Filmkritik Alles inklusive
Filmwertung: |
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| 6/10 |
Die Regisseurin und Autorin Doris Dörrie zählt seit mehr als 30 Jahren zu den wichtigsten Filmkünstlerinnen Deutschlands und hat bei Kritikern und Publikum gleichermaßen erfolgreiche Filme wie die Komödien "Männer" (1985) und "Keiner liebt mich" (1994) sowie das melancholisch-lebensfrohe Roadmovie "
Kirschblüten - Hanami" (2008) inszeniert. Zusätzlich zu ihrer Filmarbeit veröffentlicht die Wahl-Münchnerin Kurzgeschichten, Kinderbücher und Romane, von denen einer nun die Vorlage für ihren neuen Film "Alles inklusive" lieferte.
Darin lernen wir Apple (Nadja Uhl) kennen, die ihren komischen Vornamen ihrer Mutter Ingrid (Hannelore Elsner) zu verdanken hat, die damals in der Hippie-Szene verortet war. Davon geprägt hat sich Apple fest vorgenommen, niemals solch ein chaotisches Leben wie in ihrer Kindheit zu führen. Doch wirklich geordnet und bodenständig ist auch ihr Leben nicht, hangelt sie sich doch von einer missglückten Beziehung zur nächsten und nur ihr Hund Dr. Freud, der als ihr Psychologe fungiert, scheint sie zu verstehen. Ihre Mutter Ingrid schickt sie nach einer Hüft-OP quasi zur Reha in den Pauschalurlaub nach Torremolinos, wo die ehemalige Strandkönigin zu Hippie-Zeiten 1967 eine wilde Affäre mit Karl (Peter Striebeck) hatte. Doch statt der freigeistigen Nostalgie von einst findet sie in dem spanischen Badeort nur noch Hotelklötze und billige Animation vor und die heutigen kritischen Zustände werden ihr durch die Begegnung mit einem Bootsflüchtling (Elton Prince) noch verdeutlicht. Als sie dann den Transvestiten Tim alias Tina (Hinnerk Schönemann) trifft, wird die Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit unausweichlich und mit dem Eintreffen ihrer Tochter Apple in Spanien geschehen weitere überraschende Dinge.
Das Drehbuch zu ihrer eigenen neuen Regiearbeit hat Doris Dörrie nach ihrem gleichnamigen 2011 veröffentlichten Roman geschrieben. Nach dem vielfach preisgekrönten "Kirschblüten - Hanami" ist "Alles inklusive" die zweite Zusammenarbeit mit den Schauspielerinnen Hannelore Elsner und Nadja Uhl, die neben Hinnerk Schönemann in den Hauptrollen zu sehen sind. In weiteren Rollen begegnen uns Peter Striebeck, Fabian Hinrichs, Juliane Köhler und Natalia Avelon, die logischerweise die junge Hippie-Ingrid verkörpert. Zu erwähnen wäre dann auch noch Axel Prahl als Helmut, der einen All inclusive-Touristen in völliger Uneitelkeit genau so spielt, wie man ihn sich prototypisch vorstellt. Die heimliche Hauptrolle hat jedoch die französische Bulldogge Chica inne, die beim Casting sofort das Herz der Regisseurin erobern konnte. Um den "Atem des Echten" zu bekommen, wurde in einem ganz normalen All Inc.-Hotel in Torremolinos gedreht, wodurch die Absurditäten des modernen Reisens im Kontext der ewigen Sehnsucht nach dem Süden sehr authentisch abgebildet werden konnten.
Die episodisch erzählte melancholische Komödie über Mütter und Töchter, Liebeslust und -frust sowie die Unzulänglichkeiten bürgerlicher und alternativer Lebensentwürfe stellt zunächst das Leben Apples in den Mittelpunkt und wir sehen dabei eine mitleiderweckende zum Fremdschämen einladende von Nadja Uhl verkörperte junge Frau mit klobiger Brille, für die der Ausdruck des mangelnden Selbstbewusstseins eine glatte Untertreibung wäre. Um sie herum formt Dörrie ein Drama mit aus dem alltäglichen Wahnsinn gegriffenen Figuren, deren Background dem Zuschauer erst schleppend eröffnet wird. Beträufelt wird das Geschehen mit leisen Botschaften und der Melancholie eines krisengeschüttelten Spaniens. Das geht am Ende auf, wobei die plötzliche Ankunft von schwarzen Bootsflüchtlingen in der Hotelanlage eine Groteske in der sicher gut gemeinten Abbildung sozialer Realitäten darstellt. Ansonsten vereint die Story letztlich ausnahmslos Verlierer, deren Schicksal sich einander bedingt. Die Rückblenden in die Hippie-Ära bringen die Handlung zwar augenscheinlich nicht voran, veranschaulichen aber doch die verschiedenen Lebensentwürfe. Die Freigeistigkeit der Hippiezeit wird gespiegelt mit der heute eher konservativen von Zukunftsängsten geplagten Gesellschaft, die nach Dörries Befinden "oversexed and underfucked" ist. Metaphorisch steht eine vom "All inclusive"-Pauschaltourismus geprägte Mentalität vor der Kulisse einer von Bausünden und wirtschaftlichen Pleiten gebeutelten spanischen Küste damit auch für eine heutige Welt, in der sich die Träume von damals kaum eingelöst haben.
Doris Dörrie bietet in "Alles inklusive" ein reichhaltiges Buffet an tragischen Charakteren. Nicht alles, was der Zuschauer hier von ihr auf den Teller bekommt, schmeckt gleich gut, doch am Ende reicht es für das wohlige Gefühl, satt geworden zu sein.
by André Scheede