Filmwertung: |
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| 7/10 |
Woody Allen hat im Laufe seiner Karriere viele unvergessliche Frauengestalten geschaffen, die von großen Schauspielerinnen wie Diane Keaton, Charlotte Rampling, Mia Farrow, Gena Rowlands, Judy Davis, Samantha Morton, Scarlett Johansson oder Penélope Cruz verkörpert wurden, um nur einige zu nennen. Ob in leichten Komödien, düsteren Dramen oder in der Grauzone dazwischen, bleiben diese komplexen Figuren als Fixpunkte seiner Filme im Gedächtnis. In diese Galerie vielschichtiger, komplizierter und genau beobachteter Frauengestalten wird nun auch die von Cate Blanchett gespielte Jasmine als schwierige Heldin in Allens neuem Drama "Blue Jasmine" eingehen.
Von Anfang an ist klar, dass Jasmine verloren ist, sagt Allen mit Verweis auf seine Story, die uns präsentiert, wie sich Jasmine (Cate Blanchett) nach dem Scheitern ihrer Ehe und der Festnahme ihres Gatten Hal (Alec Baldwin) wegen Betrugs gezwungen sieht, ihr komfortables Leben in der Upperclass Manhattans aufzugeben und nach San Francisco in die kleine Mietwohnung ihrer Schwester Ginger (Sally Hawkins) zu ziehen. In desolater psychischer Verfassung dort angekommen, gelingt es Jasmine ihre äußere Fassade nur dank vieler Drinks und verschiedenster Antidepressiva aufrechtzuerhalten, doch ihre Schwester merkt schnell, dass sie mit ihren Kräften am Ende ist. Widerwillig versucht Jasmine ihr Leben unter diesen neuen ungewohnt primitiven Bedingungen in den Griff zu bekommen und nimmt eine Stelle als Sprechstundenhilfe bei Zahnarzt Dr. Flicker (Michael Stuhlbarg) an, dessen plumpe Annäherungsversuche sie über sich ergehen lassen muss. Neue Hoffnung schöpft Jasmine, als sie den Diplomaten Dwight (Peter Sarsgaard) kennenlernt, der die ihr von früher bekannten gesellschaftlichen und monetären Attitüden vorzuweisen hat und der eine vorzeigbare Frau wie sie auch gut an seiner Seite gebrauchen kann. Doch die stete Abhängigkeit ihres Selbstwertgefühls von Oberflächlichkeiten scheint sie nicht aus dem Tal der Tränen herauskommen zu lassen.
Keine drei Minuten dauerten die beiden Telefonate, als Woody Allen die 44-jährige australische Oscar-Preisträgerin Cate Blanchett anrief und ihr zuerst sein Drehbuch anbot und sich dann nur das Okay abholte. Allen muss das gefallen haben, ist er doch kein Freund von Smalltalk und kaum eine Schauspielerin wird lange in ihrem Terminkalender blättern, wenn ein Woody Allen anruft. Nach der Rolle der Jasmine hätte sich jede ambitionierte Schauspielerin alle Finger lecken müssen, doch Allen hatte nur Cate Blanchett im Sinn. Im Hinblick auf Jasmines emotionale Verfassung scheint der Filmtitel durchaus angemessen, weil blue für melancholisch und trübsinnig steht. Allen verwarf seinen Arbeitstitel "Jasmine French" aufgrund der Filmmusik "Blue Moon", die nach Jasmines bekunden gespielt wurde, als sie ihren Mann Hal kennenlernte und der Stimmung des Filmes am Besten gerecht wird. Allens Ensemble ist stets handverlesen und so hat er neben Alec Baldwin, mit dem er schon mehrmals drehte, beispielsweise auch Michael Stuhlbarg dabei, von dem er begeistert ist. Als Jasmines weitaus weniger vom Leben verwöhnte Schwester Ginger engagierte er erneut die als kultige Poppy aus "Happy-Go-Lucky" bekannte Sally Hawkins, deren Authentizität Allen sehr zu schätzen weiß.
Man könnte Jasmine leicht als unsympathisch wahrnehmen, doch hat der Zuschauer Mitleid mit ihr, weil es nicht nur um den Verlust wirtschaftlicher Unabhängigkeit geht, sondern um eine von ihr plakativ zur Schau gestellte Charakterschwäche, die ihren Sturz beschleunigt. Menschen fällt es häufig schwer, ehrlich in den Spiegel zu schauen und bei der Selbstanalyse auf die Schminke zu verzichten, was uns Jasmine verdeutlicht. Für Woody Allen ist "Blue Jasmine", bei dem er selbst übrigens nicht mitwirkt, ein dezent atypischer Film, weil die sonst üblichen psychotischen Dialoge und Neurosen seiner Figuren hier deutlich unterschwelliger angelegt sind, um den Fokus stärker auf die Reibung zwischen den sozialen Schichten zu legen. In ständigen Rückblenden aus der Gegenwart in San Francisco in die New Yorker Vergangenheit wird die Vorgeschichte erklärt und mit dem gespiegelt, wie es Jasmine bei Ginger ergeht. Geteilter Meinung könnte man sein, ob der Film zu viel hin- und herblendet und darunter die Kontinuität in den beiden Handlungs- und Zeitebenen etwas leidet. Der ständige Abgleich des von Jasmine erlebten Clash der sozialen Schichten hat eine hohe Priorität und der durchschnittliche Zuschauer staunt über die lebensfremde Naivität, mit der sie sich in der High Society bewegt hat, ebenso, wie über ihr abfälliges Verhalten in Gingers betont proletarischem Umfeld. Woody Allens Meisterschaft besteht darin, Menschen zu zeigen, die total von der Ernsthaftigkeit ihres Lebens überzeugt sind, was völlig absurd ist. Cate Blanchett verkörpert Jasmine brillant, wobei man auch keinen Zweifel an den Fähigkeiten der Königin "Elizabeth" haben musste und somit könnte der neue Woody-Allen-Film "Blue Jasmine" den Cineasten genauso gut als ein "Cate Blanchett-Film" in Erinnerung bleiben.
"Blue Jasmine" ist mehr Drama als Komödie und Woody Allens fast etwas bedrückender Blick auf die Welt in Zeiten wachsender sozialer Kluften. Eine großartige Cate Blanchett zeichnet Allens neurotische Linien nach, erschafft aber eine autarke tragische Figur mit künstlerischer Hybris.
by André Scheede