Filmwertung: |
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| 6/10 |
Die Problematik ungünstiger Sozialprognosen für aus Kriegseinsätzen heimgekehrte US-Soldaten fand schon häufiger als Filmstoff Verwendung, wobei "Rambo" ein sehr bekanntes Beispiel ist. Viele Soldaten kehren emotional angeschlagen von ihren Einsätzen zurück und standen gerade nach dem Irak-Krieg in ihrer von der Wirtschaftskrise gebeutelten Heimat vor dem Nichts. Der geheuchelten Dankbarkeit und Heldenverehrung der Daheimgebliebenen stehen Berührungsängste den Soldaten gegenüber entgegen, die zu großen Teilen schon zuvor nicht aus den rosigsten sozialen Schichten rekrutiert wurden. Dieser Aspekt ist auch Gegenstand des Dramas "Auge um Auge" mit Christian Bale.
Der mit tiefen Narben in seiner Seele aus dem Irak-Krieg heimgekehrte ist der von Casey Affleck verkörperte Rodney Baze, der es leid ist, wie sein älterer Bruder Russell (Christian Bale) für den Lebensunterhalt im Stahlwerk des Heimatortes Braddock zu schuften. Stattdessen beginnt Rodney, bei illegalen, aber lukrativen Straßenkämpfen anzutreten. Das wird ihm jedoch zum Verhängnis, denn nachdem er sich mit dem skrupellosen und äußerst brutalen Harlan DeGroat (Woody Harrelson) und dessen Gang angelegt hat, ist er plötzlich wie vom Erdboden verschluckt. Da die Ermittlungen der Polizei unter Führung von Chief Wesley Barnes (Forest Whitaker) am Widerstand der übermächtigen Gang scheitern, macht sich Russell selbst auf die Suche nach seinem Bruder. Getrieben von Wut und Entschlossenheit, will er DeGroat "Auge um Auge" entgegentreten.
Für Regisseur Scott Cooper ist dieser Thriller sein zweiter Spielfilm, nachdem er 2009 mit "Crazy Heart" einen Erfolg landete, für den sein damaliger Hauptdarsteller Jeff Bridges den Golden Globe und den Oscar gewann. Keine Geringeren als Ridley Scott und Leonardo DiCaprio haben den 22 Millionen Dollar teueren Film produziert, der mit nur 5,3 Millionen Dollar an Einnahmen am Eröffnungswochenende in den USA als gefloppt galt. Die Verpflichtung von Christian Bale als Hauptdarsteller machte es Cooper leicht, weitere Stars wie Casey Affleck, Forest Whitaker, Woody Harrelson, Willem Daffoe, Sam Sheppard und Zoë Saldana für seinen Film über zerstörte amerikanische Träume zu gewinnen. "Auge um Auge" wurde an 34 Drehtagen komplett in und um Braddock in Pennsylvannia gedreht, einem früheren blühenden Zentrum der Stahlindustrie, das während der 1980er Jahre seinen Niedergang erlebte.
Die in diesem von großen wirtschaftlichen Rückschlägen betroffenen Ort Braddock befindlichen Carrie Furnace Hochöfen erweckten das Drehbuch zum Leben und bilden auch den eindeutigen Bezug zum Originaltitel "Out of the Furnace". Der deutsche Titel "Auge um Auge" erweist sich deshalb als problematisch, da er den Fokus auf einen ganz anderen Aspekt des Filmes richtet, nämlich die Vergeltung von Russell für das seinem Bruder Rodney zugefügte Übel. Der den Menschen in der im Niedergang befindlichen Stahlindustrie gewidmete Film über Loyalität und amerikanische Werte beackert so viele gesellschaftliche Problemzonen gleichzeitig, dass er locker noch zig weitere Titel hätte rechtfertigen können. Die Heimkehr des Kriegsveteranen, die Arbeiter in der Stahlindustrie, die gesetzlose soziale Unterschicht in den Bergen, die machtlose Polizei, die Beziehung geht zu Bruch und der Vater stirbt während Russells Knastaufenthaltes und, und, und. Die schauspielerischen Leistungen sind grandios, allen voran von Christian Bale, Casey Affleck und den angsteinflößend von Woody Harrelson gespielten Soziopathen DeGroat. Die dramaturgische Umsetzung hingegen wirkt unentschlossen und so zaghaft, als wäre man um eine kunstvolle Gestaltung im Stile eines Indie-Filmes bemüht. Zudem ist die bewusste Entschleunigung in der Erzählung für die von einem Thriller zu erwartende Spannung eher hinderlich. Dadurch erlebt man in den gut zwei Stunden ein durchaus sehr authentisches Drama mit Puzzleteilen herausragendem schauspielerischen Könnens, das im Gesamtbild aber den Blick auf ein Meisterwerk verwehrt.
Christian Bale tritt mit einer beeindruckenden Leistung aus den Hochöfen hervor, steht aber letztendlich einem nicht ganz aufgehenden erzählerischen Konzept machtlos "Auge um Auge" gegenüber.
by André Scheede