Filmwertung: |
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| 8/10 |
Das war mein Gedankenprozess im Vorfeld zu „Black Widow“:
1. Ich bin kein Fan vom MCU.
2. Ich war nie Fan von Black Widow als Figur. Einerseits war sie mir manchmal zu sexualisiert, andererseits erhielt sie in meinen Augen nie eine tiefere Charakterisierung. Johansson blieb dabei immer unter ihren Fähigkeiten.
3. Lucrecia Martel, die eigentlich als Regisseurin geplant war, stieg aus dem Projekt aus, als Marvel ihr sagte: "Don´t worry about the action scenes, we will take care o fit". Dies ließ mich die nächste Fließbandproduktion aus dem Hause Marvel nicht mit viel Vorfreude betrachten.
4. Die generischen Trailer versprachen genau wie all die anderen Zeichen das nächste 0815-Projekt mit zu viel CGI, bei dem stets jeder Moment ironisch gebrochen werden muss, damit ja nicht zu viel Ernsthaftigkeit zugelassen wird.
5. Ich lag mit allem falsch. "Black Widow" ist großartig!
Scarlett Johansson alias Natasha Romanoff in Black Widow © Disney
Im Kern der ganzen Handlung steht eine interessante Familiengeschichte über eine absolut dysfunktionale Gruppe von kaputten Menschen. Wie es die Trailer vermuten lassen, wird diese allerdings nicht im Minutentakt für Lacher und kleine Witzchen gespielt. Die dramatischen, bisweilen richtig emotionale Szenen werden tatsächlich einfach mal stehen gelassen, und entfalten so ihre Wirkung. Klar gibt es auch lustigere Szenen, doch kommen diese immer aus den Figuren selbst heraus. Der Humor lässt sie eine Verbindung aufbauen, und zeigt uns, wie sie zueinanderstehen.
Natasha erhält endlich mehr dringend benötigte charakterliche Tiefe. Während die anderen Filme ihren inneren Konflikt nur hin und wieder in einigen Dialogen kurz andeuteten, zeigt man uns hier ihre Zerrissenheit, und ihre Vergangenheit. So sind auch die Antagonisten, die sonst leider wieder etwas blass bleiben, eine glaubwürdige Repräsentation ihrer Sünden, für die sie nun Erlösung suchen muss. Hier zeigt sich, dass eine Frau als Regisseurin (Cate Shortland) eben einen ganz anderen Blick auf sie hat.
Black Widow: Scarlett Johansson und Florence Pugh auf dem Motorrad © Disney
Doch auch die Nebenfiguren reihen sich dabei wunderbar in dieses Gesamtkonstrukt ein, allen voran eine fantastische Florence Pugh, die als Natashas Schwester dieser leider sogar manchmal das Rampenlicht stiehlt. Die Beziehung und Chemie der beiden, aber auch die generelle Bedeutung der Familie mit dem Red Guardian als Vater (David Harbour) und Melina als Mutter (Rachel Weisz) gerät jederzeit mitreißend und gibt dem Film einen ehrlichen Kern, den kaum ein anderer MCU-Film je erreicht hat. Alle Figuren haben Makel, kämpfen mit sich und ihren Entscheidungen und sind genau deshalb so mitreißend. Autor Eric Pearson versteht, wie wichtig all das ist, und erschafft ein Ensemble, das zu den besten der letzten Jahre zählt. Leider muss das Familiendrama im dritten Akt dem Spektakel etwas weichen, ist aber nicht weiter schlimm, da dieses wirklich spektakulär ist.
So gibt der Film ab der ersten Szene sein Tempo vor. „Black Widow“ ist oft ruhig und gefühlsvoll, lässt sich hier Zeit, haut uns dann aber mit seiner dynamischen Action vollkommen von den Füßen. Das Pacing ist hier tatsächlich ganz fein ausgearbeitet, gibt in all dem Spektakel den Figuren stets genug Raum zum Atmen, sich zu entwickeln und lässt die 134 min Spielzeit im Nu vorbeiziehen. Dabei kann der Film auch hervorragend für sich alleine stehen, was ja ein gängiger Kritikpunkt am MCU ist, ohne dabei aber seine Fans zu vergessen. Hier wurde ein toller Mittelweg zwischen gegenseitiger Vernetzung und Selbstständigkeit gefunden.
Scarlett Johansson und Florence Pugh in Black Widow © Disney
Die Action selbst gerät dabei ungemein gelungen. Klar, immer wieder sind da ein oder zwei Schnitte ohne Sinn, die Kamera bewegt sich hier und da etwas zu viel oder es gerät generell etwas zu hektisch (ich vermute herausgeschnittene Frames), und unsere Heldin hält für meinen Geschmack dabei in der ersten Hälfte vielleicht etwas zu viel aus. Aber wichtiger ist, dass die Kamera die wuchtigen und harten Choreos dennoch immer übersichtlich einfängt. Die Action entwickelt sich dabei stets weiter, bleibt nie zu lange auf demselben Fleck stehen, und steigert sich immer weiter, ohne dabei aber unglaubwürdig zu werden oder die Greifbarkeit von handgemachter Action zu verlieren. Für die Geschichte und die Charakterisierung bleibt sie dabei essenziell. Unterlegt wird all dies von einem wuchtigen Sounddesign und der grandiose Soundtrack von Lorne Balfe (ihr lest richtig, gute Musik in einem MCU-Film!), welcher dank seiner Opulenz und dem treibenden Rhythmus stets mitreißt. Dabei sieht „Black Widow“ auch noch deutlich besser aus als viele Marvelfilme der letzten Jahre und erzählt immer wieder auch tatsächlich mit der Kamera.
Fazit: Wo die Disney Plus-Serien bereits angedeutet haben, dass man sich vom üblichen Einheitsbrei des MCU entfernt, zeigt Black Widow, dass Marvel auch auf der großen Leinwand noch überraschen kann. Ich bin gespannt, auf welche Reise wir die nächsten Jahre mitgenommen werden. Unbedingt im Kino sehen!
by Sebastian Stegbauer