Filmwertung: |
 |
| 7/10 |
Ein Mann, ein Boot, das offene Meer: Das ist die Prämisse von J. C. Chandors zweitem Spielfilm. War sein Erstlingswerk, das Wall-Street-Drama „
Der große Crash – Margin Call“, ein klassischer Dialog- und Ensemble-Film, in dem sich allerlei namhafte Darsteller (darunter Jeremy Irons, Kevin Spacey und Demi Moore) vor dem Schauplatz gigantischer Glasfassaden und kühler Großraumbüros die Klinke in die Hand gaben, ist „All Is Lost“ nun das exakte Gegenteil: Ein Monodrama, naturalistisch, reduziert, fast gänzlich wortlos. Die Ausgangssituation ist schnell abgesteckt: Robert Redford spielt einen namenlosen Skipper – im Abspann als „Our Man“ gelistet -, dessen Schiff mit einem Container kollidiert und schließlich havariert; das entstandene Leck kann er zunächst abdichten, Radio und Navigationsgerät jedoch sind nicht mehr funktionsfähig. Derart auf sich allein gestellt und komplett von der Außenwelt abgeschottet, beginnt er einen so zähen wie kräftezehrenden Kampf gegen die Mächte der Natur.
So unvermittelt, wie die spartanische Handlung einsetzt, soviel Zeit lässt sich J. C. Chandor anschließend für deren Entwicklung und Zuspitzung: Anders als genreverwandte Filme der letzten Zeit (etwa Alfonso Cuaróns „
Gravity“) vermeidet es „All Is Lost“, seinen Protagonisten ohne Atempause von Turbulenz zu Turbulenz zu jagen, um den Zuschauer bei der Stange zu halten; ebenso verzichtet Chandor weitgehend auf künstliche dramaturgische Kniffe zur Umschiffung der inszenatorischen Klippen, die der begrenzte Handlungsort und das minimalistische Storygerüst mit sich bringen: Es gibt keine Rückblenden und – von einer Ausnahme abgesehen – keine Monologe, die die inneren Konflikte des Helden nach außen tragen würden. Die Aufgabe, den langwierigen Bewusstwerdungsprozess des Schiffbrüchigen über die eigene aussichtslos scheinende Situation spürbar zu machen, kommt allein dem 77-jährigen Redford zu – in einer physischen wie psychischen schauspielerischen Tour de Force, mit der man, nachdem er sich in den letzten Jahren nicht nur rar gemacht hat, sondern in Sachen Film-und Rollenwahl auch mehrheitlich auf Nummer sicher ging, kaum noch gerechnet hätte. Beachtlich ist dabei, wie sehr er sein Spiel dabei dem Film unterordnet und nicht umgekehrt: „All Is Lost“ ist kein Vehikel für einen ergrauten Hollywoodstar, erst recht keine eitle One-Man-Show - obwohl Redfords Gesicht das einzige ist, dass im Laufe des Films überhaupt zu sehen ist, nimmt er sich erstaunlich zurück, geht stets nur soweit, wie es seine Figur von ihm verlangt. Wir beobachten ihn bei verzweifelten Reparaturversuchen, bei der Nahrungssuche- und anschließenden Aufnahme, bei der Aufrecherhaltung alltäglicher Rituale wie der morgendlichen Rasur, obwohl ihm das Wasser bereits bis zu den Knien steht. Bis schließlich ein Unwetter aufzieht und sich die Lage erstmals drastisch verschärft: Nach einer gerade in ihrer zermürbenden Langsamkeit enorm effektiven ersten halben Stunde ist die Ruhe vor dem Sturm vorbei, es folgt ein erster Gefühlsausbruch, ein kurzer Moment der Katharsis – bis erneut dunkle Wolken am Horizont aufziehen.
Der Action-Overkill, mit dem etwa Wolfgang Petersens „Der Sturm“ geradewegs ins Nichts steuerte, bleibt aus; J. C. Chandor weicht keinen Zentimeter von der beklemmenden Grundkonstellation ab, erweitert mit fortschreitender Zeit lediglich den Blickwinkel, lässt das Meer weiter und „unseren Mann“ kleiner erscheinen. Als ihn selbst ein vorbeiziehendes Containerschiff einfach übersieht, kann es kaum mit rechten Dingen zugehen. So ist auch der zaghafte Hoffnungsschimmer, der uns am Ende geschenkt wird, in höchstem Maße trügerisch; was bleibt, ist doch nur die bittere Gewissheit, die bereits der Filmtitel verheißt: Alles ist verloren.
by Siegfried Bendix
Bilder © SquareOne Entertainment