bei dieser Szene mitten im Geschehen ist. Fast ist es so, als würde sich dieses Popkultur-Ereignis noch einmal live und unvermittelt vor einem abspielen. Die Szene ist so gut, dass mehr als die Hälfte des gut 20-minütigen Auftritts gezeigt wird.
Doch das wesentliche Element dieses jetzt schon ikonischen Filmmoments ist Rami Malek. Malek sieht genauso aus wie Mercury, er bewegt sich wie er, in jeder Faser seines Körpers steckt dessen unbändige Energie. Sogar ein ganz bestimmtes Funkeln in den Augen wird erkennbar, es wirkt regelrecht so, als würde Mercury selbst durch Maleks Augen blicken. Nichts anderes als magisch ist diese vibrierende Szene, ja, regelrecht gespenstisch ist es anzusehen, wie Mercurys Geist scheinbar von Malek Besitz ergreift. Die Zwischenschnitte von überwältigten Zuschauern im Publikum und den Bandmitgliedern macht unmissverständlich und erstaunlich glaubwürdig klar: Hier erlebt jeder gerade einen unsterblichen Moment für die Geschichtsbücher. Singer macht die Größe des makellos wiederauferstandenen Wembleys spürbar, die Präsenz der 72.000 Zuschauer wird auf atemberaubende Weise spürbar. Keine Frage: Diese minutiös nachgestellten Minuten sind der absolute Höhepunkt eines soliden Films, der den Eintritt alleine wert ist.
Fazit: Trotz aller interner Querelen ist „Bohemian Rhapody“ ein zufriedenstellendes Biopic der legendären Band Queen und ihres ikonischen Leadsängers Freddie Mercury geworden. Singer, Fletcher und das kreative Team finden einen vernünftigen Rahmen, die gigantische Geschichte dieser Band schlüssig und hochunterhaltsam in knapp über zwei Stunden Laufzeit zu packen. Der aufwändig produzierte Film mag zwar konventionell sein, die Darstellung von Rami Malek hingegen ist auf Oscar-würdigem Niveau. Malek wirkt gerade auf der Bühne wie besessen und kanalisiert Mercury auf fast gespenstische Weise. Der finale Live Aid-Auftritt ist dann sogar ein Filmmoment für die Ewigkeit.
by Florian Hoffmann
Bilder © 20th Century Fox